Wie Verlage zu Autoren kommen

Was haben Ursula Poznanski, Wulf Dorn und Andreas Gruber gemeinsam? Richtig, alle drei standen dieses Jahr auf der Shortlist der zehn Finalisten der Krimipreise der diesjährigen Criminale. Und ich kenne sie von früher. Als sie noch keine Verlagsverträge hatten.

Verlage bieten Nachwuchsautoren keine Chance? Um in einem Verlag unterzukommen, muss man Beziehungen haben? Verlage sind nicht an neuen Ideen interessiert?

Das glauben viele. Das habe ich damals auch geglaubt. Als ich die drei kennenlernte. Das war 2000-2005 in den Workshops von Andreas Eschbach und Klaus Frick in der Bundesakademie Wolfenbüttel.

Denken Sie jetzt, dass Andreas Eschbach den dreien die Verlagsverträge verschafft hat? Ein Beispiel für Beziehungen?

Falsch. Nach den Workshops hatte keiner der Teilnehmer (es waren jeweils 15) einen Verlagsvertrag. Der Durchbruch kam 2010. Ursula Poznanskis „Erebos“ fand da nicht nur einen Verlag, sondern wurde ins Englische und so ziemlich jede andere europäische Sprache übersetzt und gewann viele Preise. Dieses Jahr gewann sie den  Hansjörg-Martin-Preis auf der Criminale mit „Layers“.

Wulf Dorns Bücher wurden ebenfalls in unzählige Sprachen übersetzt. Er hat Stephen King auf seinem einzigen Deutschlandauftritt moderiert. Auch Andreas Gruber hat mittlerweile zahlreiche Erfolge aufzuweisen.

Viele andere Teilnehmer bei Andreas Eschbachs Workshops haben mittlerweile ebenfalls Verlagsverträge. Das gilt auch für zahlreiche weitere Autoren, die ich auf unzähligen Workshops und Autorentreffen kennengelernt habe, bevor sie einen Verlag gefunden hatten. Mittlerweile habe ich schon die Übersicht verloren, wie viele das sind. Fünfzig sicherlich.

Ich hatte mich geirrt. Verlage geben Nachwuchsautoren durchaus Chancen.

Aber es dauert. Dass jemand mit dem ersten Manuskript einen Treffer landet, ist ungewöhnlich. Nicht sonderlich erstaunlich, auch Fußballer bekommen selten nach dem ersten erzielten Tor einen Bundesligavertrag.

Wie kommen also Verlage zu Autoren oder wie kommen Autoren zu Verlagsverträgen? Es gibt einige Möglichkeiten, nicht alle sind gleich erfolgsversprechen.

  1. Unverlangte Manuskripteinsendungen. Das ist das Standardprozedere der Nachwuchsautoren, aber das am wenigsten erfolgversprechende. Ich habe mal eine Statistik gemacht, wieviele der eingesandten Manuskripte von größeren Verlagen angenommen werden: 0,01-0,02 %. Diese Zahl deckt sich mit dem, was auch Verlagslektoren sagen. 5.000-10.000 Manuskripte erreichen jährlich die bekannten Verlage. Eins davon wird genommen. Manchmal auch gar keins. Dennoch kenne ich Autoren, die auf diesem Weg ihre Karriere gestartet haben. Und kleine Verlage, mit denen Agenten selten zusammen arbeiten, finden durchaus ihre Autoren durch unverlangte Einsendungen.
  2. Agenten. Das ist die übliche Art und Weise, in der große Verlage neue Autoren gewinnen. Allerdings erhalten mittlerweile auch Agenten viele, viele Manuskripte und können nur einen kleinen Teil annehmen. Die, von denen sie glauben, dass sie sie am besten verkaufen können.
  3. Beziehungen. Das ist die klassische Vorstellung vieler unveröffentlichten Autoren. Stimmt. Und stimmt nicht. Stimmt, viele Autoren haben durch Empfehlungen arrivierter Autoren einen Agenten oder Verlag gefunden. Stimmt nicht, denn selbst wenn Sie Stephen King persönlich kennen, garantiert Ihnen das noch lange keinen Verlagsvertrag. Autoren empfehlen in der Regel nur Manuskripte, von denen sie überzeugt sind. Wenn Ihre Projekte noch nicht soweit sind, werden Sie keine Empfehlung erhalten.
    Auch wenn Sie jeden Tag mit Franz Beckenbauer am Tresen abhängen, würde Ihnen das noch lange nicht zu einem Bundesligavertrag mit Bayern München verhelfen.
  4. Selfpublisher. Wenn Ihr Selfpublisherwerk fünfstellige Verkaufszahlen vorweisen kann, werden Verlage hellhörig. Oder wenn Ihr Werk zeigt, dass Sie schreiben können. Möglicherweise wird der Verlag nicht das Selfpublisherbuch übernehmen, aber anfragen: „Wollen Sie für uns mal was schreiben?“
    Aber längst nicht jeder Selfpublisher erhält automatisch einen Verlagsvertrag. Dafür aber gerne Angebote von Druckkostenzuschussverlagen, die ihr Geld durch die Beiträge der Autoren verdienen. Von denen kann ich nur abraten.
  5. Preise. Literaturpreise sind ein gutes Tor zum Verlagsvertrag. Sie zeigen nämlich, dass Ihr Text eine Jury begeistert hat und aus vielen Konkurrenztexten ausgewählt wurde. Selbst kleine regionale Preise erhalten in der Regel viele hundert Einsendungen.
    Noch wichtiger sind natürlich die großen Wettbewerbe, Bachmannpreis, Open Mike, wer dort in engere Auswahl kommt, hat einen Verlagsvertrag fast schon sicher.

Eins sollten alle Selfpublisher aber wissen. Als Selfpublisher ist man eine One Man Show und kann (und muss!) alles selbst bestimmen. Verlagsautoren müssen Teamplayer sein. Weswegen mancher Verlagsautor kein Selfpublisher wird und mancher Selfpublisher kein Verlagsautor.

Und natürlich erhalten Verlagsautoren keine 70 % vom Verkaufspreis, sondern 7 % (Tb) oder 10 % (Hardcover). Das heißt nicht, dass Verlagsautoren weniger verdienen. 10 % von 20 Euro sind 2 €, 70 % von 2,99 sind 2,10 €. Und letztendlich zählt, was am Ende auf dem Konto landet. Sprich: Welche Auflage erzielt wird. Ich kenne Verlagsautoren, die im Selfpublishing mehr verdient haben. Manche arbeiten jetzt nur noch als Selfpublisher. Ich kenne aber auch Verlagsautoren, die im Selfpublishing nur mehr Arbeit, aber weniger Geld erzielten und das Selfpublishing wieder aufgaben. Das gilt natürlich auch umgekehrt.

Die Szene hat sich in den Jahren immer mehr professionalisiert und entsprechend gibt es ganz unterschiedliche Wege zum Erfolg.

Eins ist aber sicher: Workshops mit erfahrenen Autoren, erfahrenen Lektoren sind immer eine gute Idee. Um dazu zu lernen. Sich auszutauschen. Gemeinsam an Texten zu arbeiten. Schließlich ist auch beim Schreiben noch kein Meister vom Himmel gefallen. Oft zieht dann auch einer den anderen mit.

Es braucht viele Jahre, um über Nacht Erfolg zu haben, hat die Bestsellerautorin Nina George gesagt. Sie hat recht.

Schreiben ist nicht leichter als Klavierspielen, Reiten oder Fußballspielen. Auch wenn das viele glauben.

Ihr Hans Peter Roentgen

PS: Hier die Norminiertenfilme von der Criminale

Mein Buch zum Thema:

Schreiben ist nichts für Feiglinge – Buchmarkt für Anfänger

Wie Verlage zu Autoren kommen

Klappentext-Lektorat April 2016

Eine Nacht für Juli

Aus dem April Tempest Newsletter

Eine Nacht für Juli ist eine Geschichte vom Entscheiden.
Juli ist fünfundzwanzig und geprägt von den Parolen der Hippiebewegung. In dem Film „Hair“ ist sie mindestens fünfmal gewesen, und sie sieht die Welt häufig durch ihre „Hair“-Brille.
Nach der Trennung von ihrem Freund  macht sie sich auf den Weg, sich selbst zu erkunden, wie ein verwildertes Stück Garten, in dem man einen verwunschenen See zu finden hofft. In manchen Momenten schwindelt ihr von der ganzen Freiheit. Sie weiß nicht, ob sie sich im freien Flug oder im freien Fall befindet, und stolpert wie ein weiblicher Candide durch die Kiffer-Szene der Ruhrgebietsstadt, in der sie lebt. Dabei versucht sie, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden und gleichzeitig die Leichtigkeit des Seins zu leben. Sie verliebt sich gleichzeitig in zwei Männer und kann sich nicht entscheiden. Am Ende begreift sie, dass sie sich für sich selbst entscheiden muss.

Lektorat

Eine junge Frau, die als Hippie Flower-Power leben, aber gleichzeitig ihrer Verantwortung als Mutter gerecht werden möchte. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Doch kommen diese in dem Klappentext heraus? Lockt er zum Lesen?

Ich finde, ja. Allerdings gibt es einiges, das ich ändern würde.

Der Pitch

„Eine Nacht für Juli ist eine Geschichte vom Entscheiden“, so lautet die Unterüberschrift, also der  Pitch. Das sagt nur wenig – denn was ist eine Geschichte vom Entscheiden?

Obendrein wird hier ein substantiviertes Verb benutzt, das wirkt immer wenig lebendig. Wie würde dieser Pitch aussehen, wenn wir das Verb verwendeten? Und ihn etwas persönlicher, konkreter fassen würden? „Juli muss sich entscheiden.“

Der Satz wäre lebendiger durch das Verb und aussagekräftiger, weil hier die Person und ihr Problem im Mittelpunkt stehen.

Ginge es noch besser? Der Pitch ist immer noch allgemein. Zwischen welchen Dingen muss sie sich entscheiden? Vielleicht so:

Juli muss sich entscheiden, zwischen einem Leben als Hippie-Mädchen und einem als Mutter.

Das würde den Ausgangskonflikt benennen. Aus dem Entwurf des Klappentextes geht allerdings hervor, dass das die falsche Alternative wäre. Sie muss sich für sich selbst entscheiden, sagt dieser am Schluss. Nicht für einen Lebensplan, der nicht der ihre ist. Das steht am Ende der Geschichte.

Darf man im Klappentext den Schluss verraten? In der Regel nicht. Wer den Mörder im Who-Dunit verrät, gewinnt nicht den Publikumspreis. In diesem Roman könnte es aber funktionieren. Denn hier wird nicht gesagt, wie die Entscheidung aussehen wird.

Show, don’t tell

Juli ist fünfundzwanzig und geprägt von den Parolen der Hippiebewegung. In dem Film ‚Hair‘ ist sie mindestens fünfmal gewesen, und sie sieht die Welt häufig durch ihre „Hair“-Brille.

Nach der Trennung von ihrem Freund macht sie sich auf den Weg, sich selbst zu erkunden, wie ein verwildertes Stück Garten, in dem man einen verwunschenen See zu finden hofft.

Ist das anschaulich? Entwickeln Sie eine Vorstellung von Juli, ihrem Leben und der Geschichte?

Ich finde: ja. Aber die Formulierungen könnte man anschaulicher gestalten. Vielleicht: „Juli ist fünfundzwanzig und glaubt an Love, Peace und freie Liebe.“? Auch „ist fünfmal in dem Film ‚Hair‘ gewesen“, das ließe sich besser formulieren: „Den Film ‚Hair‘ hat sie mindestens fünf Mal gesehen.“ „Ist gewesen“ ist eine Hilfsverbkonstruktion, die nicht sehr lebendig wirkt.

Ach ja, wann spielt die Geschichte eigentlich? Das wird nicht gesagt. Da der Film „Hair“ genannt wird, spielt es auf jeden Fall nach 1979. Doch das weiß nur, wer weiß, dass Miloš Forman „Hair“ 1978 gedreht hat, lange nach dem Ende der Hippiebewegung. Ich würde das Jahr im Klappentext nennen.

Der Stil

Was sagen uns die beiden ersten Absätze noch? Dass der Roman poetisch sein wird. Denn dass sie in dem verwilderten Garten ihrer Psyche einen See zu finden hofft, dieses poetische Bild stimmt auf einen poetischen Roman ein. Zu einem Hardboiled-Detektiv-Roman würde das auf keinen Fall passen.

Der Stil eines Klappentextes bestimmt auch die Erwartungen der Leser. Und hier passt er zu der Schilderung der Hauptfigur Juli. Verträumt, ein wenig auf Wolke Sieben schwebend, so schildert sie uns dieser Text.

Der nächste Abschnitt geht genauso poetisch weiter:

In manchen Momenten schwindelt ihr von der ganzen Freiheit. Sie weiß nicht, ob sie sich im freien Flug oder im freien Fall befindet, und stolpert wie ein weiblicher Candide durch die Kiffer-Szene der Ruhrgebietsstadt, in der sie lebt.

Wissen Sie, was ein „weiblicher Candide“ ist? Den Film „Hair“ dürften die meisten zumindest dem Namen nach kennen. Aber gilt das auch für Candide? Da verlässt sich der Text darauf, dass der Leser aus dem Zusammenhang erschließt, wer dieser Candide sein könnte.

 Namen nennen

Eigentlich haben uns die ersten beiden Abschnitte bereits die Grundkonstellation von Juli vorgestellt. Neu wäre, dass sie durch die Kiffer-Szene der Ruhrgebietsstadt stolpert. Hier würde ich den Namen der Stadt nennen, statt allgemein „eine Ruhrgebietsstadt“ zu schreiben. Und es wäre gut, den Konflikt jetzt etwas konkreter zu schildern, in dem sich Juli befindet. Das geschieht im nächsten Satz:

Dabei versucht sie, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden und gleichzeitig die Leichtigkeit des Seins zu leben. Sie verliebt sich gleichzeitig in zwei Männer und kann sich nicht entscheiden.

Sie hat ein Kind. Und das gibt Probleme, denn Kinder fordern nun mal Planung und Sicherheit. In den Tag hinein leben, das geht nur bedingt, und vor der unerträglichen Leichtigkeit des Seins werden Eltern deshalb meist bewahrt.

Wir wissen aufgrund unserer Lebenserfahrung, dass Eltern sein und in den Tag hinein leben, sich oft ausschließen. Deshalb assoziieren wir in diesem allgemeinen Klappentext sofort Probleme. Ich würde aber eines dieser Probleme, denen Juli ausgesetzt ist, beispielhaft in einem Satz im Klappentext benennen. Vermutlich dürfte dieser Konflikt ihr Leben viel stärker bestimmen als die beiden Lover, die sie sich zulegt. Oder reagiert ihr Kind allergisch auf ihr Liebesleben? Auch das wäre etwas, mit dem dieser Abschnitt etwas lebendiger gestaltet werden könnte.

Der Schlusssatz

Der erste und der letzte Satz in einem Exposé sind entscheidend. Der erste ist der Pitch, der letzte eine Zusammenfassung der Geschichte, oft eine Art Moral von der Geschichte. Aber möglichst eine ohne Zeigefinger.

„Am Ende begreift sie, dass sie sich für sich selbst entscheiden muss“, das wäre die Lösung des Konflikts. Es geht nicht darum, sich für ein Leben entsprechend den Hippievorstellungen zu entscheiden, und auch nicht darum, die traditionelle Mutterrolle zu wählen. Sondern darum, das eigene Lebenskonzept zu entwickeln.

Auch dieser Satz ließe sich vielleicht noch ein wenig verbessern, ich halte ihn aber für gut gelungen, und er drückt aus, worum es in dem Buch geht. Er stellt ein wenig die Lösung des Konflikts vor, aber nicht so konkret, dass der Leser bereits alles weiß und der Klappentext ein Spoiler wäre.

Klappentext-Lektorat April 2016

Literarische Unkräuter: Als und während

Als der Wecker klingelte, wachte ich auf. So beginnen viele Geschichten. Diese Konstruktion ist beliebt, sie soll Gleichzeitigkeit vermitteln. Aber sie klingt unbeholfen und ist unnötig. Einfache und eleganter: Der Wecker klingelte und ich wachte auf.

Gemein ist diese Konstruktion, weil sie wie Giersch arbeitet. Gärtner hassen Giersch. Der überwuchert alles. Und schön sieht er auch nicht aus. Nicht anders die Als-Konstruktion. Sie vermehrt sich, ohne dass es Autoren bewusst wird. Unbewusst. Wenn ich die erste Als-Konstruktion lese, weiß ich, dass sie unterirdisch weiterwuchert und sehr bald neue Triebe austreiben wird.

Den Giersch wird man im Garten kaum wieder los. Ihn auszureißen ist so wirkungsvoll, wie ihn zum Tee einzuladen. Er kümmert sich nicht darum.

Die Als-Konstruktion ist der literarische Giersch. Einmal eingeführt, blüht er überall auf. Und das ist das tödliche Gift: Eine Als-Konstruktion auf fünf Seiten würde niemandem auffallen. Aber fünf davon hintereinander, um einen Abschnitt einzuleiten, nerven auch den sanftmütigsten Leser. Wer will nur mehr Giersch im Garten haben? Oder ein Buch lesen, in dem jeder Abschnitt beginnt: Als ich dies tat, passierte jenes?

Schön ist er nämlich nicht, der Giersch, ganz im Gegenteil. All die Pflanzen, die er brutal überwuchert, würden Auge und Seele vielmehr erfreuen.

Natürlich gibt es artverwandte literarische Unkräuter. Während ist ein enger Verwandter. Während ich dies schreibe, denke ich daran, wie unschön es ist, immer Während zu verwenden. Einfacher: Immer während zu verwenden, ist ziemlich unschön. Und macht eine Menge Arbeit, weil man alle diese literarischen Unkräuter bei der Überarbeitung mühsam ausrupfen muss.

Unkraut wächst vor allem auf überdüngtem Boden. Die Düngung erfolgt durch den Glauben der Autoren, dass sie alles erzählen müssten und zwar in genauer zeitlicher Reihenfolge.

Erst klingelt der Wecker, dann wache ich auf. Folglich: Als der Wecker klingelt, wache ich auf. Während ich zur Dusche gehe, gähne ich. Als ich die Dusche betrete, drehe ich den Hahn auf. Während das Wasser aus der Dusche läuft, seife ich mir die Haare ein. Als ich die Haare eingeseift habe, spüle ich sie aus. Während ich mir die Haare trockne, plane ich meinen Tag. Als ich aus der Dusche trete, ist auch der gutwilligste Leser endgültig entschlafen. Während ich glaubte, ein Meisterwerk zu schreiben, habe ich meine Leser verloren. Giersch ist allerorten und langweilig.

Schreib einfach, ist eine der wichtigsten Regeln des Schreibens. Lass den Wecker klingeln und wach auf. Damit sich der literarische Giersch gar nicht erst einschleicht.

Marcus Johanus hat ebenfalls über die Als-Sucht geschrieben:
Warum Sie »als« lieber meiden sollten

 

Literarische Unkräuter: Als und während

Gendersprech, die Sternchen und andere Bürokratien

Wieder einmal hat die Gendersprache Hochkonjunktur. Einige Artikel haben versucht, den Konstruktionen mit * oder _ (zB. Autor_*innen) theoretisch zu fundieren, zB Svenja im Blog KleinerDrei.

Wunderschön geschrieben – und leider grundfalsch. Das ist Feminismus lite, sorry.

Fängt schon mit der Aussprache an. Die wichtigste Sprache ist immer noch die mündliche. Und da sind Autor-*innen und ähnliche Konstrukte etwas schwer auszusprechen. „Ich meine: wenn man schon anfängt, dann richtig, oder?“, sagt der Artikel und das hätte er berücksichtigen sollen.

Denn Sprache weckt bestimmte Gedankenmuster. Und was für Gedankenmuster wecken „*“ oder „-„? Richtig, blutleerer Bürokratismus. Weshalb es vor allem Beamte und Politiker sind, die diese Sprachregelungen lieben, weil sie eben Beamtendeutsch lieben, lange Worte, viele Substantive und bitte nie, nie, nie lebendig schreiben.

Warum hat sich die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ auch bei Männern mit einem Brett aus dickstem Macho-Hartholz vor dem Kopf durchgesetzt? Man kann es aussprechen. Es klingt höflich, nicht nach Beamtendeutsch.

Ach ja, „Sprache und Denken sind schwer trennbar“? War es nicht Siegmund Freud, der uns darauf hingewiesen hat, dass das meiste Denken im Unbewussten abläuft? Hat die moderne Neuroforschung das nicht bestätigt? Und die Biologie nachgewiesen, dass auch Tiere denken können, ganz ohne Sprache? Dass Sprache und Denken nicht trennbar sind, das ist ein beliebtes Vorurteil der Deutschen, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. Wir müssen nur die Sprache ändern, dann ändert sich auch das Denken.

Der Ostblock hat das konsequent verfolgt. Abfällige Worte über Andersrassige waren verboten, in Jugoslawien wie in der Sowjetunion. In den Texten war nur von Gleichheit die Rede, von Völkerfreundschaft. „Neusprech“ hat George Orwell das genannt.

Ist der Rassismus verschwunden, weil seine Worte aus der Öffentlichkeit verschwunden waren?

Ist er nicht, wie wir heute wisssen. Weil die Vorstellungen der Menschen auch ohne die inkriminierten Worte beibehalten wurden. Und überall wurde der Kommunismus hoch gelobt – sind deshalb die Bewohner des Ostblocks zu begeisterten Kommunisten geworden? Sind sie zu begeisterten Antifaschisten geworden, weil immer und überall die Faschisten mit abfälligen Worten verbunden worden sind? Wie wir wissen, nicht. Ganz so einfach ist die Umerziehung nicht.

Was stellen Sie sich vor, wenn ich sage: „Ich gehe zu einem Treffen von Führungskräften der Wirtschaft“? „Die Führungskraft“ ist bekanntlich weiblich, was die Grammatik angeht. Erwarten Sie eine Gruppe älterer Frauen mit unterschiedlichen Hautfarben? Ich wette, dass so gut wie jeder eine Gruppe älterer Männer erwartet, weiß, alle sehr deutsch ausssehend. Und ich fürchte, dass wird so bleiben, solange in 99% der Fälle sich diese Vorstellung bestätigen wird.

Unser Denken pfeift nämlich auf die Grammatik.

Ein Gutes haben solche Artikel und solche Sprachregularien aber. Es wird darüber diskutiert. Und im Westen hat die Diskussion über die Nazizeit weit mehr bewirkt als alle Sprachregulierungen der DDR zusammen. Heute erzielen die Rechtsradikalen im Osten regelmäßig die doppelten oder dreifachen Wahlergebnisse wie im Westen.

Das ändert nichts daran, dass unsere Sprache ungerecht ist und die Vergangenheit mitschleppt, in der Frauen wenig galten. „Der Arzt“ und „die Sprechstundenhilfe“, „Der Chef“ und „die Sekretärin“, „Der Chirurg“ und „die Krankenschwester“ zeigen deutlich, dass es sich es nicht um das generische Maskulinum handelt, das bei solchen Diskussionen gerne bemüht wird. Sondern um Vorstellungswelten, in der die leitenden Berufe von Männern ausgeübt werden. Die Sprache folgt dieser Vorstellung. Aber die Mehrzahl der Chefs ist nicht männlich, weil die Sprache das fordert. Umgekehrt, die Sprache folgt den Vorstellungen – dem was wir wahrnehmen. Die große Mehrzahl der deutschen Führungskräfte sind männlich und sprachliche Klimmzüge ändern daran leider nichts.

Sprachregulierungen sind gut, wenn sie passen. Aber wenn man etwas ändern will, gehört sehr viel mehr dazu als „Feminismus lite“.

1963 sagte Martin Luther King: „I Have a Dream“. Der Satz machte Geschichte. Hätte er auch Geschichte gemacht, wenn er eine neue Sprachregelung vorgeschlagen hätte? Damit bei dem Wort „Polizist“ nicht automatisch jeder an einen weißen Polizisten denkt?

Ich habe einen Traum. Dass man nicht länger versucht, die Dinge dadurch zu ändern, dass man sie anders benennt. Sondern dadurch, dass man sie ändert.

Und dass nicht die männlich geprägte Sprache durch eine bürokratisch geprägte Sprache ersetzt wird.


Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen
http://www.hanspeterroentgen.de/spannung-1.html

 

Gendersprech, die Sternchen und andere Bürokratien