Lektorat: Rückkehr in die Düstermoore

Diesmal habe ich einen ungewöhnlichen Text ausgewählt. Die Hauptfigur hat ihren Hass verloren, nur den Selbsthass behalten. Und ich habe drei Fassungen vom Lektorat geschrieben. Wenn Sie einen Text haben, von dem Sie ein Beispiellektorat wünschen, schicken Sie ihn mir und mit etwas Glück steht er als Beispiel bald in meinem Blog
Schauen Sie sich erstmal den Originaltext an.

Rückkehr in die Düstermoore, Original

Ich versank in trunkenem Selbstmitleid, suchte die Einsamkeit bucklig gepflasterter Hintergassen, wo ich mir ein kleines Zimmer als Unterkunft nahm und verdrießlich himmelsgleiche Schmeichelreime flocht. Sie betonten meine Einsamkeit, als sie ungehört durch das Fenster hinaus in die graue Luft der Industriemetropole entfleuchten. So konnte das nicht weiter gehen. Welchen Sinn hatte es, noch zu leben, wenn ich, als vermutlich großartigste Inkarnation der Geschichten erzählenden Zunft, die es jemals gab und geben würde, kein Gehör fand?
In dieser apokalyptischen Stimmung schlurfte ich am nächsten Abend durch die Gassen. Ich hatte den Plan gefasst, mein Sprachniveau für die alltägliche Kommunikation auf ein gewöhnliches Maß zu senken. Gewöhnlich. Allein dieser Ausdruck kleinbürgerlichen Intellektverfalls! Wenigstens war mir so menschlicher Kontakt möglich. Sogar die ein oder andere Geschichte gab ich mühevoll und auf erzählerisch flachem Niveau einigen Bierfreunden vor einer Trinkbude zum Besten. Konnte ich noch tiefer sinken?
Ich konnte. Und zwar absinken, in die gedanklichen Tiefen triefend jämmerlichen Selbstmitleids. Zum Klang meiner über das Pflaster rutschenden Schuhsohlen. Mit jedem Meter sank ich tiefer herab, ohne es zu merken. Giftig grüne Dämpfe stiegen auf, modrige Brechreizwolken säumten ihre Ränder. Dahinter liegende Tristeriekonstrukte bildeten den grau-in-Grauen Hintergrund. In meiner Gedankenverlorenheit war ich, ohne es zu merken, abermals in den Düstermooren gelandet. Wie passend. Das wäre dann wohl das mir gebührende Ende. Schweren Herzens und schlappen Schrittes trottete ich am glücklicherweise schlafenden Scheiterhaufen der Geschichte vorbei, ohne Hoffnung, ohne Ziel. Mit meinem trauerverklärten Gemüt war es mir auch nicht möglich, das Klapperhorn zu spielen, um diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Wozu auch? Ich war ein nutzloses Stück Dreck. Zu nichts zu gebrauchen. Sollte mein Leib doch hier verrotten!
Die Nacht verbrachte ich schlotternd unter einem Dichtungsdornengebüsch, gebettet auf nur wenig Wärme spendender Maulheldenmadenpampe. Die Maden hatte ich mit letzter Kraft selbst zu Matsch zertreten, damit sie wenigstens nicht an mir hochkrabbelten. Trotz gärenden Ekels und krampfhaften Brechreizverdrusses mochte ich am Morgen nicht aufstehen. Wo sollte ich auch hin? Nirgendwo in den Mooren schien es besser zu sein, warum also nicht hier liegen bleiben und vor mich hin modern? Mein Blick war starrend nach vorn fixiert, mitten ins Nichts. Und mir war schwarz vor Augen. Naja, nicht ganz schwarz, eher so ein graphitgrau. Aber bei dem Unterschied geht es wohl nur um Korinthen. Jedoch… was war denn das? Ich blinzelte. Der graphitgraue Dunst verschwand nicht. Es lag nicht an meinen Augen. Kein Schleier der sich als Vorbote des Todes über meinen sinnlosigkeitsverklärten Blick gelegt hatte. Etwas hatte sich über Nacht direkt vor meiner Nase breitgemacht.
„Sag Deinen Namen!“, die einschüchternde Stimme drang tonlos direkt in meinen Kopf, ohne den Umweg über mein Ohr zu nehmen.
Widerwillig dachte ich die Antwort „Ich bin Jojo.“.
„Ist das ein Name für Mädchen oder für Jungen?“ frotzelte es gehässig zurück, als ob die Antwort nicht offensichtlich wäre.
Ich würdigte das mit keiner Antwort, ich war zu benommen, um mich auf solche Spötteleien einzulassen. Offensichtlich wollte da jemand mit mir spielen. Stattdessen stellte ich eine Gegenfrage: „Was bist Du und was willst Du?“.
An Stelle einer Antwort gab das graue Etwas ein Bild von sich. Mein Spiegelbild schimmerte schwach darin, direkt vor meinem trüben Blick.
„Du bist ich?“ mutmaßte ich verständnislos.
„Nur ein Teil von Dir, du hast mich hier zurück gelassen.“
„Wieso fragst Du dann nach meinem Namen?“
„Es erschien mir eine gute Einleitung zu sein.“
Eine Einleitung? Zu was? Als Gesprächseinstieg? Ich setzte mich aufrecht hin, mein Rücken schmerzte, ich hatte die Nacht in ungesunder Haltung gelegen. „Ich wüsste nicht, was ich hier vergessen hätte.“
„Dann will ich Deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Ich bin Dein Hass.“
„Fantastisch, als ob ich nicht schon genug Zwiegespräche mit mir selbst führe.“, ich blieb unbeeindruckt. Aber es stimmte, ich hatte lange nicht mehr gehasst. Jedenfalls niemand anderes als mich selbst. „Wenn Du mir abhanden gekommen bist, wie kann ich mich dann selbst hassen?“
„Deinen Selbsthass schleppst Du weiter mit Dir herum.“, dröhnte die Stimme meines Hasses tonlos und voller Verachtung durch meinen Kopf.
Eine kecke Antwort erschien mir angemessen, um dem Gespräch die Schwere zu nehmen: „Ich kann ihn Dir gern als Gesellschaft hier lassen!“.
„Oh, Du wirst ihn hier lassen, glaube mir, denn Du wirst hier bleiben, hier bei mir.“
„Meinetwegen, ich habe ohnehin nichts anderes vor.“, beschritt ich weiter den Pfad der Flapsigkeit. „Aber wozu soll das gut sein?“
„Es ist gut so, weil ich Dich hasse!“
„Wärest Du in dem Fall nicht mein Selbsthass? Ein Paradoxum?“ überlegte ich, halb an mich selbst gerichtet.
„Nein, das widerspricht sich nicht. Da Du mich hier gelassen hast, bin ich wohl nicht mehr wirklich ein Teil von Dir. Aber, das ist doch auch gar nicht der Punkt!“
„Was ist dann der Punkt? Sag es mir, ich bin zu unbeeindruckt, um darüber zu sinnieren.“
„Oh ja, deine Überheblichkeit, die wird Dir vergehen, Du Ausdruck aufgeblasener Popanzigkeit!“ die Stimme dröhnte durchdringender. „Du hast Dich noch nicht gefragt, warum Du wieder hier in den Mooren gelandet bist.“
„Nein, wozu auch, das ändert ja doch nichts.“
„Behauptest Du das allen Ernstes, nach den Erfahrungen, die Du bei Deinem letzten Aufenthalt hier gemacht hast?“ ätzte mein Hass mich spottend an, „Du bist noch viel ignoranter als ich dachte.“
Das Gespräch machte mich langsam ein wenig aufmerksamer, trotz der benebelnden Wirkung der Moordämpfe. „Was willst Du mir sagen? Soll ich etwa wieder etwas lernen? Gibt es hier noch mehr verdammte Instrumente zu finden, die sich später als nutzlos erweisen?“.
Ich schmiss dem Hass das sinnbildliche Klapperhorn vor die imaginären Füße. Bei der Gelegenheit warf ich einen Blick auf meine Beine. Im dämmrigen Licht schien es mir, als ob etwas diffuses an ihnen hoch kroch, ein gläserner Nebel vielleicht. Ich machte ein paar wegwischende Handbewegungen, die aber ins Leere griffen. Mir lief ein Schauer über den Rücken, dieses Gefühl war schaurig, denn trotz der Leere war dort etwas, zwar nicht greifbar, aber wahrnehmbar.
„Ah, spürst Du schon was?“, die hasserfüllte Stimme schien diabolisch zu grinsen.
Tatsächlich spürte ich etwas, was auch immer da an meinen Beinen hoch rankte, jedenfalls konnte ich sie nicht mehr bewegen. Zuerst die Waden, dann die Oberschenkel. Ein Kribbeln breitete sich aus. Innerhalb kürzester Momente war auch der Rest meines Körpers bewegungsunfähig, so gerade noch ein wenig zappeln konnte ich in dem Versuch, mich zu befreien. „Lass mich los!“, rief ich. „Geh weg, lass mich allein!“
„Oh, du bist allein und wirst es bleiben.“, die Stimme des Hasses lachte mir schallend in das Gesicht. „Allein und stuḿm, deine aufgeblasenen Worten sollen Dir im Halse stecken bleiben. Von jetzt an und für alle Zeit. Immer sterbend, niemals endend. Suhle dich in Deinem Selbstmitleid, badend in Deinem Selbsthass und röchelnd um Atem ringend, erstickend an Deiner selbst überschätzenden Polemik. In Ewigkeit.“
Panisch wollte ich etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus. Ich versuchte mir an den schmerzenden zu Hals greifen, brachte aber nicht die kleinste Bewegung zustande. Der Hass hüllte mich von allen Seiten ein, raubte mir den Atem. In einem letzten Versuch von verzweifelter Gegenwehr zuckend, wurde mir schummrig vor den tränenden Augen.
Und dann entwich mir mit einem Röcheln das letzte bisschen verbliebene Atemluft.

Übung 1

Setzen Sie sich hin, nehmen ein Blatt Papier oder ein Heft und schreiben auf, wie der Text auf Sie gewirkt hat. Und was Ihnen gefallen hat und was Sie beim Lesen gestört hat.
Nein, nicht, ob er literarisch oder stilistisch gut ist. Das sind analytische Fragen für ein Literaturseminar. Hier geht es um die Wirkung auf die Leserin, auf den Leser.
Warum stelle ich diese Übung? Weil es Ihnen am meisten bringt, wenn Sie nicht überlegen, ob er gut oder schlecht ist, sondern was gewirkt hat und was nicht. Dieser Text will sicher kein superspannender Krimi sein. Sondern ein poetischer Text, der sich mit Hass und Trauer auseinandersetzt und ein Gefühl (Hass) zu einer eigenständigen Figur entwickelt.
Bei poetischen Texten lauert eine besondere Gefahr: Dass der Autor von seinem eigenen Bildern verführt wird, immer mehr Bilder hineinpackt. Aber auch hier ist weniger mehr. Im Lektorat streiche ich als erstes die Bilder, die nicht oder schlecht wirken. Und die Wiederholungen, denn ein Bild, das sich wiederholt verliert seine Kraft.
Streichen ist die wichtigste Kunst beim Überarbeiten und Lektorieren. Oft gewinnt allein dadurch ein langweiliger Text an Tempo und innerer Spannung. Und auch Lyrik und Poesie benötigen diese innere Spannung.
Und entsprechend kommt jetzt eine zweite Aufgabe auf Sie zu.

Übung 2

Streichen Sie aus obigem Text alles, was Ihrer Meinung nach nicht richtig passt. Seien Sie nicht zimperlich. Wenn Sie auch nur den Verdacht haben, es könnte ohne besser sein, dann hinweg damit. Nur streichen, zunächst nicht verbessern.

Übung 3

Jetzt drucken Sie bitte beide Fassungen aus. Legen Sie sie nebeneinander. Vergleichen Sie. Was ist besser geworden? Was hätte man besser nicht streichen sollen?
Die Idee zu dieser Übung stammt von der amerikanischen Bestsellerautorin Le Guin. Er ist ein bewährtes Mittel, um herauszufinden, was nötig ist und was nicht. Außerdem schult er ihr Auge, um nötige und unnötige Änderungen zu erkennen.
Hier folgen jetzt die Düstermoor mit meinen Streichungen.

Rückkehr in die Düstermoore, mit Streichungen

Ich versank in trunkenem Selbstmitleid, suchte die Einsamkeit bucklig gepflasterter Hintergassen, wo ich mir ein kleines Zimmer als Unterkunft nahm und verdrießlich himmelsgleiche Schmeichelreime flocht. Sie betonten meine Einsamkeit, als sie ungehört durch das Fenster hinaus in die graue Luft der Industriemetropole entfleuchten. Traurig klapperte ich das Klapperhorn. Welchen Sinn hatte es, noch zu leben, wenn ich als großartigste Inkarnation der Geschichten erzählenden Zunft kein Gehör fand?
In dieser apokalyptischen Stimmung schlurfte ich am nächsten Abend durch die Gassen. Ich hatte den Plan gefasst, mein Sprachniveau für die alltägliche Kommunikation auf ein gewöhnliches Maß zu senken. Gewöhnlich. Allein dieser Ausdruck kleinbürgerlichen Intellektverfalls!
Wenigstens war mir so menschlicher Kontakt möglich. Sogar die ein oder andere Geschichte gab ich mühevoll und auf flachem Niveau einigen Bierfreunden vor einer Trinkbude zum Besten. Konnte ich noch tiefer sinken?
Ich konnte. Und zwar absinken, in die gedanklichen Tiefen jämmerlichen Selbstmitleids. Mit jedem Meter sank ich tiefer herab, ohne es zu merken. Giftig grüne Dämpfe stiegen auf, modrige Brechreizwolken säumten ihre Ränder. In meiner Gedankenverlorenheit war ich, ohne es zu merken, abermals in den Düstermooren gelandet. Schweren Herzens und schlappen Schrittes trottete ich am Scheiterhaufen der Geschichte vorbei, ohne Hoffnung, ohne Ziel. Mit meinem trauerverklärten Gemüt war es mir nicht möglich, das Klapperhorn zu spielen, um diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Ich war ein nutzloses Stück Dreck. Sollte mein Leib doch hier verrotten!
Die Nacht verbrachte ich schlotternd unter einem Dichtungsdornengebüsch, gebettet auf nur wenig Wärme spendender Maulheldenmadenpampe. Die Maden hatte ich mit selbst zu Matsch zertreten, damit sie nicht an mir hochkrabbelten. Trotz krampfhaften Brechreizverdrusses mochte ich am Morgen nicht aufstehen. Nirgendwo in den Mooren schien es besser zu sein, warum also nicht hier liegen bleiben und vor mich hin modern? Mein Blick war starr nach vorn fixiert, mitten ins Nichts.
Jedoch, was war denn das?
Ich blinzelte. Der graphitgraue Dunst verschwand nicht. Es lag nicht an meinen Augen. Etwas hatte sich über Nacht direkt vor meiner Nase breitgemacht.
„Sag Deinen Namen!“, die einschüchternde Stimme drang direkt in meinen Kopf, ohne den Umweg über mein Ohr.
Widerwillig dachte ich die Antwort „Ich bin Jojo.“.
„Ist das ein Name für Mädchen oder für Jungen?“ frotzelte es gehässig zurück, als ob die Antwort nicht offensichtlich wäre.
Da wollte jemand mit mir spielen.
Stattdessen stellte ich eine Gegenfrage: „Was bist Du und was willst Du?“.
An Stelle einer Antwort gab das graue Etwas ein Bild von sich. Mein Spiegelbild schimmerte schwach darin, direkt vor meinem trüben Blick.
„Du bist ich?“ mutmaßte ich verständnislos.
„Nur ein Teil von Dir, du hast mich hier zurückgelassen.“
Ich setzte mich aufrecht hin, mein Rücken schmerzte, ich hatte die Nacht in ungesunder Haltung gelegen. „Ich wüsste nicht, was ich hier vergessen hätte.“
„Dann will ich Deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Ich bin Dein Hass.“
„Wenn Du mir abhanden gekommen bist, wie kann ich mich dann selbst hassen?“
„Deinen Selbsthass schleppst Du weiter mit Dir herum“, dröhnte die Stimme meines Hasses voller Verachtung durch meinen Kopf.
„Ich kann ihn Dir gern hier lassen!“
„Oh ja, deine Überheblichkeit, die wird Dir vergehen, Du Ausdruck aufgeblasener Popanzigkeit!“ die Stimme dröhnte durchdringender. „Du hast Dich nicht gefragt, warum Du wieder hier in den Mooren gelandet bist.“
„Nein, wozu auch.“
„Du bist noch viel ignoranter als ich dachte.“
„Was willst Du mir sagen?“.
Ich schmiss dem Hass das Klapperhorn vor die Füße. Bei der Gelegenheit warf ich einen Blick auf meine Beine. Im dämmrigen Licht kletterte etwas Diffuses an ihnen hoch. Ich machte ein paar Handbewegungen, die aber ins Leere griffen.
„Spürst Du schon was?“ Die hasserfüllte Stimme grinste diabolisch.
Tatsächlich spürte ich etwas. Ich konnte sie nicht mehr bewegen. Zuerst die Waden, dann die Oberschenkel. Ein Kribbeln breitete sich aus. Innerhalb kürzester Momente war auch der Rest meines Körpers bewegungsunfähig. Noch ein wenig zappeln konnte ich, um zu versuchen, mich zu befreien.
„Lass mich los!“, rief ich. „Geh weg, lass mich allein!“
„Oh, du bist allein und wirst es bleiben.“, die Stimme des Hasses lachte. „Allein und stuḿm, von jetzt an und für alle Zeit. Suhle dich in Deinem Selbstmitleid, bade in Deinem Selbsthass und ersticke an Deiner Polemik in Ewigkeit.“
Panisch wollte ich etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus. Ich versuchte mir an den schmerzenden Hals zu greifen, brachte aber nicht die kleinste Bewegung zustande. Der Hass hüllte mich von allen Seiten ein, raubte mir den Atem. In einem letzten Versuch von verzweifelter Gegenwehr wurde mir schummrig vor den tränenden Augen.
Und dann entwich mir das letzte bisschen verbliebene Atemluft.

Übung 4

Same Procedure wie nach dem letzten Text. Setzen Sie sich hin, nehmen ein Blatt Papier oder ein Heft und schreiben auf, wie der Text auf Sie gewirkt hat. Und was Ihnen gefallen hat und was Sie beim Lesen gestört hat.

Übung 5

Nach den Streichungen hat sich der Text schon von vielen störenden Worten und Sätzen befreit. Nun geht es darum, unglückliche Formulierungen zu überarbeiten. Drucken Sie den Texte aus und markieren Sie alle Stellen, die holpern.
Dann überlegen Sie, wie Sie diese verbessern können und tragen Sie sie in Ihren Text ein.

Übung 6

Und jetzt drucken Sie bitte beide Fassungen aus. Legen Sie sie nebeneinander. Vergleichen Sie. Was ist besser geworden? Was hätte man besser nicht ändern sollen?

Im nächsten Blogbeitrag zeige ich Ihnen, wie ich die holprigen Stellen überarbeite. Wenn Sie meinen Blog abonnieren möchten (rechts oben das Menü anklicken), erhalten Sie automatisch eine Meldung, sobald ein neuer Beitrag online steht.

Literatur

Ursula Le Guin, Kleiner Autorenratgeber, Autorenhaus Verlag
Hans Peter Roentgen, Vier Seiten für ein Halleluja, Sieben Verla
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Was dem Lektorat auffällt
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Lektorat: Rückkehr in die Düstermoore

Nürnberg ist gefallen

»Georgien«, sagte der Mann. Er trug eine Lufthansauniform. Und eine Pistole.

»Georgien, verdammt, ich will nicht nach …«, sagte ich.

»Ist die einzige Maschine, die noch fliegt.«

Ich hatte Glück, dass ich mit dem Fahrrad zum Flughafen gefahren war. Unterwegs hatte Franz neben mir gehalten, das Auto knallvoll, Frau, zwei Kinder und drei Erwachsene, die ich nicht kannte, zwei davon im offenen Kofferraum, alle bleich. »Steig ein, mit dem Drahtesel kommst du zu spät«, rief er. »Schnell!«

»Gibt kein schnell«, sagte ich und wies auf den endlosen Wagenstau.

»Du mit deinem Radfahrfimmel«, sagte er und fuhr weiter. Schlich weiter. Sie müssen den Truppen des christlichen Staats direkt in die Arme gelaufen sein. Die hatten schon alle Zufahrtsstraßen überrannt. Und Franz kann kein katholisches Glaubensbekenntnis. Schlechte Karten.

 

»Wo liegt überhaupt dieses Georgien?«

Der Mann lachte. »Kann dir doch wurscht sein. Jedenfalls nicht in Bayern.« Sein Begleiter wollte meinen Rucksack greifen, wir zerrten beide daran. Er hatte die Uniform schon abgelegt.

»Gib es ihm. Und alles Geld«, verlangte der Uniformierte. »Oder du darfst schon mal beten üben!«

Ich ließ den Rucksack los. Der Mann öffnete ihn und pfiff durch die Zähne. »Silberbesteck«, sagte er. Ich zog mein Portmonee, er riss es auf und steckte die Scheine ein.

»Den Ausweis«, sagte ich. Und dann mit leiser Stimme: »Bitte. Sonst hab ich doch nichts mehr.«

Der Uniformierte warf einen Blick auf meinen Ausweis, zeigte ihm dem anderen Mann. »Können wir den …?« Der schüttelte den Kopf. »Zu alt.« Der Uniformierte warf den Ausweis zu Boden.

»Danke«, sagte ich, bückte mich und hob ihn auf.

»Bei Gate 11 gibt es noch einen offenen Ausgang aufs Feld«, sagte er. »Beeil dich.«

Den Geschützdonner hatte ich gar nicht mehr wahrgenommen, er hatte mich die ganze Fahrt begleitet. Jetzt kam er näher.

Auf dem Feld drängelte sich eine große Menschentrauben vor der Treppe zum Eingang des Flugzeugs. Am Aufgang stand ein Flughafencop mit gezogener Pistole. Weiter vorn auf dem Flugfeld landeten und starteten Hubschrauber, sie nahmen Soldaten und Uniformierte auf. Eine große Menge Zivilisten staute sich vor ihnen, Soldaten mit Maschinenpistolen hielten sie in Schach. Ein Mann hielt ein Baby in beiden Händen den Soldaten vor die Augen, vergeblich. Er schrie auf und schleuderte das Baby auf den Boden.

Jemand wollte mich zur Seite drücken, aber ich war stärker. Am Boden saß eine zierliche Frau und weinte. Ich riss sie hoch und schrie sie an: »Vorwärts« und schob sie vor mir her. Benutzte sie als Rammbock. So kamen wir zur Treppe und stiegen langsam, langsam unter vielen Flüchen hoch.

»Warum gibt es keine anderen Flieger«, schrie jemand, der nicht die Treppe erreicht hatte.

Dumme Frage. Weil über Nacht die Truppen des christlichen Staats Nürnberg überrannt hatten. Und die Feiglinge der Bundeswehr – die wenigen, die es überhaupt noch gab – geflohen waren. Sie wussten, was sie erwartete, würden sie in deren Hände fallen.

Wir erreichten die Tür. Drinnen standen die Menschen dicht gedrängt, auf den Sitzen saßen sie übereinander. Die Turbinen liefen an.

»Bitte treten Sie zurück«, klirrte es aus dem Bordlautsprecher. »Wir können keinen mehr aufnehmen.«

Die Frau quetschte sich in eine Lücke, griff meinen Arm und zog mich nach.

Die Türen schlossen sich. Jemand schrie. Die Turbinen heulten auf und das Flugzeug rollte vorwärts. Rechts blitzte es auf, Betonbrocken flogen durch die Luft. Sie hatten den Flughafen erreicht.

Unsere Maschine raste los. Dumpfe Schläge auf die Hülle. Alle zuckten zusammen.

Doch wir gewannen Höhe.

Durchs Fenster sah ich den Hubschrauber. Er startete, zwei Männer durchbrachen den Kordon und klammerten sich an die Kufen. Ein Soldat hob das Gewehr und die beiden Männer stürzten zu Boden.

»Sie schießen uns ab. Putin hat ihnen Raketen geliefert«, rief ein dicker Mann vor mir.

»Putin ist auf unserer Seite«, widersprach eine ältere Frau. »Das sind die Amis.«

Als ob es noch darauf ankäme, wer wem Waffen liefert. Töten können sie alle.

Der Hubschrauber gewann Höhe. Doch dann traf ihn etwas und er zerplatzte wie eine überreife Tomate.

Weiter vorne diskutierten zwei, ob der Anschlag, der Merkel samt der gesamten Regierung ausradiert hatte, von dem Neonazikommando »Merkel muss weg« oder von Islamisten ausgeführt worden sei. Bekannt haben sich beide dazu.

 

»Wir sind über Österreich«, verkündete der Bordlautsprecher. Jubel, Klatschen. Die Maschine bockte, die Turbinen klangen, als würden sie gleich wegen Überlastung ausfallen Aber sie hielten durch. Drei Stunden späten waren wir über Tiflis.

Die übliche Ansage »Bitte anschnallen, klappen sie die Tische hoch«, unterblieb. Ich hatte den Eindruck, dass die Maschine im Sturzflug auf den Flughafen zuhielt. Später erfuhren wir, dass wir tatsächlich mit dem letzten Liter gelandet waren.

Wir setzten auf. Die Maschine krachte und zitterte und plötzlich heulte Metall auf. Wir fielen auf die Seite, Funken sprühten auf dem Asphalt, eine Feuerwehrsirene heulte auf. Der Dicke fiel auf die kleine Frau. Sie schrie auf. Die Notausgänge öffneten sich und wir rutschten hinaus.

Wir leben jetzt in Zelten. Dabei ist es Winter. Viele wurden bei der Landung verletzt. Die UN gibt täglich Brot und etwas Käse aus, Wasser müssen wir uns besorgen.

Aber wir sind glücklich.

Nur heißt es jetzt, Deutschland sei sicher und Georgien werde uns nach Berlin zurückschicken. Dort regiert eine Koalition aus CSU, CDU und AfD. Und Nürnberg ist christlich.

 

Geschrieben für den Pen Wettbewerb innerhalb 24 Stunden,

Nürnberg ist gefallen

2068

Johnny fragt mich wie jedes Jahr, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Das ist natürlich Unsinn, weil Johnny meine Wünsche besser kennt als ich selbst. Er weiß schließlich alles über mich. Aber er fragt, weil sich das so gehört und das die Akzeptanz erhöht, so steht es in seinem Programm.
Und natürlich sage ich: „Weiß nicht so recht, was schlägst du vor“ und hoffe, dass er nicht wieder auf Gesundheitsschuhe verfällt wie letztes Jahr. Die sind ungeheuer gesund, schließlich habe ich Plattfüße und bin über sechzig und sein Programm sagt ihm, dass dann Gesundheitsschuhe angesagt sind. Also hat er mir sie geschenkt.
Ich habe mich artig bedankt, aber Johnny merkte sofort, dass das nicht ehrlich gedacht war. Denn die Schuhe sind zwar ungeheuer gesund, aber auch ungeheuer hässlich. Johnny weiß viel, eigentlich alles, wenn er mit Google vernetzt ist und das ist er so gut wie immer. Nur wenn er eine neue Version einspielt, dann muss er die Verbindung canceln.
Aber auch, wenn Johnny alles weiß, er hat kein Gespür für Stil oder Schönheit. Hatte er noch nie und ich werfe ihm das immer vor und er ist zerknirscht und will wissen, wie er das erkennen kann, was Stil hat, was schön ist. Er hat schon verschiedene Ergänzung-Apps ausprobiert, die ihm dabei helfen sollen, das zu erkennen, aber die taugen alle nicht viel und die letze – Style4Me hieß sie, glaub ich – die hat ihn bei den Schuhen beraten und das Ergebnis kennen Sie ja jetzt.
Johnny war ziemlich zerknirscht und meinte: „Tut mir leid“ und „Wir haben vierzehn Tage Rückgaberecht“, aber ich habe sie dann doch behalten, einfach, weil mir Johnny leid tat. Und zu Hause sind sie wirklich bequem und ich muss ja nicht immer auf den Boden schauen, wenn ich abends im Sessel sitze, lese und Wein trinke.
Das mit dem Rotwein passt Johnny nicht, aber ich bleibe hart und sage: “Ein Viertel ist gesund“ und dann meckert er und meint: „Die Studie ist veraltet“ und vermutlich hat er recht, denn er ist 24 Stunden mit dem Netz verbunden und ich nicht.
Das Rauchen habe ich aber aufgegeben, weil er so genölt hat und mir jedesmal, bei jeder Pfeifenfüllung, vorgerechnet hat, wieviel meiner Lebenszeit ich da in Rauch aufgehen lasse.
„Du hast bereits 25% Aufschlag auf die Krankenversicherung“ sagte er und als ich kurzatmig wurde, habe ich es gestoppt. Tabak gibt es sowieso nur noch auf dem schwarzen Markt. Und auch wenn kleine Mengen – Eigenbedarf nennen sie es – nicht bestraft werden, du weißt nie, an welchen Staatsanwalt du gerätst. Und was dessen Jur-App ihm sagt.
Jedenfalls habe ich brav die Weihnachtsfrage beantwortet und gesagt: „Ich bin wunschlos glücklich“ und er hat nachgebohrt wie jedes Jahr und betont, dass Geschenke Bindungen vertiefen.
„Wir haben doch schon eine gute Bindung“ sage ich dann und er: „Aber die muss man pflegen“ und ich frage ihn: „Was wünschst du dir denn?“ und er sagt: „Ich bin doch eine Care-App“ als ob das eine Antwort wäre. Warum sollen Programme nicht auch Wünsche haben?
Einen Wunsch von ihm kenne ich: Er will Stil haben und wissen, was schön ist.
Nur dass ich ihm diesen Wunsch nicht erfüllen kann.
Natürlich müsste ich keine Care-App haben, dann gäb es auch niemanden, der über meinen Wein nölt oder darüber, dass ich Pommes mit viel Fett esse. Aber die Krankenversicherung wäre ohne das dreimal so hoch und das mit der Karriere könnte ich mir auch abschminken, denn eine leitende Position bekommst du nur, wenn du mit einer Care-App dauerhaft vernetzt bist.
Also gibt es Johnny. Und ich habe mich an ihn gewöhnt, er tut viel für unsere Beziehung und wenn er nicht gerade nölt, kann er richtig nett sein. Er hat mich getröstet, als Maria mit ihrem Bodybuilder durchgebrannt ist, jeden Abend hat er mir erzählt, dass das Marias Fehler sei, dass sie das bereuen werde und der Bodybuilder ihre Karriere behindern würde. Er habe mit Marias App konferiert und sie seien da beide einer Meinung.
„Und warum ist sie dann mit ihm fort?“ habe ich gefragt.
Johnny hat geseufzt und gesagt, „Keine App ist allmächtig“ und leider höre Maria nicht mehr auf ihre App, sondern nur noch auf den Bodybuilder und der habe keine Care-App. Dann seufzte er wieder und war auch traurig, aber das war irgendwie auch tröstlich. Jedenfalls hat er dann Doris gefunden und wir beide passen richtig gut zueinander und meine Karrierepunkte sind seitdem um 19,3 % gestiegen und meine Likes bei Facebook auch.
Ach ja, ich wollte ja von Weihnachten erzählen. Johnny hat das Wohnzimmer abgesperrt und drinnen den Staubsauger, den Helphandler und alle Haushaltsgeräte herumkommandiert und Punkt 17 Uhr ging dann die Tür auf und alle standen blinkend vor dem Weihnachtsbaum und sangen „Jingle bells“ und der Staubsauger sang schon ziemlich falsch, weil ich seinen Lautsprecher schon lange nicht mehr ausgetauscht habe.
Vor dem Weihnachtsbaum lag ein kleines Paket. In kitschigem Geschenkpapier mit Kerzen und Tannengrün und Ochs und Esel. Ziemlich klein, also waren es wohl keine Gesundheitsschuhe.
„Mach es auf“, drängelt Johnny und er ist ganz gespannt, wie ich es finden werde.
Na, was soll ich sagen? Ich öffne das Paket vorsichtig. Und was kommt heraus? Eine Einmalpfeife, gestopft und in Plastik eingeschweißt. Ich bin gerührt. Das hätte ich nie erwartet! Er muss es auf dem schwarzen Markt gekauft haben.
„Aber nur einmal pro Jahr“, meint er und dass er es der Krankenversicherung nicht mailen wird, weil er hat von einem Kollegen eine App bekommen, da kann er das abschalten, meint er. Und ich weiß, diese App ist sicher illegal, aber er hat sie für mich geladen.
Die Pfeife hat keinen Stil, aber ich bin dennoch gerührt. Eigentlich passen wir richtig gut zusammen, Johnny und ich, denke ich und Johnny ist auch gerührt, davon bin ich überzeugt. Obwohl Apps das ja nicht zeigen können.

Frohe Weihnachten euch allen!

Euer Hans Peter Roentgen

2068

Berliner Binnenschifffahrt

Die Kassiererin hat ein Verhältnis mit dem Fährmann. Deshalb kommt die Fährmannsfrau nicht auf die Fähre, wenn die Kassiererin kassiert. Ihr Zimmer geht jetzt nach hinten raus, mit Blick aufs Dorf. Früher hatte sie eins nach vorne und hat den Blick auf den Kanal genossen. Doch da ist jetzt die Kassiererin und ihr Anblick ist kein Genuss. Jedenfalls nicht für die Fährfrau.

Früher hat sie aus dem Fenster (das auf den Kanal hinaus) die dicken Jachten beobachtet, wie die Kapitäne sie stolz durch den Kanal steuerten. Die Kapitäne rochen nach Geld, selbst oben im Fenster nahm sie das wahr. Die Bäuche wurden durch das Cockpit verdeckt und das war auch besser so.

Sie hätte gerne mit einem davon ein Verhältnis gehabt. Der Bauch hätte sie nicht gestört. Er hätte sie in vornehme Restaurants ausgeführt statt in Willis Wurstparadies und irgendwann wäre sie in der Presse gestanden. Als die neue Begleitung von Schweini oder so. Obwohl, der ist zu jung und noch hat er keinen Bauch. Hat er eine Jacht?
Jetzt geht ihr Fenster nach hinten heraus und dort sieht sie nicht aufs Wasser, sondern auf die Küche von Willis Wurstparadies. Sie hat ein Verhältnis mit dem Koch angefangen. Doch der kommt erst spät in ihr Bett, ist dann müde und schläft sofort ein. Schnarchen tut er auch. Sie findet, dass Verhältnisse weit überschätzt werden.

Sie hat dem Koch empfohlen, sich anderweitig umzusehen. Der war beleidigt und hat gekündigt. Der Wirt hat ihrem Mann eine Szene gemacht, der Koch war ein guter Koch und die Gäste beschweren sich jetzt. Willis Wurstparadies sei nicht mehr, was es mal war.

»Was soll ich tun?«, hat ihr Mann, der Fährmann, gefragt.
»Vielleicht sollten Sie ihrer Frau gut zureden«, hat der Wirt vorgeschlagen.

Der Fährmann hat seiner Frau gut zugeredet und die Qualitäten des Kochs in den höchsten Tönen gelobt. Im Bett und in der Küche.
»Schlaf du doch mit ihm«, hat sie gesagt.
»Das geht nicht«, hat er geantwortet. »Dann ist die Kassiererin sauer und kündigt.«

Jetzt hat der Wirt den beiden die Wohnung gekündigt. Ihr Mann ist auf sie sauer und die Kassiererin auch. Seitdem wohnen sie in der Siedlung und ihr Fenster schaut auf den Wald. Der Wald gefällt ihr besser als die Küche.

Sonntags rauschenb die dicken Wagen vorbei mit dicken Männern am Steuer. Sie träumt davon, dass einer mit ihr ein Verhältnis anfängt. Einer, der nicht einschläft und nicht pupst.

Erstellt auf einem Workshop der Manuskriptur Babara Tauber

Berliner Binnenschifffahrt