Im Lektorat überprüfe ich Plot und Struktur und ich arbeite das Manuskript Satz um Satz, Wort um Wort durch

Lisa Kuppler führt „Das Krimibüro“ (http://www.krimilektorat.de) in Berlin, coacht Autorinnen und Autoren und bietet Schreibworkshops an.

Hans Peter Roentgen: Du lektorierst hauptsächlich Krimis? Was machst du in so einem Lektorat?

Lisa Kuppler: Ich habe Mitte der 1990er Jahre beim Rotbuch Verlag mit dem Krimilektorieren begonnen und damals das Krimibüro in Berlin gegründet. Der Name ist inzwischen etwas irreführend, denn heute lektoriere ich alle Genres sowie belletristische Titel. Mein letztes Lektorat war ein Thriller, davor ein Upmarket-Frauenroman, davor eine belletristische Kurzgeschichten-Sammlung und davor ein Science-Fiction.

Im Lektorat überprüfe ich Plot und Struktur eines Buches, also die Dramaturgie der gesamten Geschichte – das Strukturlektorat. Und ich arbeite das Manuskript Satz um Satz, Wort um Wort durch und merke alles an, was im klassischen Lektorat angemerkt wird: Perspektivfehler, unschöne Wort- und Lautwiederholungen, unschöne oder falsche Wortwahl, schiefe und unpassende Bilder, Zeitfehler usw. – das Sprachlektorat.

HPR: Wie sieht der typische Ablauf eines solchen Lektorats aus? Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

LK: Wenn ich nicht für einen Verlag, sondern für einen selbständigen Autor bzw. eine Autorin arbeite, biete ich ein Probelektorat von 5 bis 10 Seiten an. Daraufhin entscheidet sich die Autorin, der Autor, ob sie mit mir zusammenarbeiten wollen. Wir einigen uns über die Kosten und den Zeitrahmen. Dann mache ich das Sprachlektorat, falls gewünscht, zuvor ein Strukturlektorat. Danach geht das lektorierte Manuskript zurück zum Autor, zur Autorin. Die oder der überarbeitet das Manuskript aufgrund meiner Lektoratshinweise. Wenn gewünscht, kommt das endredigierte Manuskript dann noch einmal zu mir zurück und ich mache eine Endredaktion, also einen letzten Lesedurchgang, in dem ich alles anmerke, was mir noch an Punkten auffällt, die verbessert werden können.

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

LK: Ich biete Arbeit am Exposé an, am liebsten in Form eines „Exposé-Pingpongs“. Da schicken die Autorin bzw. der Autor und ich das Exposé immer wieder hin und her: Ich merke an, was unverständlich oder noch nicht gut formuliert ist, die Autorin überarbeitet, ich kriege die neue Fassung, merke wieder alles an, was mir auffällt, der Autor macht wieder eine Überarbeitung – so lange, bis wir ein starkes, gut und griffig formuliertes Exposé haben, mit dem sich die Autorin, der Autor professionell bei einer Agentur bewerben kann.

Ich biete auch Manuskriptgutachten an. Und ich schaue mir schon mal einen Klappentext an, aber ein richtiges Klappentext-Lektorat biete ich nicht an.

HPR: Kannst du uns drei typische Probleme nennen, die du immer wieder überarbeiten musst?

LK: Im Strukturlektorat ist ein typisches Problem die Vermittlung von Vorgeschichte und Hintergrundinformationen. Da denken sich Autor*innen manchmal schwierige Prologe oder Konstruktionen aus, die für die Leser*innen nicht zu verstehen oder schlicht langweilig sind. Das merke ich dann an und mache Vorschläge, oder wir entwickeln zusammen eine Lösung, die funktioniert.

Im Sprachlektorat geht es oft um die Bezüge im Satz: Damit ein Text „geschmeidig“ zu lesen ist, sollte immer klar sein, welche Pronomen sich auf welche Figur oder welches Wort beziehen. Die Leser*innen sollen gar nicht aus dem Text fallen mit der Frage: „Worauf bezieht sich das jetzt?“ Im Lektorat schlage ich dann Änderungen vor, damit die Bezüge stimmen. Das ist oft auch eine Arbeit am Rhythmus und Flow eines Textes.

Und immer wieder geht es auch bei erfahrenen Autor*innen um das Schreiben von Gefühlen. Ich merke z. B. Nominalstil oder wertende Adverbien / Adjektive an, mit denen Autor*innen Gefühle nur behaupten, und mache Vorschläge, wie sie an der jeweiligen Stelle Gefühle zeigen können – über das „Einfärben“ der Umgebung z. B. oder über Erinnerungen.

HPR: Auf deiner Homepage bietest du auch Workshops an. Wie habe ich mir das vorzustellen? Was machst du da?

LK: Zusammen mit dem Autor Carlo Feber biete ich am Nordkolleg in Rendsburg (nordkolleg.de/seminare/details/seminar/l09-2020/) eine Roman-Coaching-Woche an, jedes Jahr die Himmelfahrtswoche von Montagabend bis Samstagmorgen. Die Teilnehmer*innen reichen ein Exposé und 15 Seiten ihres Projektes ein. Im Vorfeld entwickeln Carlo und ich für jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer drei „Meilensteine“: drei Plotting- oder Schreibaufgaben zum individuellen Projekt, zugeschnitten auf das, was wir für die Schwächen oder einfach die nächsten Schritte am Projekt halten.

Im Kurs wechseln sich dann Unterrichtseinheiten (zu Perspektive, Plotten, Dialog, Szenenschnitt usw.) ab mit Textbesprechungen und Schreibübungen. Es gibt einen freien Tag nur zum Schreiben, am Ende organisieren die Teilnehmer*innen in Eigenregie eine Lesung.

Ein anderes Seminar-Konzept biete ich online an, jedes Jahr im August. (krimilektorat.de/lisa221b/schreiben-wie-die-profis/roman-coaching-online/). Das Online-Roman-Coaching läuft vier Wochen, Schreiben intensiv mit Chats und Schreibübungen und drei Aufgaben, die ich individuell für die Teilnehmer*innen entwickle. Es gibt keine Unterrichtseinheiten, sondern vier Feedback-Telefonate mit mir, eines zum Gesamtprojekt und drei Telefonate zu den Aufgaben.

Ab September 2020 werden Carlo und ich eine Schreibakademie am Nordkolleg in Rendsburg anbieten. Wir sind gerade in der Endphase der Entwicklung. Die Schreibakademie bietet eine Autorenausbildung, die über einen Zeitraum von zehn Monate geht, mit sechs Präsenz-Seminaren am Nordkolleg und einer intensiven Betreuung in den Zeiten zwischen den Seminaren.

HPR: Du bietest auch Coaching an, wie läuft das ab?

LK: Das individuelle Autorencoaching richtet sich ganz danach, was der Autor, die Autorin gerne haben möchte. Manchmal ist das ein Plotting-Wochenende, an dem die Autorin zu mir ins Krimibüro nach Berlin kommt und wir gemeinsam den Plot und die Dramaturgie eines Buchprojekts erarbeiten. Oder das Coaching geht über einen längeren Zeitraum, mit monatlichen Telefonaten – da gebe ich eine Art Schreibstruktur vor und bin Coach und Lektorin in einem.

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

LK: Ich erwarte nicht, dass die Autorinnen und Autoren alle meine Änderungen übernehmen. Lektoratsvorschläge sind eben das: Vorschläge. Für mich ist ein Lektorat dann am erfolgreichsten, wenn ich einen Vorschlag mache, und der Autor, die Autorin durch meinen Vorschlag angeregt, auf eine dritte, optimale Lösung kommt.

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

LK: Von den Autoren und Autorinnen höre ich immer: „Ich habe fast alles übernommen.“ Ich gehe davon aus, dass sie 90 % meiner Vorschläge umsetzen.

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben?

LK: Der Autor, die Autorin hat das letzte Wort. Es ist sein und ihr Buch. Es geht beim Lektorat nicht darum, dass jeder Vorschlag akzeptiert wird. Ich sehe mich als Profileserin mit einer Expertise im jeweiligen Genre und in dem, wie Texte auf Leser*innen wirken. Aber ich habe ganz sicher nicht immer recht. Und es gibt Stellen, an denen dem Autor, der Autorin etwas so wichtig ist, dass sie meinen Vorschlag nicht umsetzen möchten, und das ist vollkommen okay.

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konnten? Was passiert dann?

LK: Vor etlichen Jahren habe ich von einem Verlag einen Lektoratsauftrag erhalten. Nach den ersten Gesprächen war klar, dass der Autor grundsätzliche handwerkliche Kritik nicht annehmen wollte. Das Buch wurde dann nicht gemacht. Für mich war das sehr bedauerlich, denn die Buchidee und der Plot waren interessant. Aber wenn eine Autorin, ein Autor „lektoratsresistent“ ist, dann ist eine professionelle Zusammenarbeit nicht möglich. Für mich ist das immer ein Zeichen, dass ein Autor, eine Autorin sich nicht entwickeln möchte.

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

LK: Ich schaue mir das Manuskript genau an, bevor ich einen Lektoratsauftrag annehme. Und ich lehne Texte auch ab; ich lektoriere nicht alles. Für manche Texte bin ich nicht die richtige Lektorin, und für manche Autor*innen ist es sinnvoller, wenn sie sich erst einmal handwerkliches Know-how aneignen, bevor sie mit einer Lektorin zusammenarbeiten.

HPR: Was gehört zu deinem Lektorat? Grammatik, Rechtschreibung? Stil? Was noch?

LK: Grammatik, Stil, Stimme, alle handwerklichen Aspekte, Plot und Dramaturgie.

Ich merke Rechtschreibfehler an, wenn sie mir auffallen, aber die Rechtschreibkontrolle sollte ein professionelles Korrektorat übernehmen. Da geht es der Lektorin wie dem Autor: Man ist so im Text drin, dass man Rechtschreibfehler nicht mehr sieht.

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

LK: Ich habe einen festen Normseitenpreis, und derzeit liegt der bei 5 bis 7 €, je nach Arbeitsaufwand, der in dem Manuskript steckt. Begutachtungen und Coaching berechne ich nach Stunden, mein Stundenhonorar liegt derzeit bei 40 €. Bei der Arbeit an Exposés vereinbare ich meistens einen Pauschalpreis.

HPR: In welchem Bereich bewegt sich der durchschnittliche Aufwand für ein Manuskript eines Taschenbuchs mit 300 Seiten? Gibt es da Grenzen, maximal, minimal?

LK: Du meinst den zeitlichen Aufwand? An einem Manuskript von 300 Seiten arbeite ich, je nach Aufwand und ob es zwei Durchläufe, also Struktur- und Sprachlektorat gibt, drei bis vier Wochen.

HPR: Wie bist du eigentlich Lektorin geworden? Wie sah dein Berufsweg aus?

LK: Nach einem Amerikanistik-Grundstudium in Tübingen bin ich in die USA und habe in Eugene, Oregon, American History studiert. 1990 kam ich zurück nach Deutschland und bin nach Berlin gezogen. Ein paar Jahre habe ich Teilzeit in einer Kreuzberger Kanzlei getippt. Am John-F.-Kennedy-Institut der FU lernte ich 1991 Gabriele Dietze kennen, die damals die Hardboiled-Krimireihe beim Rotbuch Verlag herausgab. Bei Gabi Dietze habe ich das Lektorieren von der Pike auf gelernt, sie war meine Mentorin. Am Anfang war ich für die unverlangt eingesandten Manuskripte zuständig, später habe ich Übersetzungslektorate und einen Teil der Lektorate unserer deutschsprachigen Krimientdeckungen gemacht. Ich war die Lektorin von Roger Fiedler, Rob Alef, Jörg Juretzka und Elisabeth Hermann, die bei Rotbuch „Das Kindermädchen“ veröffentlichte.

HPR: Gibt es einen mittlerweile veröffentlichten Text aus deinen Lektoraten, den du uns besonders empfehlen würdest?

LK:Der Blogger“ von Patrick Brosi, erschienen im Emons Verlag.

HPR: Herzlichen Dank für das Interview.

Ich habe nichts dagegen, wenn Sie diesen Blog teilen, verlinken, weiter empfehlen. Wenn Sie anderer Meinung sind oder etwas zu diesem Beispiellektorat beitragen wollen, scheuen Sie sich nicht, es mir zu mailen oder in FB zu kommentieren! Sie können auch Ihre Texte für ein Beispiellektorat vorschlagen.

Was dem Lektorat auffällt
was Sie immer schon mal über Lektorate wissen wollten

Impressum  Datenschutz  Homepage Hans Peter Roentgen Newsletter

 

Im Lektorat überprüfe ich Plot und Struktur und ich arbeite das Manuskript Satz um Satz, Wort um Wort durch

VG Wort, Selfpublisher und Pseudoverlage

Eigentlich ist es klar. Es gibt Verlage, die Lektorat, Covergestaltung und Satz für ihre Autoren übernehmen. Und es gibt Selfpublisher, Selbstverleger, die ihre Bücher selbst verlegen und Dienstleister bezahlen.

Jetzt hat die Bundesregierung einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem die Beteiligung der Verlage an den Ausschüttungen der VG Wort geregelt wird. Und hat mit einem Trick alle Selfpublisher zu Verlagsautoren ernannt.

Nach dem geplanten Gesetz entsprechend der EU-Urheberrechtsnovelle sollen diese Dienstleister mit in die Verwertungsgesellschaft VG Wort übernommen werden.

Die VG Wort treibt die Kopierabgabe bei Firmen ein. Hersteller von Kopiergeräten und viele andere Firmen zahlen für die Möglichkeit der Vervielfältigung an die VG Wort. Diese Zahlungen verteilt sie an Autoren und bald wieder an Verlage . Man kann darüber streiten, ob das sinnvoll ist, aber immerhin haben diese echten Verlage Anteil an der Gestaltung und dem Inhalt der Bücher.

Der neue Gesetzentwurf sieht das ganz anders. Er ist ein klarer Kotau vor Dienstleistern wie BoD und Druckkostenverlagen, denen damit der Zugriff auf Beteiligungen der VG Wort gewährt wird. Amazon und andere Dienstleister an Ausschüttungen der VG Wort beteiligen?

Nach dem Entwurf dürfen die Verlage und Urheber vorab vereinbaren, dass die Autorin oder der Autor einen Teil seiner VG Wort Ausschüttung an den Verlag abtritt. Soweit gut. Wenn der Autor dieser Abtretung zustimmt, ist doch alles in Butter, könnte man meinen.

Das Problem ist, dass diese Abtretung in den Standardverträgen steht. Bei großen Verlagen und erst recht bei Dienstleistern und Druckkostenzuschussverlagen haben Urheber keine Chance, dieser Abtretung zu widersprechen. Das erinnert an jene Zeiten vor über fünfzig Jahren, als Autofirmen den Kunden einen Aufschlag auf den serienmäßigen Preis für die Heizung berechneten. Autos ohne Heizung gab es nicht mehr, doch es war eine Gelegenheit, einen niedrigeren Preis in der Werbung zu nennen, auf den dann der Aufpreis für die serienmäßige Heizung aufgeschlagen wurde.

Die VG Wort kann nicht jeden Buchvertrag nachkontrollieren, ob dort der Abtretung zugestimmt wurde. Sprich: Sie wird diese Abtretung in der Regel als gegeben voraussetzen und zahlen.

Still und heimlich haben Dienstleister beschlossen, dass sie Verlage seien und ebenfalls Geld von der VG Wort einnehmen können. Sie treten in der Werbung als Dienstleister auf und schreiben in ihre AGB, dass die Autoren einen Teil der Zahlungen der VG Wort an die Dienstleister abtreten sollen. Wird natürlich nicht an die große Glocke gehängt, sondern steht im Kleingedruckten, eben den AGB, die jeder Kunde dieser Dienstleister unterschreiben muss. Das heißt, dass die Autorinnen und Autoren nicht nur für Ihre Veröffentlichung zahlen dürfen, sondern zusätzlich auch die ihnen zustehende Ausschüttung der VG Wort teilen sollen. Denn gegenüber der VG Wort treten die Dienstleister plötzlich als Verlage auf.

Erhebliche Verschlechterungen für Selfpublisher durch das neue Gesetz

Bisher galt für alle Selfpublisher, dass sie bei der VG Wort anklicken konnten, ob sie die Dienstleister an der VG Wort Ausschüttung beteiligen wollten. Das galt für alle Bücher seit 2012. Da spielten die Verträge, die Abtretungen forderten, keine Rolle.

Das neue Gesetz räumt mit dieser Möglichkeit auf. Es stellt Selfpublisher deutlich schlechter als bisher und ergreift Partei für die Dienstleister. Denn da alle Dienstleister (außer Amazon) die Abtretung in ihren Verträgen fordern, bleibt den Selfpublishern gar keine andere Wahl. Die Autoren stehen mal wieder, wie üblich, im Regen. Sie sind das letzte, das unwichtigste Glied im Markt. Warum auf sie Rücksicht nehmen?

Legal, illegal, scheißegal

Nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches ist es schlicht illegal, solche Abtretungen in den Vertrag zu schreiben. Denn das BGB hat Grenzen gesetzt, was eine Firma in Standardverträge schreiben darf. Und hat auch bestimmt, wann es sich um AGB handelt:

»Die AGB müssen einseitig von dem Verwender gestellt werden. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn eine Vertragspartei die Einbeziehung der vorformulierten Bedingungen in den Vertrag verlangt (Palandt/Heinrichs § 305 Rz.10) und sie nicht im Rahmen der Vertragsverhandlungen individuell ausgehandelt werden, § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB. Dann nämlich finden die Regelungen des BGB zu AGB keine Anwendung. Aushandeln bedeutet, dass der Kunde zumindest die tatsächliche Möglichkeit hat, auf die gestellten Vertragsbedingungen Einfluss zu nehmen.« https://www.akademie.de/wissen/it-vertraege-recht/grundzuege-des-agb-rechts

Die Verträge der Dienstleister sind eindeutig AGB. Übrigens auch die Verträge vieler großer Publikumsverlage.

In die AGB darf man keine überraschenden Klauseln einsetzen oder gar Dinge schreiben, die dem anderen Vertragspartner zusätzlich Kosten aufbürden. Und genau das ist die Abtretung eines Teils der VG Wort Zahlung.

»Eine Klausel kann eingeschränkt gültig oder unwirksam sein, weil

[…]

die AGB-Bestimmung überraschend ist«

§ 305c BGB schützt den Kunden vor überraschenden Klauseln. AGB-Regelungen, die nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich sind, dass ein Kunde nicht mit ihnen rechnen muss, sind unwirksam.« https://www.akademie.de/wissen/it-vertraege-recht/grundzuege-des-agb-rechts

Doch das kümmert viele Dienstleister nicht, auch nicht, dass sie damit die Selfpublisher, also die Selbstverleger, klammheimlich in Verlagsautoren verwandeln.

Begründet wird das damit, dass die Dienstleister ihren Kunden eine ISBN geben. Eine höchst merkwürdige Begründung, ISBN kann jeder kaufen und an seine Kunden weitergeben. Doch das Verlagsrecht gibt ihnen recht, ein Gesetz aus dem Jahr 1901. Das legt fest, dass jede Firma, die Bücher per Vertrag mit den Urhebern vertreibt, ein Verlag ist. 1901 gab es weder Selfpublisher noch Dienstleister fürs Selfpublishing.

Noch schlimmer: Auch Druckkostenzuschussverlage, die den Autoren bereits vier- und fünfstellige Summen für eine Veröffentlichung abverlangen, dürfen nun noch zusätzlich an den Zahlungen der VG Wort partizipieren – so will es der Entwurf der Bundesregierung.

Das neue Wahrnehmungsgesetz

Aufgrund des neuen Wahrnehmungsgesetzes der EU muss die Verlagsbeteiligung bei der VG Wort neu bestimmt werden. Nach dem Entwurf werden Verlage wieder an den Ausschüttungen beteiligt.

Wodurch unterscheiden sich »echte« Verlage von Dienstleistern? Ganz einfach. Sie verlangen keine Zahlungen von den Autoren, sondern bieten Ihnen kostenloses Lektorat, kostenlose Covergestaltung und Satz. Und dementsprechend könnte man es so im Gesetz festhalten.

Eine Formulierung wie »Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften können nur Firmen erhalten, die von Autoren keine Zuzahlungen verlangen und insbesondere keine Zahlungen für Lektorat, Cover und Satz berechnen. Und nur diese dürfen Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft werden«.

Das Problem ist, dass die VG Wort nicht einfach Mitglieder entlassen kann und jeden Verlag aufnehmen muss. Deshalb muss ein Gesetz festlegen, wer überhaupt berechtigt ist, Ausschüttungen zu erhalten. Nur Verlage, die kein Geld für die Veröffentlichungen von den Autoren verlangen. Denn die Begründung für die Verlagsbeteiligung ist, dass die echten Verlage mit kostenlosem Lektorat, Covergestaltung und Satz an der Bucherstellung beteiligt sind. Für Dienstleister trifft genau das nicht zu.

Eine gesetzliche Regelung ist also nicht nur möglich, sondern auch unbedingt notwendig.

Was, wenn dieser Entwurf Gesetz wird?

Die VG Wort hat bereits 2012-2016 einen kostspielen Rechtsstreit hinter sich gebracht. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass der nächste Prozess so sicher ist wie Schnee auf dem Mount Everest. Zahlungen an Dienstleister, an Pseudoverlage, die erkennbar keinerlei Rechtfertigungen dafür haben, da leckt sich jeder Rechtsanwalt die Finger und der Selfpublisherverband könnte damit sein Image aufpolieren und den Selfpublishern beweisen, wie wichtig die Mitgliedschaft ist.

Außerdem könnte jeder Selfpublisher einen Musterprozess gegen einen Dienstleister mit solchen Vertragsbedingungen führen oder ein Selfpublisherverband einen Musterprozess gegen die unzulässigen Paragraphen in deren Verträgen anstrengen, die mit Sicherheit gewonnen werden. Und es gibt bereits Urteile, dass Druckkostenzuschussverlage nicht als herkömmliche Verlage zu betrachten sind.

Sprich: Wird das Gesetz so verabschiedet, dann wird das zu Prozessen führen, die alle Beteiligten viel Kraft und Geld kosten werden, die Atmosphäre auf dem Buchmarkt vergiften und nur Rechtsanwälte freuen dürfte.

Verdi und der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller hat bereits gegen diesen Gesetzesentwurf protestiert. Er soll die Stellung der Urheber verbessern, aber lässt die Urheber selbst, die Autorinnen und Autoren, im Regen stehen.

Wenn Sie diesen Text für wichtig halten, teilen Sie ihn bitte. Nur dann, wenn er weit verbreitet wird, besteht die Chance, noch auf das Gesetz Einfluss zu nehmen.

Was dem Lektorat auffällt
was Sie immer schon mal über Lektorate wissen wollten, das Buch

Impressum  Datenschutz  Homepage Hans Peter Roentgen Newsletter

VG Wort, Selfpublisher und Pseudoverlage

Ich möchte, dass die Leser Spaß am Text haben

Julia Hanauer hat als Lektorin für die Fischer Schatzinsel gearbeitet und lektoriert heute freiberuflich Kinder- und Jugendbücher.

Hans Peter Roentgen: Du lektorierst Kinder- und Jugendbücher. Arbeitest du auch für andere Genres? Und was machst du in so einem Lektorat?

Julia Hanauer: Ich lektoriere ausschließlich Kinder- und Jugendbücher, das ist mein Fachgebiet. Aber auch innerhalb dieses Fachgebietes gibt es verschiedene Genres: Bilderbücher, Krimis, Liebesgeschichten, Sachbücher … Mein Lektorat zielt immer darauf ab, dass die Leser Spaß am jeweiligen Text haben. Ich tue alles, was nötig ist, um das zu erreichen.

HPR: Wie sieht der typische Ablauf eines solchen Lektorats aus? Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

JH: Ich lese zunächst dein Exposé und schaue, ob es einen ordentlichen Handlungsverlauf, einen guten Spannungsbogen gibt. Sind die Figuren glaubwürdig und sympathisch, eignet sich der Protagonist als Identifikationsfigur? Sind Sprache und Inhalt der Zielgruppe angemessen? Wenn alles passt, drucke ich mir den Text aus und mache einen ersten Lektoratsdurchgang mit dem Bleistift. Dann gebe ich meine Korrekturen, Änderungsvorschläge und Kommentare in die Datei ein – im Modus „Korrekturen verfolgen“. Anschließend nehme ich in einer weiteren Datei alle Korrekturen an und prüfe, ob mir der lektorierte Text gefällt. Wenn ja, schicke ich dir beide Dateien und bitte dich, alle Korrekturen anzunehmen, mit denen du einverstanden bist – und über die anderen reden wir. Am Ende haben wir einen Text, der uns beiden gefällt und der Zielgruppe auch.

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

JH: Ich lektoriere rund ums Kinder- oder Jugendbuch alles. Auch Exposés und Klappentexte und auch mal eine Vita oder ein Verlagsanschreiben. Bei längeren Texten mache ich immer erst ein Probelektorat, damit der Kunde sehen kann, was er im restlichen Text eventuell noch selbst verbessern kann – und auch, damit er meine Arbeitsweise kennenlernt.

HPR: Gibt es typische Probleme in den Texten, die du erhältst, die immer wieder auftreten? Kannst du uns drei typische Beispiele nennen, die du immer wieder überarbeiten musst?

JH: Oftmals haben Autoren, die neu im Kinderbuchbereich sind, ihre Zielgruppe nicht klar vor Augen – dann stimmen häufig Inhalt und Sprache nicht überein.

Meist sind auch die Dialoge nicht umgangssprachlich genug, sondern eher steif und hölzern, die Sprache passt nicht zur Person.

Immer wieder schreibe ich auch an den Rand „Show don’t tell!“ Die Gefühle dürfen nicht erzählt werden, sie müssen spürbar gemacht werden, damit der Leser sie mitfühlen kann – im Bauch, in den Füßen, im Herzen.

HPR: Bietest du auch Coaching an?

JH: Da ich mich am liebsten mit sprachlichen Details, dem Klang eines Textes und dem Lesefluss beschäftige, arbeite ich gerne an Texten, die schon eine gewisse Qualität aufweisen. Wenn ich merke, dass ein Autor sich noch nie mit Dramaturgie, Figurenentwicklung und Dialogführung beschäftigt hat, dann gebe ich ihm dazu gerne ein paar Hinweise, mache eine Erstberatung. Aber Coaching biete ich eigentlich nicht an.

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

JH: Es gibt viele Kunden, die alle oder fast alle Änderungen übernehmen – aber es gibt natürlich auch welche, die das nicht wollen und ich erwarte das selbstverständlich auch nicht. Der Autor ist der Künstler, es ist sein Buch, er entscheidet. Eventuell muss er aber dann damit leben, dass ich als Lektorin nicht im Impressum genannt werden will …

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

JH: Ich mag Buchstaben, mit Zahlen hab ich’s nicht so. Aber da ich meist gute Gründe für meine Änderungsvorschläge haben, werden diese auch größtenteils angenommen.

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben?

JH: Dann erkläre ich ihm noch einmal, wo ich das Problem sehe – lenke sein Augenmerk weg von sich selbst, hin zum jungen Leser. Denn für den soll der Text ja sein.

Aber ich beharre nicht auf meinen Änderungen. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, ein Lektorat ist ja etwas sehr Subjektives.

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konntet? Was passiert dann?

JH: Nein, das ist noch nie passiert. Aber es gibt Texte (oder auch Kunden), die mag ich vom Ton her nicht – da lehne ich den Auftrag dann von Anfang an ab. Manche Kunden entscheiden sich vielleicht nach dem Probelektorat lieber für eine andere Lektorin, das ist absolut okay. Bei einem Lektorat muss es schon passen zwischen Autor und Lektor.

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

JH: Ich bekomme tatsächlich viele Texte, die (noch) nicht das Niveau für ein Lektorat haben, wo deutlich zu spüren ist, dass dem Autor einfach das Handwerkszeug fehlt. Dann sage ich das ehrlich und weise ihn darauf hin, wo die Schwächen liegen. Ich bin dabei oft sehr direkt, aber die Kunden sind fast alle sehr dankbar für diese offene Rückmeldung.

HPR: Was gehört zu deinem Lektorat? Grammatik, Rechtschreibung? Stil? Was noch?

JH: Ich möchte, dass die Leser Spaß bei der Lektüre haben. Die Geschichte muss in irgendeiner Form spannend sein. Es braucht greifbare, runde Figuren und authentische Dialoge. Ich achte auf eine der Zielgruppe angemessene Sprache, den Stil, den Lesefluss und natürlich auch auf Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung. Wobei Letzteres nicht mein Schwerpunkt ist – ein ordentliches Korrektorat sollte nach einem Lektorat immer noch erfolgen.

HPR: Kannst du das an einem Beispiel ausführen?

JH: Ich achte zum Beispiel darauf, dass nicht alle Sätze gleich aufgebaut sind, streiche Wortwiederholungen, prüfe, ob Fremdwörter sich aus dem Zusammenhang erschließen lassen. Wenn eine Figur auf der ersten Seite als schüchtern beschrieben wird, aber drei Seiten weiter jemanden anschnauzt – dann mache ich einen Kommentar dazu. Ich streiche auch Sätze wie „Er war nervös und unsicher.“ oder „Sie war unglaublich glücklich.“ Da kommt nix rüber. Der Autor muss mit körperlichen Empfindungen, mit Mimik und Gestik arbeiten. Wie fühlt sich die Nervosität oder das Glück im Körper an? Kaut der Nervöse an den Nägeln oder wippt mit den Füßen? Jubelt die Glückliche laut, springt sie in die Luft? Die Leser brauchen Bilder!

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

JH: Da ich selbst gerne die ungefähren Preise kenne, bevor ich eine Dienstleistung anfrage, gebe ich auf meiner Webseite Preise an. Für eine Normseite liegt der Preis meist zwischen 8 und 10 Euro, je nach Qualität des Textes. Manchmal rechne ich auch nach Arbeitsstunden ab oder gebe einen Pauschalpreis an – das aber erst, wenn ich ein Exposé und eine Leseprobe gesehen habe und den Arbeitsaufwand einschätzen kann.

HPR: In welchem Bereich bewegt sich der durchschnittliche Aufwand für ein Manuskript eines Taschenbuchs mit 300 Seiten? Gibt es da Grenzen, maximal, minimal?

JH: Das kann ich so nicht sagen, zumal ich vor allem kürzere Geschichten bearbeite.

HPR: Wie bist du eigentlich Lektorin geworden? Wie sah dein Berufsweg aus?

JH: Das lief bei mir tatsächlich ganz nach Plan. In der 9. Klasse habe ich ein Praktikum im Kinderbuchlektorat des S. Fischer Verlags gemacht (das war ein Preis für meine besonders leidenschaftliche Teilnahme an einer Kinderbuchjury) – von da an stand mein Berufswunsch fest. Ich habe den Deutsch-Leistungskurs gewählt, Germanistik (mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendbuchforschung) studiert und schließlich ein Praktikum und ein Volontariat in verschiedenen Verlagen gemacht. Anschließend wurde ich bei Fischer Schatzinsel als Lektorin angestellt. Nach der Geburt meines Sohnes habe ich mich dann selbstständig gemacht – eine Entscheidung, die ich nie bereut habe.

HPR: Gibt es einen mittlerweile veröffentlichten Text aus deinen Lektoraten, den du uns besonders empfehlen würdest?

JH: Eine Autorin, deren Texte ich gerne mag und die ich von ihren ersten Schreibversuchen bis zu ihrer ersten Veröffentlichung begleitet habe, ist Stefanie Neeb. Der S. Fischer Verlag hat ihr Jugendbuch „Und wer rettet mich?“ herausgebracht und bald erscheint ein weiteres Werk von ihr in einem anderen Kinder- und Jugendbuchverlag – als Spitzentitel!

HPR: Herzlichen Dank für das Interview.

Julia Hanauers Homepage   aus tempest 12/19
Ich habe nichts dagegen, wenn Sie diesen Blog teilen, verlinken, weiter empfehlen. Wenn Sie anderer Meinung sind oder etwas zu diesem Beispiellektorat beitragen wollen, scheuen Sie sich nicht, es mir zu mailen oder in FB zu kommentieren! Sie können auch Ihre Texte für ein Beispiellektorat vorschlagen.

Was dem Lektorat auffällt
was Sie immer schon mal über Lektorate wissen wollten, das Buch

Impressum  Datenschutz  Homepage Hans Peter Roentgen Newsletter

Ich möchte, dass die Leser Spaß am Text haben