Klappentext-Lektorat April 2016

Eine Nacht für Juli

Aus dem April Tempest Newsletter

Eine Nacht für Juli ist eine Geschichte vom Entscheiden.
Juli ist fünfundzwanzig und geprägt von den Parolen der Hippiebewegung. In dem Film „Hair“ ist sie mindestens fünfmal gewesen, und sie sieht die Welt häufig durch ihre „Hair“-Brille.
Nach der Trennung von ihrem Freund  macht sie sich auf den Weg, sich selbst zu erkunden, wie ein verwildertes Stück Garten, in dem man einen verwunschenen See zu finden hofft. In manchen Momenten schwindelt ihr von der ganzen Freiheit. Sie weiß nicht, ob sie sich im freien Flug oder im freien Fall befindet, und stolpert wie ein weiblicher Candide durch die Kiffer-Szene der Ruhrgebietsstadt, in der sie lebt. Dabei versucht sie, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden und gleichzeitig die Leichtigkeit des Seins zu leben. Sie verliebt sich gleichzeitig in zwei Männer und kann sich nicht entscheiden. Am Ende begreift sie, dass sie sich für sich selbst entscheiden muss.

Lektorat

Eine junge Frau, die als Hippie Flower-Power leben, aber gleichzeitig ihrer Verantwortung als Mutter gerecht werden möchte. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Doch kommen diese in dem Klappentext heraus? Lockt er zum Lesen?

Ich finde, ja. Allerdings gibt es einiges, das ich ändern würde.

Der Pitch

„Eine Nacht für Juli ist eine Geschichte vom Entscheiden“, so lautet die Unterüberschrift, also der  Pitch. Das sagt nur wenig – denn was ist eine Geschichte vom Entscheiden?

Obendrein wird hier ein substantiviertes Verb benutzt, das wirkt immer wenig lebendig. Wie würde dieser Pitch aussehen, wenn wir das Verb verwendeten? Und ihn etwas persönlicher, konkreter fassen würden? „Juli muss sich entscheiden.“

Der Satz wäre lebendiger durch das Verb und aussagekräftiger, weil hier die Person und ihr Problem im Mittelpunkt stehen.

Ginge es noch besser? Der Pitch ist immer noch allgemein. Zwischen welchen Dingen muss sie sich entscheiden? Vielleicht so:

Juli muss sich entscheiden, zwischen einem Leben als Hippie-Mädchen und einem als Mutter.

Das würde den Ausgangskonflikt benennen. Aus dem Entwurf des Klappentextes geht allerdings hervor, dass das die falsche Alternative wäre. Sie muss sich für sich selbst entscheiden, sagt dieser am Schluss. Nicht für einen Lebensplan, der nicht der ihre ist. Das steht am Ende der Geschichte.

Darf man im Klappentext den Schluss verraten? In der Regel nicht. Wer den Mörder im Who-Dunit verrät, gewinnt nicht den Publikumspreis. In diesem Roman könnte es aber funktionieren. Denn hier wird nicht gesagt, wie die Entscheidung aussehen wird.

Show, don’t tell

Juli ist fünfundzwanzig und geprägt von den Parolen der Hippiebewegung. In dem Film ‚Hair‘ ist sie mindestens fünfmal gewesen, und sie sieht die Welt häufig durch ihre „Hair“-Brille.

Nach der Trennung von ihrem Freund macht sie sich auf den Weg, sich selbst zu erkunden, wie ein verwildertes Stück Garten, in dem man einen verwunschenen See zu finden hofft.

Ist das anschaulich? Entwickeln Sie eine Vorstellung von Juli, ihrem Leben und der Geschichte?

Ich finde: ja. Aber die Formulierungen könnte man anschaulicher gestalten. Vielleicht: „Juli ist fünfundzwanzig und glaubt an Love, Peace und freie Liebe.“? Auch „ist fünfmal in dem Film ‚Hair‘ gewesen“, das ließe sich besser formulieren: „Den Film ‚Hair‘ hat sie mindestens fünf Mal gesehen.“ „Ist gewesen“ ist eine Hilfsverbkonstruktion, die nicht sehr lebendig wirkt.

Ach ja, wann spielt die Geschichte eigentlich? Das wird nicht gesagt. Da der Film „Hair“ genannt wird, spielt es auf jeden Fall nach 1979. Doch das weiß nur, wer weiß, dass Miloš Forman „Hair“ 1978 gedreht hat, lange nach dem Ende der Hippiebewegung. Ich würde das Jahr im Klappentext nennen.

Der Stil

Was sagen uns die beiden ersten Absätze noch? Dass der Roman poetisch sein wird. Denn dass sie in dem verwilderten Garten ihrer Psyche einen See zu finden hofft, dieses poetische Bild stimmt auf einen poetischen Roman ein. Zu einem Hardboiled-Detektiv-Roman würde das auf keinen Fall passen.

Der Stil eines Klappentextes bestimmt auch die Erwartungen der Leser. Und hier passt er zu der Schilderung der Hauptfigur Juli. Verträumt, ein wenig auf Wolke Sieben schwebend, so schildert sie uns dieser Text.

Der nächste Abschnitt geht genauso poetisch weiter:

In manchen Momenten schwindelt ihr von der ganzen Freiheit. Sie weiß nicht, ob sie sich im freien Flug oder im freien Fall befindet, und stolpert wie ein weiblicher Candide durch die Kiffer-Szene der Ruhrgebietsstadt, in der sie lebt.

Wissen Sie, was ein „weiblicher Candide“ ist? Den Film „Hair“ dürften die meisten zumindest dem Namen nach kennen. Aber gilt das auch für Candide? Da verlässt sich der Text darauf, dass der Leser aus dem Zusammenhang erschließt, wer dieser Candide sein könnte.

 Namen nennen

Eigentlich haben uns die ersten beiden Abschnitte bereits die Grundkonstellation von Juli vorgestellt. Neu wäre, dass sie durch die Kiffer-Szene der Ruhrgebietsstadt stolpert. Hier würde ich den Namen der Stadt nennen, statt allgemein „eine Ruhrgebietsstadt“ zu schreiben. Und es wäre gut, den Konflikt jetzt etwas konkreter zu schildern, in dem sich Juli befindet. Das geschieht im nächsten Satz:

Dabei versucht sie, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden und gleichzeitig die Leichtigkeit des Seins zu leben. Sie verliebt sich gleichzeitig in zwei Männer und kann sich nicht entscheiden.

Sie hat ein Kind. Und das gibt Probleme, denn Kinder fordern nun mal Planung und Sicherheit. In den Tag hinein leben, das geht nur bedingt, und vor der unerträglichen Leichtigkeit des Seins werden Eltern deshalb meist bewahrt.

Wir wissen aufgrund unserer Lebenserfahrung, dass Eltern sein und in den Tag hinein leben, sich oft ausschließen. Deshalb assoziieren wir in diesem allgemeinen Klappentext sofort Probleme. Ich würde aber eines dieser Probleme, denen Juli ausgesetzt ist, beispielhaft in einem Satz im Klappentext benennen. Vermutlich dürfte dieser Konflikt ihr Leben viel stärker bestimmen als die beiden Lover, die sie sich zulegt. Oder reagiert ihr Kind allergisch auf ihr Liebesleben? Auch das wäre etwas, mit dem dieser Abschnitt etwas lebendiger gestaltet werden könnte.

Der Schlusssatz

Der erste und der letzte Satz in einem Exposé sind entscheidend. Der erste ist der Pitch, der letzte eine Zusammenfassung der Geschichte, oft eine Art Moral von der Geschichte. Aber möglichst eine ohne Zeigefinger.

„Am Ende begreift sie, dass sie sich für sich selbst entscheiden muss“, das wäre die Lösung des Konflikts. Es geht nicht darum, sich für ein Leben entsprechend den Hippievorstellungen zu entscheiden, und auch nicht darum, die traditionelle Mutterrolle zu wählen. Sondern darum, das eigene Lebenskonzept zu entwickeln.

Auch dieser Satz ließe sich vielleicht noch ein wenig verbessern, ich halte ihn aber für gut gelungen, und er drückt aus, worum es in dem Buch geht. Er stellt ein wenig die Lösung des Konflikts vor, aber nicht so konkret, dass der Leser bereits alles weiß und der Klappentext ein Spoiler wäre.

Klappentext-Lektorat April 2016

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