Wieder einmal hat die Gendersprache Hochkonjunktur. Einige Artikel haben versucht, den Konstruktionen mit * oder _ (zB. Autor_*innen) theoretisch zu fundieren, zB Svenja im Blog KleinerDrei.
Wunderschön geschrieben – und leider grundfalsch. Das ist Feminismus lite, sorry.
Fängt schon mit der Aussprache an. Die wichtigste Sprache ist immer noch die mündliche. Und da sind Autor-*innen und ähnliche Konstrukte etwas schwer auszusprechen. „Ich meine: wenn man schon anfängt, dann richtig, oder?“, sagt der Artikel und das hätte er berücksichtigen sollen.
Denn Sprache weckt bestimmte Gedankenmuster. Und was für Gedankenmuster wecken „*“ oder „-„? Richtig, blutleerer Bürokratismus. Weshalb es vor allem Beamte und Politiker sind, die diese Sprachregelungen lieben, weil sie eben Beamtendeutsch lieben, lange Worte, viele Substantive und bitte nie, nie, nie lebendig schreiben.
Warum hat sich die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ auch bei Männern mit einem Brett aus dickstem Macho-Hartholz vor dem Kopf durchgesetzt? Man kann es aussprechen. Es klingt höflich, nicht nach Beamtendeutsch.
Ach ja, „Sprache und Denken sind schwer trennbar“? War es nicht Siegmund Freud, der uns darauf hingewiesen hat, dass das meiste Denken im Unbewussten abläuft? Hat die moderne Neuroforschung das nicht bestätigt? Und die Biologie nachgewiesen, dass auch Tiere denken können, ganz ohne Sprache? Dass Sprache und Denken nicht trennbar sind, das ist ein beliebtes Vorurteil der Deutschen, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. Wir müssen nur die Sprache ändern, dann ändert sich auch das Denken.
Der Ostblock hat das konsequent verfolgt. Abfällige Worte über Andersrassige waren verboten, in Jugoslawien wie in der Sowjetunion. In den Texten war nur von Gleichheit die Rede, von Völkerfreundschaft. „Neusprech“ hat George Orwell das genannt.
Ist der Rassismus verschwunden, weil seine Worte aus der Öffentlichkeit verschwunden waren?
Ist er nicht, wie wir heute wisssen. Weil die Vorstellungen der Menschen auch ohne die inkriminierten Worte beibehalten wurden. Und überall wurde der Kommunismus hoch gelobt – sind deshalb die Bewohner des Ostblocks zu begeisterten Kommunisten geworden? Sind sie zu begeisterten Antifaschisten geworden, weil immer und überall die Faschisten mit abfälligen Worten verbunden worden sind? Wie wir wissen, nicht. Ganz so einfach ist die Umerziehung nicht.
Was stellen Sie sich vor, wenn ich sage: „Ich gehe zu einem Treffen von Führungskräften der Wirtschaft“? „Die Führungskraft“ ist bekanntlich weiblich, was die Grammatik angeht. Erwarten Sie eine Gruppe älterer Frauen mit unterschiedlichen Hautfarben? Ich wette, dass so gut wie jeder eine Gruppe älterer Männer erwartet, weiß, alle sehr deutsch ausssehend. Und ich fürchte, dass wird so bleiben, solange in 99% der Fälle sich diese Vorstellung bestätigen wird.
Unser Denken pfeift nämlich auf die Grammatik.
Ein Gutes haben solche Artikel und solche Sprachregularien aber. Es wird darüber diskutiert. Und im Westen hat die Diskussion über die Nazizeit weit mehr bewirkt als alle Sprachregulierungen der DDR zusammen. Heute erzielen die Rechtsradikalen im Osten regelmäßig die doppelten oder dreifachen Wahlergebnisse wie im Westen.
Das ändert nichts daran, dass unsere Sprache ungerecht ist und die Vergangenheit mitschleppt, in der Frauen wenig galten. „Der Arzt“ und „die Sprechstundenhilfe“, „Der Chef“ und „die Sekretärin“, „Der Chirurg“ und „die Krankenschwester“ zeigen deutlich, dass es sich es nicht um das generische Maskulinum handelt, das bei solchen Diskussionen gerne bemüht wird. Sondern um Vorstellungswelten, in der die leitenden Berufe von Männern ausgeübt werden. Die Sprache folgt dieser Vorstellung. Aber die Mehrzahl der Chefs ist nicht männlich, weil die Sprache das fordert. Umgekehrt, die Sprache folgt den Vorstellungen – dem was wir wahrnehmen. Die große Mehrzahl der deutschen Führungskräfte sind männlich und sprachliche Klimmzüge ändern daran leider nichts.
Sprachregulierungen sind gut, wenn sie passen. Aber wenn man etwas ändern will, gehört sehr viel mehr dazu als „Feminismus lite“.
1963 sagte Martin Luther King: „I Have a Dream“. Der Satz machte Geschichte. Hätte er auch Geschichte gemacht, wenn er eine neue Sprachregelung vorgeschlagen hätte? Damit bei dem Wort „Polizist“ nicht automatisch jeder an einen weißen Polizisten denkt?
Ich habe einen Traum. Dass man nicht länger versucht, die Dinge dadurch zu ändern, dass man sie anders benennt. Sondern dadurch, dass man sie ändert.
Und dass nicht die männlich geprägte Sprache durch eine bürokratisch geprägte Sprache ersetzt wird.
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Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen
http://www.hanspeterroentgen.de/spannung-1.html
Diesen Beitrag kann ich Wort für Wort unterschreiben. Ich verabscheue Rassismus, Diskriminierung, Sexismus, aber mit Gewalt der Sprache etwas aufzudrücken ist nicht der richtige Weg. Und er funktioniert auch nicht, wie hier in dem Beitrag angemerkt worden ist. Ich hatte bereits einige hitzige Diskussionen zu dem Thema. Meiner Ansicht nach, geht die Gender Debatte genau an denen vorbei, die in ihrer Gedankenwelt noch im letzten Jahrhundert stecken geblieben sind. Es ist eine Debatte von Intellektuellen, die den Sinn für ‚die/den Bürger_*in‘ (wie nun eigentlich richtig?) verloren haben. Kann mich aber auch täuschen.
+Mika+
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Genau so! Wenn etwas nicht passt, dann muss man das etwas ändern, und nicht seine Bezeichnung!
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[…] über Gendersprech, die Sternchen und andere Bürokratien — Hans Peter Roentgen […]
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… und dazu, das sich was ändert, gehört, dass sich die Sprache ändert. Ich kann verstehen, dass es Autorinnen schwer fällt, irgendwelche schwierigen Doppelungen oder Gendersterne oder so was einzusetzen. Ich komme inzwischen zu dem Ergebnis, immer öfter einfach nur die weibliche Form zu benutzen – Männer dürfen sich bei mir für die nächsten 500 Jahre dann ebenso mitgemeint fühlen wie in der Vergangenheit die Frauen. Hier zur Vertiefung noch ein Beitrag von Anatol Stefanowitsch zum „Genderstern“: http://www.sprachlog.de/2015/11/24/revolutionaer-innen-die-auf-sternchen-starren/
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