Klappentextlektorat 3/2017

Wildes Kraut aus dem Weltall

(c) Kurt Beinwell

Diesmal habe ich drei verschiedene Fassungen eines Klappentextes, die ich vorstellen und lektorieren möchte.

Text 1

Erst kommt seine Frau bei einem gemeinsamen Autounfall ums Leben, und er bleibt mit chronischen Schmerzen allein zurück. Was soll nun aus seinem kleinen Bauernhof werden? Bei einer Routinekontrolle des Weizenfeldes macht er einen merkwürdigen Fund und plötzlich scheint sich das Leben wieder zum Guten zu wenden.

Was er nicht weiß: Eine außerirdische Pflanze hält ihn auf dem eigenen Grundstück gefangen und manipuliert seinen Verstand. Kann er noch den eigenen Augen und Ohren trauen, und wird es ihm gelingen, sich von diesem wilden Kraut aus dem Weltall zu befreien?

Text 2

Markus Schmidt lebt allein auf der Farm, nachdem er bei einem tragischen Unfall seine Frau, und einen Teil der Gesundheit verloren hat. Er ist ein verzweifelter Landwirt, der sich irgendwo in Deutschland Sorgen um seine Zukunft macht.

Doch scheinbar liegt die Lösung all seiner Probleme auf dem Weizenfeld, wo in der letzten Nacht etwas vom Himmel gefallen ist …

Eine spannende und kurzweilige Science Fiction/Mystery Kurzgeschichte. Sie könnte heute oder morgen jedem von uns passieren, vorausgesetzt Sie glauben an Aliens!

Text 3

© Anni Neumann

Ein tragischer Verlust stellt das Leben von Markus Schmidt auf den Kopf. Alle Hoffnungen und Träume scheinen zerschlagen. Doch nach einem mysteriösen Fund in seinem Weizenfeld verschwimmen Wunsch und Wirklichkeit, Fiktion und Faktum miteinander.

Wird er den Machtkampf, in dem es um nicht weniger als seine gesamte Existenz geht, für sich entscheiden?

Übung

Welche Fassung gefällt Ihnen am besten? Wählen Sie eine aus und schreiben Sie auf, warum Sie Ihnen gefällt.

Lektorat

Die gleiche Geschichte kann man ganz unterschiedlich in Klappentexten vorstellen. Wenn Sie mit Ihrem Klappentext nicht weiterkommen, ist es eine gute Idee, einfach verschiedene Fassungen zu schreiben und zu vergleichen.

Und aus diesen drei Fassungen lässt sich leicht herausfinden, was das für eine Geschichte ist. Ein Bauer in Schwierigkeiten und eine außerirdische Pflanze, die ihm scheinbar die Lösung aller seiner finanziellen und persönlichen Nöte bietet. Doch wer sich mit Außerirdischen einlässt, sollte die Folgen bedenken.

Der Pitch und der Auslöser

Für den Klappentext ist es wichtig, zu entscheiden: Was ist das Zentrum der Geschichte? Was ist der Konflikt? Oft ist das von Autoren nicht einfach zu beurteilen, sie haben die vierhundert Seiten ihrer ganzen Geschichte im Kopf. Und die verstellen ihnen den Blick auf das Wesentliche.

Mein Tipp: Schauen Sie sich an, was Ihre Geschichte in Gang setzt. Was ist der Point of No Return, was ist der Punkt, der den Alltag unterbricht und dafür sorgt, dass nichts mehr ist, wie es war? Der Punkt, ab dem es kein Zurück zum bisherigen Alltag mehr gibt?

Markus Schmidt bewirtschaftet mit seiner Frau einen Bauernhof und kann davon leben. Doch dann stirbt die Frau bei einem Unfall und er selbst leidet unter chronischen Schmerzen und kann nicht mehr so zulangen wie früher.

Es gibt keinen Weg zurück in den Alltag vor dem Unfall.

Ein Pitch sollte kurz sein. Also formulieren wir das kurz und knapp:

Markus Schmidt ist ein verzweifelter Landwirt, der sich Sorgen um seine Zukunft macht.

Das wäre der Ausgangspunkt. Für einen Pitch ist das noch zuwenig, denn das schildert nur eine Situation, keine Handlung. Was wäre in unserem Beispiel die Handlung?

Dass eine Pflanze in seinem Weizenfeld auftaucht, die die Lösung all seiner Probleme verspricht.

Markus Schmidt ist ein verzweifelter Landwirt, der vor dem Ruin steht. Doch da fällt etwas vom Himmel in sein Weizenfeld und scheint die Lösung aller seiner Probleme zu bringen.

Jetzt haben wir einen Pitch. Und damit auch zwei Sätze, mit denen der Klappentext beginnen könnte. Außerdem habe ich die Formulierung verschärft. Markus Schmidt macht sich nicht nur Sorgen um seine Zukunft. Er steht vor dem Ruin.

Ein Auslöser ist besser als zwei

Fällt Ihnen etwas auf? Was genau wissen Sie über den Auslöser?

Nur, dass er Markus Schmidt in den Ruin treiben kann. Dass es einen Unfall gab, dass die Frau starb, dass er jetzt chronische Schmerzen hat, habe ich weggelassen. Mut zur Lücke gehört zum Klappentext wie Bier zum Oktoberfest.

Habe ich nicht immer gepredigt: Auch ein Pitch sollte anschaulich sein? Und jetzt streiche ich den Unfall und die Schmerzen, beides sehr anschaulich?

Leser kennen die Furcht vor dem Ruin, vor der Pleite. Das ist etwas, das sofort ein Bild auslöst. Deshalb reicht das für den Pitch. Mehr brauchen wir nicht. Nehmen Sie einen anschaulichen Begriff aus Ihrem Buch. Am besten den, der die schlimmsten Ängste weckt. Der anzeigt: Hier geht es nicht um die üblichen Alltagssorgen, hier geht es um die Existenz. Wenn Markus Schmidt den Ruin nicht abwenden kann, landet er bei Hartz-IV und mit seiner Selbstständigkeit ist es Essig.

Die Bedrohung

Das erste Problem ist also gelöst. Die Pflanze rettet Schmidt den Bauernhof. Aber in guten Geschichten folgt auf die Lösung einer Bedrohung sofort das nächste Problem. In unserem Fall: Die Pflanze manipuliert seinen Verstand. Er ist nicht mehr Herr im eigenen Kopf.

Formulieren wir das:

Was er nicht ahnt: Diese Pflanze manipuliert seinen Verstand. Bald ist er nicht mehr Herr im eigenen Kopf.

Das verschärft die Bedrohung. Diese beiden Sätze sind nicht unbedingt nötig. Denn Science Fiction Leser ahnen schon aus den vorigen Sätzen: Das wird bös enden. Die Sätze betonen das nochmals, stellen es klar. Deshalb würde ich sie einfügen.

Der Abschluss des Klappentextes

Damit haben wir den Klappentext fertig. Oder?

Am Ende ist es immer gut, eine Zusammenfassung zu schreiben. Was ist das für eine Geschichte. Wie wäre es mit:

Eine spannende und kurzweilige Science Fiction Geschichte aus unserer Zukunft!

Der erste und der letzte Satz eines Textes sind besonders wichtig. Denn die haben die meiste Wirkung, bleiben im Gedächtnis. Deshalb ist ein Abschlusssatz gut. Aber bitte keine Übertreibungen, kein Jahrmarktgeschrei.

Ich habe nichts dagegen, wenn Ihr diesen Blog teilt, verlinkt, weiter empfehlt. Wenn Ihr anderer Meinung seid oder etwas zu diesem Beispiellektorat beitragen wollt, scheut Euch nicht, es mir zu mailen oder in FB zu kommentieren! Ihr könnt auch eure Klappentexte für ein Beispiellektorat vorschlagen.

Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen

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Klappentextlektorat 3/2017

6 Gedanken zu “Klappentextlektorat 3/2017

  1. Das Ergebnis spricht mich überhaupt nicht an. Auch wenn der einleitende Satz die Ausgangssituation noch so gut zusammenfasst, enthält er keinen narrativen Haken, der mich zum Weiterlesen bringt. Ein verzweifelter Landwirt, der vor dem Ruin steht – das ist für mich erst mal nichts als eine platte Behauptung, noch nicht einmal schön formuliert. Das Wort Ruin ist für mich viel zu pauschal, um Bilder hervorzurufen.
    Um mich emotional zu packen, bräuchte es einer wesentlich konkreteren Begründung, für die sich durchaus einige der vorher gestrichenen Elemente verwerten. Da aller guten Dinge bekanntlich drei sind (besonders in Aufzählungen), packe ich sogar noch eins drauf:

    Die Frau ist tot, sein Rücken kaputt und er weiß nicht mal, wie er die nächste Rate für den Mähdrescher aufbringen soll.

    Das ist konkret, auch wenn der Ruin nicht erwähnt wird. So gefasst bedarf es eigentlich auch keiner Erwähnung, dass Martin Schmidt verzweifelt ist. Außerdem wollen wir tatkräftige Protagonisten, deshalb ist es m. E. besser, die Verzweiflung wegzulassen und ihm etwas Kampfgeist mitzugeben.

    Aber noch ist Martin Schmidt nicht gewillt aufzugeben.

    Damit hätten wir auch den Namen eingeführt. Als nächstes brauchen wir den Bogen zur Entdeckung im Weizenfeld. Dabei wäre mir wichtig, nicht „irgendwas“ aus dem Himmel fallen zu lassen, sondern gleich zu sagen, dass es eine Pflanze ist.
    Woher weiß er überhaupt, dass sie aus dem Himmel stammt? Sieht er den Einschlag? Dann sollte das vielleicht erwähnt werden. Da ich die Geschichte nicht kenne, spinne ich weiter:

    Bei einer morgendlichen Routinekontrolle stellt er fest, dass sich im Weizenfeld ein Kornkreis gebildet hat. Mittendrin steht eine Pflanze. Eine, wie Martin Schmidt sie nie zuvor gesehen hat.

    An dieser Stelle kommt zur Frage, ob Martin Schmidt es schaffen wird, seinen Hof zu retten, die Neugier hinzu, was es mit dieser Pflanze auf sich hat. Jetzt bräuchte ich einen Handlungsschnipsel zum Überbrücken der Zeit. Also z. B.:

    In der Hoffnung, mit seiner Entdeckung wenigstens etwas Geld zu verdienen, nimmt er Proben und schickt sie an verschiedene biologische Institute. Während er auf die Ergebnisse wartet, scheint sich sein Leben allmählich wieder zum Guten zu wenden.

    Nach dieser scheinbaren Wendung zum Guten, ist es natürlich Zeit für die Wendung zum ganz bösen und für den dritten narrativen Haken. Hier gefällt mir ein Mix aus der Musterlösung und dem dritten Vorschlag am besten.

    Was er nicht weiß: Die Pflanze manipuliert seinen Verstand. Bald verschwimmen Wunsch und Wirklichkeit, Fakten und Fiktionen. Wird Martin Schmidt die Täuschung rechtzeitig durchschauen?

    Die Frage am Ende wäre für mich wichtig, um dem Gefühl vorzubeugen, damit sei schon alles gesagt.
    Beim Genre würde ich mich auf das Notwendigste beschränken:
    Eine Science-Fiction Kurzgeschichte.
    Science Fiction spielt ohnehin meist in der Zukunft, die Spannung ergibt sich (hoffentlich) aus dem Klappentext und das „kurzweilig“ doppelt sich mit der Kurzgeschichte. Die Länge zu erwähnen, ist dagegen ein absolutes Muss, um keine Erwartungen zu enttäuschen. Wenn diese Lösung zu kurz klingt, lässt sie sich eventuell durch einen regionalen Bezug aufpeppen: „Eine Science-Fiction Kurzgeschichte, Schauplatz: der Südharz“, hätte durchaus Originalitätswert.

    Insgesamt würde meine Lösung daher lauten:

    Die Frau ist tot, sein Rücken kaputt und er weiß nicht mal, wie er die nächste Rate für den Mähdrescher aufbringen soll. Aber noch ist Martin Schmidt nicht gewillt, aufzugeben.
    Bei einer morgendlichen Routinekontrolle stellt er fest, dass sich im Weizenfeld ein Kornkreis gebildet hat. Mittendrin steht eine Pflanze. Eine, wie Martin Schmidt sie nie zuvor gesehen hat.
    In der Hoffnung, mit seiner Entdeckung wenigstens etwas Geld zu verdienen, nimmt er Proben und schickt sie an verschiedene biologische Institute. Während er auf die Ergebnisse wartet, scheint sich sein Leben allmählich wieder zum Guten zu wenden.
    Was er nicht weiß: Die Pflanze manipuliert seinen Verstand. Bald verschwimmen Wunsch und Wirklichkeit, Fakten und Fiktionen. Wird Martin Schmidt die Täuschung rechtzeitig durchschauen?

    Eine Science-Fiction Kurzgeschichte.

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    1. Liebe Nikeleonhard, danke für deinen ausführlichen Kommentar. Leider werden viel zu selten Alternativen aufgezeigt. Aber genau das ist wichtig, damit Autoren und Lektoren sich weiterentwickeln.
      Deinen Pitch halte ich für eine grandiose Idee, sehr viel besser, als das, was ich vorgeschlagen habe.
      Aber einen Satz „Aber noch ist Martin Schmidt nicht gewillt aufzugeben“ würde ich nicht in den Klappentext schreiben.
      Einmal, weil das nicht mit dem INhalt des Textes übereinstimmt, soweit ich ihn aus den drei Klappentexten entnehmen kann.
      Zum anderen aus erzähltechnischen Gründen. Zwar sollen Helden aktiv sein – aber im Laufe der Geschichte. Dass der Held anfänglich verzweifelt ist, nicht mehr weiter weiß, „Call to Action“ abwehrt, hat den Vorteil, dass er während der Geschichte wachsen kann. Jemand, der von anfang an nicht aufgibt, tut sich mit Pflanzen aus dem Weltall sehr viel leichter ;-). Jemand, der aufgegeben hat, dann die Pflanze sieht, glaubt, alle Probleme wären jetzt gelöst ohne dass der etwas tun muss, für den ist der Fall sehr viel tiefer. Wenn er entdeckt, dass die Rettung seiner Probleme als Preis seinen Kopf fordert. Wird er jetzt endlich aktiv werden? Wird er sich zu jemanden wandeln, der nicht aufgibt? Deshalb wäre ein anfänglich verzweifelter, passiver Held hier besser, finde ich.
      Deine Vorschläge für mehr Anschaulichkeit sind richtig, das sind tolle Verbesserungen.
      Am Ende würde ich im letzten Satz mehr als nur das Genre erwähnen. Noch ein bißchen, was das besondere an der Geschichte ist,

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  2. Lieber Hans Peter,
    natürlich hast du recht: Ich habe ein paar Details dazugesponnen. Den Kornkreis zum Beispiel, oder
    dass der Protagonist Proben einschickt. Dagegen war die Behauptung, dass der Protagonist noch nicht bereit ist, aufzugeben, eine fundierte Annahme, aufgrund von Text 1. Jemand, der aufgegeben hat, würde m. E. keine Routinekontrollen mehr machen, sondern alles sich selber überlassen.
    Dein Argument, mit der Fallhöhe hat aber auch eine Menge für sich. Die Konstellation, die du beschreibst, eröffnet mehr Entwicklungspotential und größere Wahrscheinlichkeit zu scheitern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob man ihm aufgrund des Klappentexts zutraut, rechtzeitig den Hintern hochzukriegen.
    Aber damit kommen wir – glaube ich – in die Bereiche von Bauchgefühl.
    Beim Genre gebe ich dir beim genauen Nachdenken recht. Ein bisschen mehr als Genre und Länge wäre besser.
    Viele Grüße und herzlichen Dank für den spannenden Input! Ich genieße solche Diskussionen sehr.
    Nike

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  3. Liebe Nike Leonhard,
    ich geniesse solche Diskussionen auch sehr und finde, dass sie viel zu selten stattfinden.
    Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag,
    Hans Peter

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