Die sieben häufigsten Irrtümer über Lektorate

Ein gutes Lektorat eines Manuskripts kostet eine vierstellige Summe. Autorinnen und Autoren sind eher selten Millionäre. Und es ist unwahrscheinlich, dass das erste Buch diese Summe wieder hereinspielt.

Kein Wunder, dass diese Frage immer wieder von Selfpublishern diskutiert wird. Auch Autoren, die in Verlagen veröffentlichen wollen, stellt sich die Frage: Buche ich erst mal ein Lektorat, weil das die Chancen erhöht, eine Agentur oder einen Verlag zu finden?

Ich habe mittlerweile hunderte, wenn nicht gar tausende von Autoren beraten, lektoriert, gecoacht, habe Bücher übers Schreiben verfasst und an unzähligen Diskussionen in Foren teilgenommen. Und immer wieder wird diese Frage diskutiert. Und immer wieder tauchen die gleichen Irrtümer auf.

1. Lektorat ist das Lektorat eines Manuskripts

Das ist der häufigste Irrtum nicht nur von Nachwuchsautoren. Klar, wenn ein Verlag ein Manuskript angekauft hat, muss der ganze Text auf einmal lektoriert werden.
Das ist aber nicht generell so. Autoren können die ersten Seiten lektorieren lassen. Schon aus einem Beispiellektorat können sie eine Menge lernen. Wo sie sehen, was ihre Stärken sind und ihre Schwächen. Woran sie arbeiten müssen.
Auch Verlage arbeiten so: Sie verlangen eine Leseprobe der ersten Seiten. Und ein Exposé, also eine Beschreibung der Handlung. Danach schätzen sie ein, wo der Autor steht, ob der Text veröffentlichungsreif ist und Leser finden könnte. Erst dann gibt es einen Vertrag.
Manchmal lassen Verlage ein Lektoratsgutachten erstellen. Ein Lektor liest das ganze Manuskript und beurteilt es. Was müsste überarbeitet werden, was sind die Stärken, was die Schwächen des Textes. Aber er lektoriert den Text nicht, korrigiert also keine Fehler. Deshalb ist ein Lektoratsgutachten sehr viel preisgünstiger.

All das können auch Nachwuchsautoren tun. Ihre ersten Seiten von einem Lektor begutachten lassen, der Änderungen, Korrekturen vorschlägt, einem sagt, wo man steht. Oder ein Exposé erstellen, das Personen und Handlung der Geschichte beschreibt und das mit einem Lektor diskutieren.

2. Lektorat korrigiert Rechtschreibung, Grammatik und Stil

Ein Lektor muss auch die Dramaturgie, die Personen, den Aufbau beurteilen. Das ist oft noch wichtiger als Rechtschreibung, Grammatik und Stil. Denn wenn die Dramaturgie nicht stimmt, der Spannungsbogen durchhängt, die Personen blaß bleiben, dann wird niemand das Buch lesen wollen.

In dem Fall hilft auch die beste Rechtschreibung, der geschliffenste Stil nicht mehr.

Woraus folgt, dass als Erstes die Dramaturgie und die Personen einer Geschichte überarbeitet werden. Auch wenn ihr eure Geschichte überarbeitet, ist diese Reihenfolge sinnvoll:

  1. Personen und Dramaturgie
  2. Stil
  3. Rechtschreibung und Grammatik

3. Nur ein professioneller Lektor kann ein Manuskript bearbeiten

Testleser, Workshops mit erfahrenen Autoren, Diskussionen in Foren: Es gibt unzählige Möglichkeiten, an Texten zu arbeiten und die eigenen Fähigkeiten zu schulen. Guten Kuchen kann man auch im eigenen Backofen backen. Wer allerdings professionell Kuchen backen möchte, der muss sich die entsprechenden Maschinen anschaffen. Dann reicht der private Backofen nicht mehr.

Und wer professionell schreiben will, muss für seine Manuskripte ein professionelles Lektorat kaufen.

Die Reiter beginnen mit Reitstunden in einer Reitschule. Dort lernen sie erst mal die Grundgangarten, wie sie mit dem Pferd mitgehen und ihm nicht in den Rücken fallen und dass die Zügel nicht dazu dienen, sich festzuhalten. Hohe Schule kommt später. Und auch ein teures Dressurpferd kauft man sich erst, wenn man die S-Dressur beherrscht und auf Turnieren auftreten kann.

Nicht anders ist es beim Schreiben. Auch dort dauert es einige Zeit, bis aus dem Hobbyschreiber ein professioneller Autor wird.

4. Um zu lektorieren, muss man das ganze Manuskript lesen

Erfahrene Fußballtrainer sehen nach fünf Minuten, was ein Fußballspieler kann und auf welchem Niveau er ist. Erfahrenen Lektoren geht es genauso.

Nicht anders als im Fußball, beim Reiten, bei der Musik gibt es typische Anfängerfehler. Die ein erfahrener Coach sofort sieht. Betrachtet ein Autor seine Personen nur von außen, schreibt ihnen Eigenschaften zu, statt den Leser diese erleben zu lassen (Tell statt Show), sieht ein professioneller Lektor das auf den ersten Seiten. Und kann das dem Autor sagen, ihm zeigen, wie er es besser machen kann.

Um zu sehen, dass die Dialoge noch holpern, muss ich nicht 500 Seiten holpernder Dialoge lesen. Dazu reichen die ersten Seiten. Das spart dem Autor Geld und mir Nerven.

Und auch Dramaturgie und Personen lassen sich schon aus einem Exposé und Leseprobe beurteilen.

5. Lektorat ist für Bücher

Natürlich soll ein Lektorat ein Manuskript verbessern. Noch wichtiger ist allerdings die Verbesserung des Autors. Aus einem Lektorat kann ein Autor eine Menge lernen. Gerade am Anfang ist das wichtig.

Kein Reiter ist nach zehn Reitstunden reif für die S-Dressur. Das erste Tor öffnet niemandem die Tür zur Bundesliga.

Und das erste vollendete Buch ist ein wundervolles Erlebnis für jeden Autor. Aber kein Beweis, dass er alles weiß, was fürs Schreiben wichtig ist.

6. Man kann alles auf einmal lektorieren

Wer alles auf einmal korrigieren möchte, verzettelt sich. Konzentriert euch auf eine Sache. Wer die Handlung seiner Geschichte überprüft, kann sich nicht gleichzeitig auf die Rechtschreibung konzentrieren.

Obendrein ist nicht jeder Lektor auch ein guter Korrektor. Es gibt geniale Korrektoren, die mit einem Blick die Fehler auf einer Seite erkennen können. Die alten Bleisetzer in den Zeitungsredaktionen waren darin genial. Ich habe mal einem eine dichtbeschriebene Seite in die Hand gedrückt. Er warf einen kurzen Blick drauf, deutete dann auf eine Stelle ziemlich weit unten und sagte: »Da ist ein Fehler.«

Aber er sagte auch: »Fragen Sie mich nicht, was drinsteht.«

Dass Lektorat und Korrektorat unterschiedliche Dinge sind, hat seine Gründe.

7. Literatur- oder Germanistikstudium befähigt zum Lektor

Das Studium der Literatur oder Germanistik ist spannend, kann sinnvoll sein. Aber es befähigt sowenig zum Lektorieren, wie ein Physikstudium dazu befähigt, Autos zu reparieren.

Gute Lektoren erkennt man daran, wie sie arbeiten. Und das sieht man an Beispiellektoraten auf ihren Seiten. An Empfehlungen anderer Autoren.

Woran erkennt man einen guten Lektor?

Selfpublishing und Lektorat

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Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen

Impressum Homepage Hans Peter Roentgen

Die sieben häufigsten Irrtümer über Lektorate

6 Gedanken zu “Die sieben häufigsten Irrtümer über Lektorate

  1. Hat dies auf Katharina Münz rebloggt und kommentierte:
    Es ist mir heute eine besondere Freude den Artikel von Hans–Peter Roentgen zum Thema Lektorat zu rebloggen. Wenn man seine 7 Punkte liest, erschließt sich, weshalb er zu einer Art grauen Eminenz in Sachen Coaching deutschsprachiger Autoren geworden ist. Teffend. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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  2. „Und das sieht man an Beispiellektoraten auf ihren Seiten.“

    Von dieser Art der Präsenz nahm ich von Beginn an Abstand. Denn zeige ich einen guten Text, fragt sich der Leser, ob er mich überhaupt braucht. Nehme ich einen schlechten Autor, um meine Leistungen hervorzuheben, denunziere ich ihn. Selbst ohne Name erhielt ich bisher dafür kein Einverständnis.

    Als freie Lekorin (ehem.) beschränkte ich mich auf ein Probelektorat sowie die Angabe der erfolgreich bearbeiteten Bücher.

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