Das Lektorat: Ein unbekanntes Wesen

Endlich geschafft! ENDE steht unter der letzten Seite. Doch jetzt? Verlagsautorinnen müssen es, Selfpublisher sollten es: den Text ins Lektorat geben. Doch was passiert dort?

Manchen Nachwuchsautoren geht der Arsch auf Grundeis. Wird dort mein ganzer Text umgeschrieben? Dass niemand mehr meine Stimme erkennt? Damit es verkäuflich wird?

Oder werden nur Fehler in Stil, Grammatik, Formulierung verbessert?

Auch wenn im Internet beide Meinungen oft vertreten werden, glaube ich nach Hunderten, wenn nicht Tausenden von Lektoraten, nach sieben Büchern über die Arbeit des Lektorierens, dass etwas anderes wichtig ist. Sicher, ich korrigiere in Texten auch Stilblüten, Bandwurmsätze und manches andere.

Ein Film muss starten

Aber meine erste Frage ist immer: Lässt der Text einen Film im Leser, in der Leserin ablaufen?

Denn wenn im Kopf kein Film abläuft, legen die meisten ihn beiseite. Und vergessen ihn schnell wieder. Mein Ziel ist also: dass der Text, den ich lektoriere, einen Film ablaufen lässt.

Filmrisse

Autorinnen und Autoren kennen ihren Text. Sie haben den Film im Kopf, der beim Lesen ablaufen soll. Und genau deshalb benötigen sie ein Lektorat. Denn weil sie den Film kennen, fällt ihnen nicht mehr auf, wo ihr Text keinen Film ablaufen lässt.

Das können Kleinigkeiten sein, wenn zum Beispiel ein Wort fehlt. Oder nichtssagende Sätze wie: „Sie war eine schöne Frau.“ Der Autor hat das Bild dieser schönen Frau im Kopf, bei ihm läuft der Film. Beim Leser, der dem Autor nicht in den Kopf schauen kann, gibt es einen Filmriss. Und der Lektorin fällt es ebenfalls auf. Denn auch sie kann dem Autor nicht in den Kopf gucken. Und es auch Testleserinnen fällt das auf, deshalb sind sie so wertvoll.

Was aber einem professionellen Lektor auffällt, ist nicht nur der Filmriss. Sondern er kann auch sagen, warum der Film reißt. Und Vorschläge machen, wie man den Film an der Stelle verbessert, damit die Leserinnen im Film bleiben.

Auch alte Häsinnen und Hasen benötigen ein Lektorat

Das ist der Grund, warum so gut wie alle erfahrenen Autorinnen – gleich, ob Selfpublisher oder Verlagsautorin – Wert auf ein Lektorat legen. Sie wissen genau, dass man beim Schreiben seinen Film im Kopf hat. Und deshalb oft nicht mehr merkt, wenn der Text diesen Film nicht ablaufen lässt, sondern reißt. Oder gar nicht erst startet.

Schreibregeln

Deshalb gibt es auch die Schreibregeln. „Show, don`t tell“: Zeigen, nicht behaupten. Behaupte nicht, was in deiner Geschichte abläuft, zeige es dem Leser. Damit in dessen Kopf ein Film abläuft.

Auch andere Schreibregeln haben hier ihren Grund. Verwenden Sie das genau passende Wort, nicht seinen Cousin, meinte Mark Twain. Ein Wort muss sitzen, damit es Bilder entstehen lässt. Ein „Kampfhund“ weckt bessere Bilder als ein „gefährliches Tier“.

Marketing

Und das alles gilt natürlich auch für die wichtigen Marketingelemente wie Cover, Pitch, Klappentext und Exposé. Auch im Lektor, in der Literaturagentin, im Buchhändler muss ein Film ablaufen. Damit er das Gefühl hat: Das kann ich verkaufen. Erst recht in den Leserinnen, die das Buch in der Buchhandlung in die Hand nehmen oder im Internet sehen. Klappentext und Cover müssen einen Film starten.

Fazit

Das Lektorat ist so wichtig, weil es kontrolliert, ob ihr Text einen Film ablaufen lässt. Und wo es möglicherweise zu Filmrissen kommen kann.

(C) Hans Peter Roentgen

Schicken Sie mir vier Seiten Ihres Textes (hpr@textkraft.de) und mit etwas Glück bespreche ich ihn hier im nächsten Blog

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