Heute bespreche ich den Klappentext vob „Der Ozean am Ende der Straße“, ein Buch des Bestsellerautors Neil Gaiman.
Ich habe dieses Jahr nichts mit größerer Begeisterung gelesen!“ Daniel Kehlmann
Es war nur ein Ententeich, ein Stück weit unterhalb des Bauernhofs. Und er war nicht besonders groß. Lettie Hempstock behauptete, es sei ein Ozean, aber ich wusste, das war Quatsch. Sie behauptete, man könne durch ihn in eine andere Welt gelangen. Und was dann geschah, hätte sich eigentlich niemals ereignen dürfen …
Weise, wundersam und hochpoetisch erzählt Gaiman in seinem neuen Roman von der übergroßen Macht von Freundschaft und Vertrauen in einer Welt, in der nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Auch hier hat der Klappentext drei Teile. Einmal ein Zitat von Daniel Kehlmann, dann eine anschauliche Schilderung in einem Absatz und zum Schluss eine Zusammenfassung.
Zitate
Das Zitat am Anfang stammt von einem bekannten Bestsellerautor. Ein Zitat einer bekannten Autorin oder eines bekannten Autors ist immer werbewirksam und kann als Aufhänger des Klappentexts dienen. Aber wie gelangt ein Newcomer an so ein Zitat?
Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste: Workshops. Viele bekannte Autorinnen halten Workshops, entweder in Autorenschulen oder an Universitäten. Dort werden die Texte der Teilnehmerinnen besprochen, und wessen Texte dem Dozenten auffallen, der hat gute Chancen, einen kurzen Satz zu seinem Werk zu erhalten.
Die andere Möglichkeit sind Netzwerkkontakte. Wer auf Tik-Tok, FB oder Instagram mit anderen Autoren vernetzt ist, kann Freundinnen dort fragen, ob sie etwas zu dem Werk sagen wollen. Insbesondere solche, die bereits veröffentlicht haben, sind wertvoll. Aber auch Aussagen von Lesern, denen ein treffender, pointierter Satz einfällt, eignen sich für den Klappentext.
Ich weiß, es ist arrogant, aber Zitate unbekannterer Personen würde ich eher unter den eigentlichen Klappentext schreiben.
Wichtig ist nicht nur, ob der Autor bekannt ist. Sondern auch, was er selbst schreibt. Kehlmann schreibt gehobene Unterhaltung, magischen Realismus. Dementsprechend erwartet der Leser, dass das belobigte Werk ebenfalls in dieses Genre fällt. Ein lobender Satz von Sebastian Fitzek würde dagegen die Erwartung auf einen Psychothriller wecken.
Und last, but not least: Ihr Buch muss inhaltlich glänzen, damit jemand dafür einen Werbespruch zur Verfügung stellt.
Mittelteil
Ein Ententeich am Ende der Straße, das ist anschaulich, aber nichts Aufregendes. Doch Lettie behauptet, es sei ein Ozean, durch den man in eine andere Welt gelangen würde.
„Show, don´t Tell“, das gilt auch im Klappentext. Er soll einen Film im Kopf der Leserinnen und Leser starten. Und was ist dazu besser geeignet als ein Konflikt, ein Widerspruch, eine Verbindung von Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem?
Mit drei Sätzen schafft es dieser Klappentext, einen Film zu starten. Nicht nur über die Welt und die Handlung, sondern auch über die beiden Personen, Lettie und den Ich-Erzähler. Beides sind Kinder, so vermuten wir.
Und wir erwarten eine Geschichte zwischen Magie und Realität. Das haben wir bereits durch das Zitat von Daniel Kehlmann assoziiert.
Und was ist mit dem vierten Satz? „Und was dann geschah, hätte sich eigentlich niemals ereignen dürfen …“
Der ist sehr allgemein gehalten, kündigt ein gefährliches Ereignis an, etwas, das nie hätte geben dürfen.
Solche Sätzen sind gefährlich. Denn sie sagen wenig aus. In diesem Fall haben wir allerdings durch die anschaulichen Sätze davor eine Ahnung, was dieser Satz bedeuten könnte.
Ich-Perspektive und Ungewohntes
Klappentexte und Exposés sollten in der dritten Person, in personaler Perspektive und im Präsens geschrieben werden. Das ist der Standard, und so wird es überall empfohlen.
Hier haben wir einen Ich-Erzähler im Klappentext, das ist sehr ungewöhnlich. Das Buch selbst ist ebenfalls ungewöhnlich, also passt hier der Ich-Erzähler und verdeutlicht, um welche Art von Buch es sich handelt.
Die Zusammenfassung
Der Mittelteil geht ganz nah an Personen und Handlung heran durch die personale Perspektive des Ich-Erzählers.
Die Zusammenfassung am Schluss hingegen geht auf Distanz, sie blickt aus der Entfernung, aus der allwissenden Perspektive auf das Buch. Benennt die Themen (Freundschaft und Vertrauen in die Welt) und den Stil (weise, wundersam und hochpoetisch).
Könnte man einen derartigen Absatz auch an den Anfang eines Klappentexts setzen?
Nein. Und warum nicht?
Im Mittelteil sind wir dem Buch sehr nahegekommen, wir haben bereits Assoziationen dazu entwickelt. Auf die bezieht sich der letzte, distanzierte Absatz. Und ohne sie würde der allgemeine Absatz nicht wirken.
Resümee
Ein Widerspruch zwischen Alltäglichem und Irrealem funktioniert immer gut als Titel und als Klappentext. Daher lohnt es sich, das eigene Manuskript daraufhin zu untersuchen. Noch besser, wenn Sie beim Schreiben Widersprüchliches entdecken, dass Sie in Ihren Roman einbauen können. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg“, „Krieg und Frieden“: Achten Sie einmal darauf, welche Widersprüche Sie in erfolgreichen Romanen entdecken.
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Schicken Sie mir Ihren Klappentext und mit etwas Glück bespreche ich ihn hier im nächsten Blog
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