Anglizismen sind böse, davon sind alle Deutschen überzeugt. Und jeder Beitrag, der Anglizismen anprangert, kann gewiß sein, weit verbreitet zu werden. Sie wollen viele Likes und geteilte Beiträge auf FB? Posten Sie über Anglizismen!
Jetzt gerade zieht wieder eine Liste von Anglizismen (Pfui! Pfui!) durch Facebook, mit Worten, die man nicht verwenden sollte und deren „hübscheren“ echt teutschen Synonymen. Das man immer „hübschere“ deutsche Worte verwenden solle, davon ist der Verfasser überzeugt.
Haben Sie schon mal argumentiert? Das sollten sie unbedingt unterlassen. Denn „argumentieren“ ist ein Anglizismus, belehrt uns diese Liste. Richtig ist: „sich streiten“. Der Duden behauptet zwar anderes, gar, dass argumentieren ein Fremdwort aus dem Lateinischen sei, doch was interessiert der Duden, wenn es um Facebook Likes geht.
Den Duden zu Rate zu ziehen, wäre fatal, pardon, muss natürlich „tödlich“ heißen. Denn auch „fatal“ sollten Sie nicht benutzen, das wäre ein tödlicher Fehler. Ich war bisher der Meinung, dass, wenn ich Kaffee über meine Tastatur schütte, dies zwar fatal, aber keineswegs tödlich wäre, doch jetzt weiß ich, wie erschreckend anglophil diese meine Meinung doch ist. Also werde ich mir – politisch korrekt! – beim nächsten Unfall sofort die tödliche Kugel geben, anstatt die fatalen Folgen zu beheben.
„Speziell“ sei auch so ein Wort, so der Verfasser dieser Liste. Seltsam, ich finde das Wort zwar nicht schön, aber gar nicht so „speziell“, ich kenne es nämlich noch aus meiner Jugendzeit. Und ob das Wortungetüm „Belastungstestprobe“ besser als „Stresstest“ ist, darüber lässt sich streiten (in dem Fall würde „argumentieren“ tatsächlich nicht passen).
Ach ja, gehen Sie am Ende des Tages nicht schlafen, das wäre ebenfalls fatal, äh, tödlich. Sie müssen nämlich „schlussendlich“ schlafen gehen, vielleicht auch „schließlich“, aber nicht am Tagesende. Sonst ruinieren Sie die deutsche Sprache!
Natürlich enthält die Liste auch etliche höchst fragwürdige Formulierungen. „Ich bin ganz bei dir“, da wünschte ich mir nur, dass der Sprecher etwas mehr bei sich selbst wäre ;-).
Und genau das ist das Problem der Sprachschützer und ihrem Kampf gegen „Anglizismen“. Sie beurteilen Sprache nicht danach, ob die Worte, die Formulierungen gut sind. Sondern danach ob es „Anglizismen“ sind (oder das, was sie für Anglizismen halten). Aber entscheidend ist nicht der Anglizismus, sondern ob eine Formulierung passt oder nicht.
Schaut man sich die Texte dieser Sprachschützer dann an, stellt man fest, dass sie diese bösen, bösen Anglizismen oft ebenfalls verwenden. Wolf Schneider ist ein berühmtes Beispiel. Er hat tolle Bücher über Sprache und Formulierungen geschrieben. Und leider eins über Anglizismen, das – anders als seine anderen Stilbücher – jedes Sprachgefühl vermissen lässt. Mehr noch: Die Wörter, die er am Anfang als Anglizismen kritisiert, verwendet er am Ende selbst. Die Begriffe „Internet“ und „Computer“ zum Beispiel, seiner Aussage nach höchst verwerfliche Anglizismen, tauchen in seinen Texten immer wieder auf.
Die deutsche Sprache wird nicht durch Anglizismen untergehen. Sie ist weder durch Frankozismen noch durch Lateinozismen untergegangen, obwohl beide eine Zeitlang sehr beliebt waren. Aber durch falsche Wortwahl und unpassende Synonyme schon. Das wäre zwar nicht tödlich, aber fatal, so zumindest argumentiere ich, ohne mich streiten zu wollen. Und am Ende dieses Tages werde ich schlafen gehen und kein Sprachschützer kann mich durch Hinweis auf die tödlichen Folgen davon abhalten.
Herzliche Grüße,
Ihr Hans Peter Roentgen
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Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen
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