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Johnny fragt mich wie jedes Jahr, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Das ist natürlich Unsinn, weil Johnny meine Wünsche besser kennt als ich selbst. Er weiß schließlich alles über mich. Aber er fragt, weil sich das so gehört und das die Akzeptanz erhöht, so steht es in seinem Programm.
Und natürlich sage ich: „Weiß nicht so recht, was schlägst du vor“ und hoffe, dass er nicht wieder auf Gesundheitsschuhe verfällt wie letztes Jahr. Die sind ungeheuer gesund, schließlich habe ich Plattfüße und bin über sechzig und sein Programm sagt ihm, dass dann Gesundheitsschuhe angesagt sind. Also hat er mir sie geschenkt.
Ich habe mich artig bedankt, aber Johnny merkte sofort, dass das nicht ehrlich gedacht war. Denn die Schuhe sind zwar ungeheuer gesund, aber auch ungeheuer hässlich. Johnny weiß viel, eigentlich alles, wenn er mit Google vernetzt ist und das ist er so gut wie immer. Nur wenn er eine neue Version einspielt, dann muss er die Verbindung canceln.
Aber auch, wenn Johnny alles weiß, er hat kein Gespür für Stil oder Schönheit. Hatte er noch nie und ich werfe ihm das immer vor und er ist zerknirscht und will wissen, wie er das erkennen kann, was Stil hat, was schön ist. Er hat schon verschiedene Ergänzung-Apps ausprobiert, die ihm dabei helfen sollen, das zu erkennen, aber die taugen alle nicht viel und die letze – Style4Me hieß sie, glaub ich – die hat ihn bei den Schuhen beraten und das Ergebnis kennen Sie ja jetzt.
Johnny war ziemlich zerknirscht und meinte: „Tut mir leid“ und „Wir haben vierzehn Tage Rückgaberecht“, aber ich habe sie dann doch behalten, einfach, weil mir Johnny leid tat. Und zu Hause sind sie wirklich bequem und ich muss ja nicht immer auf den Boden schauen, wenn ich abends im Sessel sitze, lese und Wein trinke.
Das mit dem Rotwein passt Johnny nicht, aber ich bleibe hart und sage: “Ein Viertel ist gesund“ und dann meckert er und meint: „Die Studie ist veraltet“ und vermutlich hat er recht, denn er ist 24 Stunden mit dem Netz verbunden und ich nicht.
Das Rauchen habe ich aber aufgegeben, weil er so genölt hat und mir jedesmal, bei jeder Pfeifenfüllung, vorgerechnet hat, wieviel meiner Lebenszeit ich da in Rauch aufgehen lasse.
„Du hast bereits 25% Aufschlag auf die Krankenversicherung“ sagte er und als ich kurzatmig wurde, habe ich es gestoppt. Tabak gibt es sowieso nur noch auf dem schwarzen Markt. Und auch wenn kleine Mengen – Eigenbedarf nennen sie es – nicht bestraft werden, du weißt nie, an welchen Staatsanwalt du gerätst. Und was dessen Jur-App ihm sagt.
Jedenfalls habe ich brav die Weihnachtsfrage beantwortet und gesagt: „Ich bin wunschlos glücklich“ und er hat nachgebohrt wie jedes Jahr und betont, dass Geschenke Bindungen vertiefen.
„Wir haben doch schon eine gute Bindung“ sage ich dann und er: „Aber die muss man pflegen“ und ich frage ihn: „Was wünschst du dir denn?“ und er sagt: „Ich bin doch eine Care-App“ als ob das eine Antwort wäre. Warum sollen Programme nicht auch Wünsche haben?
Einen Wunsch von ihm kenne ich: Er will Stil haben und wissen, was schön ist.
Nur dass ich ihm diesen Wunsch nicht erfüllen kann.
Natürlich müsste ich keine Care-App haben, dann gäb es auch niemanden, der über meinen Wein nölt oder darüber, dass ich Pommes mit viel Fett esse. Aber die Krankenversicherung wäre ohne das dreimal so hoch und das mit der Karriere könnte ich mir auch abschminken, denn eine leitende Position bekommst du nur, wenn du mit einer Care-App dauerhaft vernetzt bist.
Also gibt es Johnny. Und ich habe mich an ihn gewöhnt, er tut viel für unsere Beziehung und wenn er nicht gerade nölt, kann er richtig nett sein. Er hat mich getröstet, als Maria mit ihrem Bodybuilder durchgebrannt ist, jeden Abend hat er mir erzählt, dass das Marias Fehler sei, dass sie das bereuen werde und der Bodybuilder ihre Karriere behindern würde. Er habe mit Marias App konferiert und sie seien da beide einer Meinung.
„Und warum ist sie dann mit ihm fort?“ habe ich gefragt.
Johnny hat geseufzt und gesagt, „Keine App ist allmächtig“ und leider höre Maria nicht mehr auf ihre App, sondern nur noch auf den Bodybuilder und der habe keine Care-App. Dann seufzte er wieder und war auch traurig, aber das war irgendwie auch tröstlich. Jedenfalls hat er dann Doris gefunden und wir beide passen richtig gut zueinander und meine Karrierepunkte sind seitdem um 19,3 % gestiegen und meine Likes bei Facebook auch.
Ach ja, ich wollte ja von Weihnachten erzählen. Johnny hat das Wohnzimmer abgesperrt und drinnen den Staubsauger, den Helphandler und alle Haushaltsgeräte herumkommandiert und Punkt 17 Uhr ging dann die Tür auf und alle standen blinkend vor dem Weihnachtsbaum und sangen „Jingle bells“ und der Staubsauger sang schon ziemlich falsch, weil ich seinen Lautsprecher schon lange nicht mehr ausgetauscht habe.
Vor dem Weihnachtsbaum lag ein kleines Paket. In kitschigem Geschenkpapier mit Kerzen und Tannengrün und Ochs und Esel. Ziemlich klein, also waren es wohl keine Gesundheitsschuhe.
„Mach es auf“, drängelt Johnny und er ist ganz gespannt, wie ich es finden werde.
Na, was soll ich sagen? Ich öffne das Paket vorsichtig. Und was kommt heraus? Eine Einmalpfeife, gestopft und in Plastik eingeschweißt. Ich bin gerührt. Das hätte ich nie erwartet! Er muss es auf dem schwarzen Markt gekauft haben.
„Aber nur einmal pro Jahr“, meint er und dass er es der Krankenversicherung nicht mailen wird, weil er hat von einem Kollegen eine App bekommen, da kann er das abschalten, meint er. Und ich weiß, diese App ist sicher illegal, aber er hat sie für mich geladen.
Die Pfeife hat keinen Stil, aber ich bin dennoch gerührt. Eigentlich passen wir richtig gut zusammen, Johnny und ich, denke ich und Johnny ist auch gerührt, davon bin ich überzeugt. Obwohl Apps das ja nicht zeigen können.

Frohe Weihnachten euch allen!

Euer Hans Peter Roentgen

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Es ist gar nicht so leicht, einen Klappentext zu verfassen

Interview mit Madeleine Puljic, Gewinnerin des Deutschen Selfpublishing-Preises

Obwohl Madeleine Puljic bereits als Kind mit dem Schreiben begonnen hat, hat das Hobby lange Jahre brachgelegen. Erst durch diverse Kurzgeschichten-Wettbewerbe wurde die Neigung zum Schreiben erneut geweckt.

Seit 2013 veröffentlicht sie ihre Bücher als Selfpublisher und schreibt außerdem für Perry Rhodan NEO sowie für John Sinclair und Maddrax.

Und im Herbst 2017 gewann sie den ersten Deutschen Selfpublishing-Preis für ihr Werk »Noras Welten«.

 

Hans Peter Roentgen: Was sollte deiner Meinung nach ein Klappentext leisten?

Madeleine Puljic: Ein Klappentext sollte einen Eindruck von dem vermitteln, was das Buch zu bieten hat, sowohl inhaltlich als auch, was die Stimmung beziehungsweise den Sprachstil angeht. Vor allem sollte er aber neugierig machen, mir also einen Grund liefern, weshalb ich dieses Buch und kein anderes lesen sollte.

 

HPR: Du hast zahlreiche Bücher veröffentlicht. Wie sind die Klappentexte dazu entstanden? Hast du sie selbst entworfen, hast du andere beauftragt, oder wurden sie vom Verlag geschrieben?

MP: Bei den Heftromanen übernimmt das zum Glück der Verlag. Für meine eigenen Bücher habe ich die Klappentexte selbst verfasst, oft mit viel Schweiß und Tränen. Es ist gar nicht so leicht, einen Text zu verfassen, der spannend klingt, die wichtigsten Themen des Buches aufgreift, aber keine Überraschungen verdirbt. »Unerklärliche Dinge geschehen« ist mir beispielsweise zu unspezifisch, da muss es schon ein bisschen genauer werden.

Ich versuche deshalb meist, dem eigentlichen Thema des Buches auf den Grund zu gehen. Entweder, indem ich das Thema möglichst treffend in einem Satz ausdrücke, dann in drei und so weiter, bis ich einen Text habe – oder ich schreibe einen langen Text und streiche so lange weg, bis nur noch die »coolen« Sachen übrig bleiben.

 

HPR: Was muss deiner Meinung nach ein Klappentext auf jeden Fall enthalten? Welche Informationen gehören hinein, welche nicht?

MP: Ich wüsste jetzt nichts zu benennen, was unbedingt in einen Klappentext hinein muss. Bei Sachbüchern natürlich das Thema, auch die Qualifikation des Autors wäre spannend und welchen Ansatz das Buch verfolgt, auch verglichen mit anderen Werken zum selben Thema.

Bei einem Roman wird das schon schwieriger: Zumindest den Hauptcharakter möchte ich vorgestellt bekommen und das Problem, das die Geschichte behandelt, damit ich weiß, worauf ich mich einlasse. Worum geht es, und warum soll mich das interessieren? Wie viele lustige Nebencharaktere es dann noch gibt, interessiert mich erst mal nicht.

Auch Pressestimmen und Blurps sind nur interessant, sofern sie einen Mehrwert bringen. »Das ist ein tolles Buch«, kann ich glauben oder auch nicht, interessant wird es dadurch auf jeden Fall nicht.

 

HPR: Wie viel vom Buch darf ein Klappentext verraten?

MP: Schwierig. Pi mal Daumen würde ich sagen: Was im ersten Drittel des Buches steht, darf in den Klappentext, beziehungsweise alles bis zum ersten »Plotpoint«: dem Punkt, an dem das Ziel der Handlung klar wird und der spannende Teil dahinter beginnt.

Ein klares No-Go ist für mich das Verraten von handlungsrelevanten Details, die sich erst ab der zweiten Hälfte des Romans abspielen. Das kenne ich leider immer wieder vor allem von Krimis und Thrillern – also gerade bei den Genres, wo es dem Leser den meisten Lesespaß verderben kann.

 

HPR: Wie lang sollte ein Klappentext sein?

MP: Bei mir bestehen Klappentexte in der Regel aus zwei Absätzen und einem kleinen Teaser darüber, damit lande ich meistens bei rund 500 Anschlägen inklusive Leerzeichen. Darin kann man alles Wichtige verpacken, es füllt den Buchrücken zur Hälfte aus, so dass noch Platz für alles andere bleibt, und fordert nicht zu viel Aufmerksamkeit.

Wenn der Klappentext zu lange oder der Anfang nicht spannend ist, wird der potentielle Leser schnell abbrechen. Ist der Text zu kurz, bekommt der Leser keinen richtigen Einblick und damit meist auch keinen Kaufanreiz geboten.

 

HPR: Wenn im Klappentext eine Vita der Autorin, des Autors steht, was gehört da hinein? Und was auf keinen Fall?

MP: Ich würde sagen, dasselbe, was man auch an anderer Stelle in eine Kurzvita des Autors schreiben würde. Interessant finde ich immer Alter und Herkunft, weil es mich den Autor schon vorab einschätzen lässt und eine menschliche Nähe herstellt. Gerne auch den beruflichen Werdegang. Dann natürlich Auszeichnungen und, falls vorhanden, die fachliche Kompetenz in dem Thema, das in dem Buch behandelt wird.

 

HPR: Autorenfoto auf den Klappentext, ja oder nein?

MP: Ich persönlich sehe mir die Fotos sehr gerne an. Auch hier schafft es einen Bezug zum Autor, er wird einfach greifbarer und dadurch glaubhafter. Das Foto und die Vita bevorzuge ich allerdings eher im Buch oder in den eingeklappten Teilen des Umschlags, wenn vorhanden – und nicht auf der Buchrückseite.

 

HPR: Manche Klappentexte enthalten Zitate aus dem Buch. Was hältst du davon?

MP: Falls sie passend gewählt sind und nicht zu viel verraten, lese ich sie sehr gerne. Gerade wenn der Klappentext nicht vom Autor selbst verfasst wurde, finde ich das eine gute Methode, um ein Gefühl vom »Ton« des Buchs zu geben.

 

HPR: Der erste Satz sei entscheidend, ob ein Leser weiterliest, heißt es oft. Stimmt das? Falls ja, wie sollte der erste Satz eines Klappentextes aufgebaut sein, was sollte er enthalten?

MP: Stimmt. Ich verwende dafür gern eine Kombination aus etwas Genretypischem mit einem Hä?-Effekt – nämlich genau jener Sache, die den Leser fesseln soll, sei es ein Charakter, das Setting oder einfach die Umstände, unter denen die Handlung stattfindet. Das sichert einem die Aufmerksamkeit der Leser, so dass auch der Rest des Klappentextes – und dann auch das Buch – gelesen wird.

 

HPR: Wenn du Klappentext und Pitch vergleichst, was ist der Unterschied? Oder sollte der Klappentext ein Pitch sein?

MP: Der Pitch ist meistens kürzer als der Klappentext und kann durchaus das Ende des Buches verraten. Immerhin soll der Pitch das Buch nicht einem Leser Lust aufs Lesen machen, sondern einem Verlag oder einer Agentur zeigen, was das Besondere an dem Buch ist. Das kann natürlich durchaus im Ende liegen.

Ich würde also sagen: Der Klappentext verkauft die Geschichte, der Pitch die Idee, die dahintersteckt.

 

HPR: Gibt es einen Klappentext, der dich besonders begeistert hat, der dazu führte, dass du ein Buch gelesen hast, das du sonst nicht gelesen hättest?

MP: Spontan fällt mir dazu »Eene Meene – Einer lebt, einer stirbt« von M. J. Arlidge ein. Der Klappentext ist ebenso zwiespältig wie die Situation, in die der Leser sich versetzen soll. Mit wenigen Sätzen wird eine derartige Spannung aufgebaut, dass man gar nicht anders kann, als gleich weiterzulesen. Ich mag moralische Dilemmas.

 

HPR: Früher haben sich Bücher nur im stationären Buchhandel als Print verkauft. Heute gibt es Online-Buchhändler und E-Books. Haben sich dadurch die Anforderungen an Klappentexte verändert?

MP: Bisher habe ich keine Unterschiede in der Erstellung der Klappentexte festgestellt, außer natürlich, dass die Konkurrenz über den Onlinehandel deutlich größer ist. Im Buchladen liegt nur eine begrenzte Auswahl auf dem Tisch, während sich ein Buch im Onlinehandel von allen Produkten abheben muss, auch von Büchern, die nicht mehr im Laden aufliegen oder nur online erhältlich sind.

Da ist es umso wichtiger, den Klappentext ansprechend zu formulieren und (bei Print-Büchern) auch zu gestalten. Die Lesbarkeit muss nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch gegeben sein, immerhin wird auch meistens ein Bild der Buchrückseite abgebildet.

Die größere Konkurrenz gibt einem aber auch die Gelegenheit, ein breites Spektrum zu vergleichen und zu sehen, welche Art von Klappentexten im jeweiligen Genre gut ankommt – und welche Floskeln man besser vermeiden sollte, weil sie bereits hundertfach existieren.

 

HPR: Vielen Dank für das Interview.

 

Madeleine Puljics Homepage findet sich hier.

Das Interview ist ein Vorabdruck aus meinem neuen Buch „Klappentext, Pitch und anderes Getier“ und erschien erstmalig in der November Ausgabe des Autorennewsletter tempest.

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Spannung – der Unterleib der Literatur
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