Hatten Autos in den sechziger Jahren vier oder fünf Gänge?

Susanne Zeyse ist Lektorin und Literaturagentin. Sie lektoriert und coacht Autorinnen und Autoren, hat für verschiedene Verlage gearbeitet und schreibt Klappentexte.

Hans Peter Roentgen: Welche Texte lektorierst du? Und was machst du in einem Lektorat?

Susanne Zeyse: Ich mache Belletristik und erzählendes Sachbuch für Verlage und freie Autorinnen und Autoren. Für Verlage sind auch oft Übersetzungslektorate dabei. In einem Lektorat kümmere ich mich um Rechtschreibung und Zeichensetzung – aber das ersetzt kein Korrektorat! – um Rhythmus, Wortwiederholungen und vergurkte Metaphern, streiche auch mal Überflüssiges. Logik ist sehr wichtig – wie alt ist die Figur am Anfang, wie viel Zeit vergeht, wie alt ist sie am Schluss? Oder: wenn sie am Anfang gut rechnen kann, sollte sie am Schluss keine Probleme beim Addieren haben. Manchmal recherchiere ich auch Dinge, die mir auffallen. Hatten Autos in den sechziger Jahren vier oder fünf Gänge? Sowas zum Beispiel.

HPR: Liebe Susanne, wie wichtig ist es, sich auf den Text einzulassen? Kannst du uns dazu etwas sagen?

SZ: sehr wichtig. Wenn ich mitten in einem längeren Buchprojekt bin, dann ist es gut, wenn ich nicht viele andere Sachen schreiben oder redigieren muss, damit ich meinen Schwung nicht verliere.

HPR: Wie sieht der typische Ablauf eines Lektorats bei dir aus? Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

SZ: Ich redigiere zwei bis drei Seiten zur Probe und schicke die dem Autor zu. Das kostet dann erstmal nichts. Die Autorin soll wissen, was auf sie zukommt und dass sie ein gutes Gefühl zu meinem Lektorat hat. Dass die Chemie stimmt, ist auch für mich sehr wichtig. Es geht beim Lektorat nicht darum, wer recht hat, sondern darum, dass das Buch besser wird. Wenn wir zusammenarbeiten wollen, schicke ich ein Angebot und dann geht es los. Ich mache einen Erstdurchgang, schicke zurück, der Autor nimmt an, verwirft, kommentiert und manchmal telefonieren wir, um schwierige Stellen zu besprechen. Dann lese ich nochmal und redigiere noch nach, wenn mir etwas auffällt.

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

SZ: Ich biete vor allem das Lektorat eines fertigen Buches an. Das ist der Ablauf, den ich aus dem Verlag kenne, der auch einen zeitlich festen Rahmen hat. Ein Buch ist fertig geschrieben, dann kommt das Lektorat, Korrektorat, Covergestaltung und Druck. Inzwischen habe ich gemerkt, dass viele sich beim Schreiben ihres Buches die Begleitung eines Profis wünschen. Deswegen mache ich seit ein paar Jahren auch stundenweise Beratung. Man kann mir ein paar Kapitel schicken und dann kann man mich am Telefon alles fragen, was einem wichtig ist.

HPR: Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Aufgabe eines Lektorats?

SZ: Die Stolpersteine rausmachen! Das Buch soll so rund und gut lesbar sein, dass Leserinnen und Leser nicht auf Seite 5 aus der Kurve fliegen und das Buch weglegen.

HPR: Gibt es typische Probleme in den Texten, die du erhältst, die immer wieder auftreten? Kannst du uns drei Beispiele nennen, die du immer wieder überarbeiten musst?

SZ: Spontan fällt mir ein: Zu viele Hauptsätze fangen mit dem Subjekt an.

Er machte … Er sagte … Er ging. Das liest sich oft sehr holperig und abgehackt. Der Stil kann ja manchmal passen, tut es aber meistens nicht.

Dann: Körperteile machen irgendwas. Im Englischen geht das, im Deutschen eher nicht. „Ihre Finger nahmen den Kaffeebecher“, ist meistens schlechter Stil.

HPR: Du hast zahlreiche Klappentexte entworfen und überarbeitet. Wie habe ich mir das vorzustellen? Was machst du da?

SZ: Ich lese das Buch. Mindestens das erste Drittel, eher bis zur Hälfte. Den Rest dann diagonal und das Ende. Und dann muss ein Werbetext her, der neugierig macht aufs Buch und nicht zu viel verrät. Klingt einfach, ist es aber nicht – manchmal bastle ich ziemlich lange daran herum.

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

SZ: Lektorat ist ein Prozess. Ich erwarte nicht, dass meine Kunde meine Änderungen alle übernehmen, ich erwarte aber, dass sie ernst nehmen, warum ich die Änderung vorgeschlagen habe: Weil der Text unrund war. Ich finde es aber auch cool, wenn ich etwas vorschlage, und dem Autor fällt noch etwas Besseres ein. Lektorat als Inspiration – das sind dann die richtig guten Momente.

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

SZ: Ich schätze: 95 Prozent.

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben?

SZ: Nichts. Es ist ja sein Buch. Kommt aber sehr selten vor.

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konntet? Was passiert dann?

SZ: Nein

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

SZ: Ich redigiere fast alles, aber seit ich auch als Agentin tätig bin, habe ich weniger Zeit fürs Lektorat und suche mir mehr aus, mit wem ich arbeiten möchte. Um mit wem lieber nicht.

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

SZ: Ich finde nicht, dass Preise ein heikles Thema sind, sondern klar kommuniziert werden müssen. Dann kann ein Autor sich entscheiden, ob er sich das gönnen möchte oder eben nicht. Ich nehme ab sechs Euro pro Normseite.Die Normseite hat 1500 Zeichen mit Leerzeichen. Klappentexte kosten extra. Beratung kostet 80 Euro die Stunde, das Lesen der zugeschickten Kapitel ist im Preis mit drin.

HPR: In welchem Bereich bewegt sich der durchschnittliche Aufwand für ein Manuskript eines Taschenbuchs mit 300 Seiten? Gibt es da Grenzen, maximal, minimal?

SZ: Für Verlage drei Wochen, bei freien Autorinnen und Autoren kann es länger dauern, macht aber meistens mehr Spaß.

HPR: Muss deiner Meinung nach eine Lektorin selbst erfolgreich Bücher veröffentlicht haben?

SZ: Nein. Manchmal denke ich, dass es gut für eine Lektorin ist, wenn sie nicht selbst schreibt. Denn alle, die schreiben, wollen vor allem schreiben. Redigiert wird vor allem, um Geld zu verdienen. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich so ist. Ich selbst schreibe nur sehr wenig.

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Hatten Autos in den sechziger Jahren vier oder fünf Gänge?

Ein Interesse an Texten von anderen, den Autor mit seinen Sorgen verstehen

Isabell Schmitt-Egner hat für den Carlsen Verlag, für Piper und andere Verlage lektoriert und die Bücher zahlreicher Selfpublisherinnen und Selfpublisher bearbeitet. Sie hat außerdem eigene Romane verfasst, der letzte war »Waldprinz«.

Hans Peter Roentgen: Welche Texte lektorierst du? Und was machst du in so einem Lektorat?

Isabell Schmitt-Egner:
Hinweis zu Anfang: Im Folgenden bezeichne ich aus Gründen der Vereinfachung und Lesbarkeit Autorinnen und Autoren beispielhaft als „der Autor“ in der männlichen Form.

Meistens sind es inzwischen Fantasybücher von Verlagsautoren. Im Lektorat verschaffe ich mir zunächst einen Überblick über die Welt, die Charaktere und die Story. Ich lote die Schwächen des Autors aus, die sich in der Regel schon auf den ersten Seiten zeigen. Dann gibt es eine erste Besprechung, immer am Telefon. Wir sprechen dann meine Anmerkungen durch, ich erkläre, was ich meine, was mir aufgefallen ist, und lasse den Autor sagen, ob das Absicht war, ein Denkfehler, ein Versehen usw. Dann mache ich Lösungsvorschläge, bis wir etwas finden, was dem Autor gefällt. Ich weise ihn auf seine Schwächen hin und frage ihn, ob er es selbst beheben will oder wo ich helfen soll. Das bedeutet auch mal, dass ich einige Seiten komplett neu oder umschreibe, falls der Autor sich an dieser Stelle überfordert sieht.

Im zweiten Durchgang ist das Feld bereits etwas bereinigt und übersichtlicher. Nun gehe ich in die Feinheiten, schleife an Formulierungen, mache Vorschläge für bessere Dialoge und bessere Witze etc. Ich suche nach weiteren Logikfehlern, die sich auch durch das Bearbeiten einschleichen können. Es folgt wieder eine Besprechung am Telefon.

Im dritten Durchgang ist das meiste dann erledigt, allerdings kommt es nicht selten vor, dass dann erst, da alles aufgeräumt ist, noch ein großer Logikfehler zutage tritt. Diesen hat vorher niemand bemerkt, weder Autor noch Testleser. Das passiert gar nicht so selten. Um diese Fehler zu finden, lese ich das Buch kapitelweise rückwärts. Man glaubt gar nicht, was sich noch auftun kann …

Reicht die Zeit, machen wir einen vierten Durchgang, feilen an Kleinigkeiten und suchen alle restlichen Schreibfehler, die wir finden können. Für den Verlag formatiere ich dann das Manuskript mit der verlagsinternen Formatvorlage. Danach geben wir ab und hoffen das Beste!

HPR: Welche Eigenschaften sind deiner Meinung besonders wichtig, um Texte zu lektorieren?

ISE: Ein Interesse an Texten von anderen, den Autor mit seinen Sorgen verstehen, das sind zwei sehr wichtige Punkte. Ich höre sehr viele Horrorgeschichten, was im Lektorat alles schiefgeht. Also nicht im Sinne von, man übersieht Fehler, sondern dass der Lektor dem Autor einen schlechten Stil einredet, also den Stil des Autors verschlimmbessert, indem er völlig falsche Hinweise gibt. Lektoren sollten sich fortbilden und sich intensiv mit Schreibtechniken beschäftigt haben. Ich höre immer wieder, dass sich einer ein Autorenprogramm kauft und dann Lektorat anbietet. Unbedarfte Autoren geben ihr Geld aus für jemanden, der ab und zu „show don’t tell“ an den Rand schreibt und den Rest automatisiert unterkringeln lässt und das wars.

Man sollte in der Lage sein, eine Geschichtenatmosphäre zu erfassen und zu spüren, ob sie stimmt. Man muss Geschichten verstehen, man muss Menschen verstehen. Man sollte Ideen haben, wie man eine vollkommen verkorkste Geschichte retten kann. Oder wie man eine Szene, die die Geschichte eigentlich kaputtmacht, später so relativieren kann, dass es eben doch funktioniert. Und vieles, vieles mehr. Über das Thema könnte ich stundenlang reden. Man braucht einfach Erfahrung. Inzwischen braucht mir jemand nur ein bisschen was von seiner Geschichte zu erzählen und ich ahne sofort, wo der Haken ist. Damit liege ich meistens richtig. Das war früher nicht so, das kommt mit der Zeit.

HPR: Wie sieht der typische Ablauf deines Lektorats aus? Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

ISE: Das hatte ich oben schon angedeutet. Ich verschaffe mir einen Überblick, stelle die Baustellen fest, es wird besprochen, wie wir das beheben und wer von uns was davon macht. In bis zu vier Durchgängen wird der Roman auf allen Ebenen optimiert, also inhaltlich, stilistisch, Charaktere, Spannungsbögen, Weltenbau, alles. Meistens teilen wir das Manuskript in mehrere Dateien auf, um parallel arbeiten zu können.

Während der Arbeit gebe ich dem Autor Tipps für seine persönlichen Probleme beim Schreiben und ich verrate ihm Tricks und Kniffe für seinen Text.

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

ISE: Ich biete nichts mehr aktiv an, muss ich sagen, denn seit ein paar Jahren bin ich immer im Vorfeld ausgebucht für das kommende Jahr. Immer mit ganzen Manuskripten. Deshalb verzichte ich auf eine Homepage, ich müsste sowieso alles absagen, was reinkommt. Trotzdem helfe ich Autoren nebenbei in Einzelfällen mit Klappentexten, Exposés, oder ich mache ihnen ein Schnellgutachten für wenige Manuskriptseiten, welches dann am Telefon besprochen wird. Das hilft Autoren weiter bei Schreibblockaden oder grundsätzlichen Denkfehlern, die man auf den ersten Blick nicht sieht.

HPR: Was ist deiner Meinung nach die wichtigste Aufgabe eines Lektorats?

ISE: Aus dem Manuskript eine Endversion zu machen, zu dem Autor und Lektor vollumfänglich stehen können.

HPR: Gibt es typische Probleme in den Texten, die du erhältst, die immer wieder auftreten? Kannst du uns drei typische Beispiele nennen, die du immer wieder überarbeiten musst?

ISE: Zum einen hätten wir da die „erklärende“ wörtliche Rede. Der Autor versucht verzweifelt, das Wort „sagte“ zu vermeiden und ersetzt es durch abenteuerliche Konstrukte, an denen erklärende Adjektive und Adverbien hängen wie geschmacklose Christbaumkugeln. Das kommt daher, dass der Autor erstens denkt, „sagte“ ist unkreativ und zweitens befürchtet er, nicht verstanden zu werden, also hängt er erklärende Zusätze dran.

Damit kommen wir zum nächsten Problem: Fehlender Subtext. Der Autor hat sich in Erklärungen verloren und man sucht vergeblich nach Subtext und damit nach Sog, Spannung und Unterhaltung.

Dann würde ich noch Charakterbrüche nennen. Die kommen häufig vor. Der Autor hat seinen Charakter nicht vor Augen und lässt ihn Dinge tun, die ihn zerstören, die ihn in den Augen des Lesers unglaubwürdig, unsexy oder planlos erscheinen lassen.

HPR: Bietest du auch Coaching an?

ISE: Ich coache, wie oben erwähnt, in kleinen Einheiten und in Einzelfällen. Für mehr ist keine Zeit aktuell. Abgesehen von Autoren, die ich im Lektorat habe, die erhalten natürlich jederzeit umfangreiche Coachings. Wir telefonieren dazu und auch Hausbesuche waren schon drin.

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

ISE: Normalweise übernehmen sie fast alles. Man kann nie erwarten, dass jemand ALLES übernimmt, das wäre Unsinn. Aber ich hatte es erst einmal, dass die Autorin vieles nicht übernehmen wollte. Bei allen anderen hat es geklappt.

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

ISE: Geschätzt würde ich sagen 95%.

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben?

ISE: Das kommt darauf an. Wenn es eine Formulierung ist, die Geschmackssache ist, dann lasse ich ihn einfach und sage nichts. Ist es in meinen Augen ein Schnitzer, dann erkläre ich es noch mal. Ist es wirklich falsch, dann kämpfe ich. Und meistens gewinne ich.

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konntet? Was passiert dann?

ISE: Einmal, wie gesagt. Wir konnten uns nicht grundsätzlich einigen, obwohl wir uns persönlich sehr mochten und auch heute noch mögen. Ich habe mich am Ende an den Verlag gewandt, weil die Diskussion sich über ein Jahr hinzog. Der Verlag hat es sich angesehen und mir recht gegeben. Am Ende habe ich das Lektorat niedergelegt und das Projekt wurde insgesamt auf Eis gelegt bis auf Weiteres.

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

ISE: Ich lektoriere aktuell nur für Verlage, da nehme ich, was sie mir geben. Das ist ja in der Regel vorher ausgesucht worden vom Verlag, also ist das Niveau schon gegeben. Ich habe schon Texte abgelehnt von Selfpublishern, darunter waren schlecht geschriebene Erotikromane und auch Manuskripte, bei denen man sah, dass die Baustelle zu groß war, dass es wirklich an allem fehlte. Das sagte ich dem Autor/der Autorin dann auch und riet vom Veröffentlichen zu diesem Zeitpunkt ab.

HPR: Was gehört zu deinem Lektorat? Grammatik, Rechtschreibung? Stil? Was noch?

ISE: Das alles, dazu Weltenbau, kreative Ideen für mehr Witz und Schwung. Dazu bilde ich mich weiter im naturwissenschaftlichen Bereich, das hat uns schon oft geholfen.

Charaktere ausbauen, Erzählerstimme finden, Prämisse finden und festlegen, Leitmotive, Perspektiven.

HPR: Kannst du das an einem Beispiel ausführen?

ISE: In einem Roman ging es um Feen. Diese taten aber nichts Besonderes, außer schön aussehen und Party machen. Das besprach ich mit der Autorin und sie wollte das ändern. Wir überlegten uns, welche Rolle die Feen in der Welt spielen könnten, welche Magie sie haben. Vorher schrieben sie auf Laptops und hatten Türschlüssel zu ihren Zimmern. Danach hatten sie Speicherkristalle und die Türen wurden von sprechenden Augen bewacht, die Namen und Charakter hatten. Wir liefen zur Höchstform auf und überboten uns gegenseitig mit Ideen. Das Manuskript bekam einen ganz anderen Charakter. Der Verlag war begeistert, sie erkannten das Manuskript kaum wieder. Weitere Bände entstanden, die Autorin war ganz in diese Welt eingetaucht und hat ein episches Werk entworfen. Die Bücher haben sich sehr gut verkauft.

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

ISE: Der Verlag macht mir ein Angebot, das ich dann so übernehme. Bei Autoren habe ich immer Pauschalpreise gemacht in derselben Höhe wie beim Verlag. Gelegentlich habe ich einen Freundschaftspreis gemacht.

HPR: In welchem Bereich bewegt sich der durchschnittliche Aufwand für ein Manuskript eines Taschenbuchs mit 300 Seiten? Gibt es da Grenzen, maximal, minimal?

ISE: Minimal würde ich sagen, sechs Wochen Zeit. Länger als drei Monate braucht man in der Regel nicht, es sei denn, der Autor wird krank.

HPR: Muss deiner Meinung nach ein Lektor selbst erfolgreich Bücher veröffentlicht haben?

ISE: Nein, das muss er nicht. Ein Trainer für Olympia muss ja auch nicht selbst turnen können oder genauso schnell schwimmen können. Aber es hilft natürlich, weil man als Autor weiß, wie sich ein anderer Autor fühlt.

HPR: Wie bist du eigentlich Lektor geworden? Wie sah dein Berufsweg aus?

ISE: Ich war Maskenbildnerin beim Film und hatte noch nie was geschrieben, aber ich merkte bei den Dreharbeiten oft, wenn etwas im Text nicht stimmte. Eines Tages schrieb ich einige Zeilen im Drehbuch um, obwohl das streng verboten war. Am nächsten Tag kam die Schauspielerin und sagte: „Wer hat das Drehbuch umgeschrieben?“ Ich meldete mich. Sie so: „DANKE!“

Da merkte ich, dass ich wohl richtiggelegen hatte mit meinem Textgefühl.

Irgendwann habe ich eine Kurzgeschichte verfasst und im Netz hochgeladen. Nach nur einer Stunde hatte ich das erste Manuskript im Briefkasten mit der Bitte um Kritik. Das überraschte mich. Ich kritisierte den Text, aber der Autor wollte das nicht hören. Egal.

Ich machte weiter mit eigenen Geschichten und kaufte mir als Erstes „Vier Seiten für ein Halleluja“ und „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“. Das erste Buch brachte mir etwas, das zweite nicht. Also kaufte ich weitere Ratgeber und schrieb weiter. Nebenbei fing ich an, Fehler in Büchern aufzulisten und an die Verlage zu schicken. Es kam nie eine Antwort.

Ich hatte mich in Foren angemeldet und versuchte mich weiterzubilden. Ich glaubte auch viel von dem Unsinn, der dort verzapft wurde. Im Nachhinein war das alles sehr lustig. Eines Tages bat mich eine Autorin um Hilfe. Ich ging ihr Buch durch und diese Anmerkungen bekam der Carlsenverlag in die Hände. Es folgte ein erstes Jobangebot als Korrekturleser, danach wurde ich schnell zum Lektor „befördert“. Alle anderen Jobangebote kamen dann durch Mundpropaganda auf mich zu. Beworben habe ich mich nicht, das ging wie von selbst.

HPR: Gibt es einen mittlerweile veröffentlichten Text aus deinen Lektoraten, den du uns besonders empfehlen würdest?

ISE: Ich strenge mich immer an, von daher habe ich da wenig Präferenzen. Ich empfehle mal aus der Fantasyecke die Fairy-Reihe von Stefanie Diem. Wer lachen will im Fantasybereich, dem empfehle ich die Reihe „Rotkäppchen und der Hipster-Wolf“ von Nina MacKay. Ganz ohne Fantasy, dafür mit maximalem Gefühl: „Best Friend Zone“ von Jennifer Wolf.

HPR: Herzlichen Dank für das Interview.

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Ein Interesse an Texten von anderen, den Autor mit seinen Sorgen verstehen

Ich mache Vorschläge und versuche sie gut zu begründen

Interview mit Ursula Hahnenberg

Ursula Hahnenberg lektoriert und coacht Autorinnen und Autoren in der Büchermacherei. Ihre Krimis „Teufelsritt“ und „Wolfstanz“ sind bei Goldmann erschienen.

HPR: Ursula, welche Texte lektorierst du? Und was machst du in so einem Lektorat?

UH: Ich lektoriere fast alle Texte, die zu mir kommen, Krimis, historische Romane, Liebesromane, Sachtexte, Ratgeber und vieles mehr. Dabei versuche ich jeweils zu erfassen, was der Autor oder die Autorin mit ihrem Text bewirken will, und gebe mein Bestes, um zu helfen, den Text in diese Richtung zu entwickeln.

HPR: Wie sieht der typische Ablauf eines solchen Lektorats aus? Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

UH: Normalerweise mach ich zuallererst ein Probelektorat. Das heißt, ich sehe mir den Text an und lektoriere die ersten Abschnitte oder Seiten, um festzustellen, was genau zu tun ist. Dann verschicke ich ein Angebot. Wenn du das annimmst, einigen wir uns auf einen Termin zur Bearbeitung. Wenn der dann gekommen ist, überarbeite ich (meist in Word, aber auch in Papyrus, pages, pdf, oder anderen Textprogrammen) mit der Funktion Änderungen verfolgen den Text. Dabei achte ich auf den roten Faden, die Perspektive und die Figuren, auf Sprache und Stil (beides sollte einheitlich, konsistent sein und zum Zielpublikum passen), aber auch auf Rechtschreibung und Zeichensetzung. Außerdem mache ich Kommentare mit Vorschlägen. Dann schicke ich dir das Manuskript zurück und du überarbeitest es selbst noch einmal. Wenn du möchtest, weil zum Beispiel viel umzuschreiben oder zu ergänzen war, machen wir einen zweiten Durchgang.

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

UH: Ich lektoriere alles, was meine Kund*innen brauchen. Dazu gehören natürlich auch Exposé und Klappentext. Ich erstelle aber auch Literaturgutachten, mit denen man einen Überblick über den Text bekommt (was ist zu tun, was muss verbessert werden) oder man kann sie auch nutzen, um sich bei einer Agentur oder einem Verlag zu bewerben.

HPR: Gibt es typische Probleme in den Texten, die du erhältst, die immer wieder auftreten? Kannst du uns drei typische Beispiele nennen, die du immer wieder überarbeiten musst?

UH: Ein typischer Fehler, der Anfängern wie auch Profis passiert, ist, nicht in der Perspektive zu bleiben. Oft wird eine personale Perspektive gewählt und dann erzählt man doch etwas, was diese Person nicht wissen kann. Oder Bilder, bzw. Redensarten, die leicht verfälscht werden, zum Beispiel sitzt dann die Taube nicht auf dem Dach, sondern in der Hand. Oder im Text steht, eine Figur solle nicht alles so grau sehen (dabei heißt es natürlich schwarzsehen). Und aus einem ganz anderen Bereich: Oft ist die Zeichensetzung bei der wörtlichen Rede nicht ganz klar.

HPR: Auf deiner Homepage bietest du auch Coaching an. Wie habe ich mir das vorzustellen? Was machst du da?

UH: Beim Coaching ist alles sehr individuell. Am Anfang steht ein Gespräch per Telefon oder Video, bei dem abgeklärt wird, was genau der Bedarf der Kund*in ist. Das geht von der Begleitung beim Schreiben bis zur Unterstützung bei der eigenständigen Überarbeitung. Mancher braucht Hilfe beim Plot oder bei der Perspektive, mal müssen die Figuren etwas anschaulicher werden. Das kann ganz unterschiedlich sein.

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

UH: Ich erwarte nicht, dass alles übernommen wird, ich mache schließlich Vorschläge. Aber da ich versuche, meine Anmerkungen und Vorschläge gut zu begründen und ich ein gutes Textgefühl habe, vertrauen mir meine Kund*innen meist.

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

UH: Das kann ich nicht, aber meine Kund*innen spiegeln mir, dass sie fast alles übernehmen.

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben?

UH: Nichts. Im Lektorat schlage ich Änderungen vor, von denen ich meine, dass sie den Text im Hinblick auf die Zielgruppe verbessern. Ich schlage sie aber nur vor. Ich bemühe mich immer, den Text in seinem oder ihrem Sinn zu überarbeiten und diese Vorschläge zu begründen. Die Macht über den Text hat im Endeffekt die Kund*in. Sie oder er hat das letzte Wort.

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konnten? Was passiert dann?

UH: Nein, wie gesagt. Ich mache Vorschläge und versuche sie gut zu begründen. Wenn mein Kunde oder meine Kundin anderer Meinung ist, dann ist das ihr gutes Recht. Die Texthoheit liegt bei ihm oder ihr.

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

UH: Das ist schwer, pauschal zu sagen. Es lohnt sich aber in jedem Fall, einen Text an Testleser*innen zu geben, bevor man eine Lektorin kontaktiert.

HPR: Was gehört zu deinem Lektorat? Grammatik, Rechtschreibung? Stil? Was noch?

UH: Inhalt, Aufbau, Sprache, Stil und natürlich auch Formales, wie Formatierung, Rechtschreibung und Zeichensetzung, wobei ich gerne betonen möchte, dass ich zwar keine Rechtschreibfehler stehen lasse, aber ein Lektorat keine Schlusskorrektur ersetzen kann.

HPR: Du bietest auch Speedplotting an. Was habe ich mir darunter vorzustellen?

UH: Speedplotting ist eine Methode, bei der man mit vorgegebenen Stichworten mit Hilfe des 7 Punkte-Plans einen Roman plotten kann. Es geht darum, in 45 Minuten an einem Beispiel vorzustellen, wie man mit den richtigen Fragen einen ersten Plotplan erstellen kann.

HPR: Kannst du das an einem Beispiel ausführen?

UH: Dazu am besten einmal auf der BuchBerlin oder zur Leipziger Messe zu einem Kurs kommen oder mich direkt buchen. Speedplotting geht zwar schnell, aber ca. 45 Minuten dauert es eben doch …

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

UH: Ich habe Stundenpreise. Ich erstelle jeweils individuelle Angebote nach Aufwand, den ich versuche nach einem Blick auf die ersten 10 Seiten des Manuskripts und das Exposé oder die Inhaltsangabe abzuschätzen. Seitenpreise für das Lektorat beginnen ab €5,50, für ein reines Korrektorat ab € 2,50, so als Anhaltspunkt, wobei in bestimmten Fällen, unter anderem für regelmäßige Kund*innen, Rabatte möglich sind. Intern rechne ich aber mit Stunden.

HPR: In welchem Bereich bewegt sich der durchschnittliche Aufwand für ein Manuskript eines Taschenbuchs mit 300 Seiten? Gibt es da Grenzen, maximal, minimal?

UH: Das kommt total auf den Text an. Muss erst noch inhaltlich und am Aufbau gearbeitet werden oder geht es eher um kleiner Anpassungen, die viel schneller erledigt sind? Genau deswegen sehe ich mir jedes Lektorat individuell an und mache meine Angebote auf Basis eines konkreten Texts. Ich bekomme Texte, da sind 300 Seiten in 15 Stunden und einem Durchgang erledigt und andere, da kann es doppelt so lange dauern. In meinem Angebot versuche ich, die benötigten Stunden zu schätzen. Überschätze ich den Aufwand, rechne ich nur die verbrauchten Stunden ab, unterschätze ich ihn, rechne ich trotzdem nicht mehr als den Angebotsbetrag ab. Das Risiko liegt also bei mir.

HPR: Gibt es einen mittlerweile veröffentlichten Text aus deinen Lektoraten, den du uns besonders empfehlen würdest?

UH: In den fünf Jahren sind eine Menge guter Texte, spannende Krimis und Romane, aber auch Sachbücher zusammengekommen. Am besten einfach mal einen Blick auf die Veröffentlichungen unserer Kunden werfen, die wir auf der Website der Büchermacherei regelmäßig aktualisieren.

HPR: Herzlichen Dank für das Interview.

aus: Tempest 11/2019

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Die Text-Qualität erkennen professionelle Lektoren nach ein paar Seiten

Interview mit Michael Lohmann

Michael Lohmann hat eine Vergangenheit, und zwar eine Chefredakteurs-Vergangenheit in deutschen Großverlagen. Außerdem betreibt er seit acht Jahren unabhängig von seiner Lektorentätigkeit das Blog deutschmeisterei.de, in dem er täglich aufspießt, was einem so alles aufstößt im täglichen Kampf um gutes Deutsch. Nicht zu vergessen, er hat eine ganze Phalanx erfolgreicher Autorinnen und Autoren lektoriert, von Béla Bolten bis hin zu Patrizia Prudenzi.

Hans Peter Roentgen: Michael, welche Texte lektorierst du? Und was machst du in so einem Lektorat?

Michael Lohmann: Vor allem Romane, ein paar Sachbücher, wenn mich das Thema interessiert. Biographien auch mal, aber nur, wenn die Schreibenden wirklich etwas zu sagen haben. Kurz: Einer mit dreißig sollte sich von Biographischem fernhalten. Das langweilt nicht nur den Lektor.

Im Laufe der Jahre hat sich eine gewisse Nähe zu Krimis ausgebaut, zu Thrillern, zu Abenteuergeschichten – und zu Frauenliteratur. Vor allem aber arbeite ich immer wieder gern mit denselben Autoren zusammen. Ich bin in der glücklichen Lage, ablehnen zu können – und ziehe bekannte Gesichter vor. Und Geschichten, die mich beim Anlesen aus den Socken hauen.

HPR: Mal angenommen, ich schicke dir einen Text, welche Schritte passieren dann, bis das Lektorat beendet ist?

ML: Ich gehöre zu denen (ich glaube: zu den wenigen), die Probelelektorate kostenlos machen. Zwanzig, fünfundzwanzig Normseiten bearbeite ich, als hätte ich mit dem Autor schon ein Vertragsverhältnis. So lerne ich den Text kennen (ja, die Text-Qualität erkennen professionelle Lektoren nach ein paar Seiten!), und der Autor lernt, wie ich den Text angehe.

Ich telefoniere leidenschaftlich gern. Nach dem Anlesen steht ein langes Telefonat über Wünsche und Ziele an. Dann mache ich einen Kostenvoranschlag, einen verbindlichen. Kommt man sich näher, fange ich unter fester Terminvorgabe an. Vor den Text stelle ich eigene zwei Seiten mit einer Art Glossar der Kürzel, mit denen ich meine Anmerkungen kommentiere: INQ steht für böse Inquits [Verben des Sagens – die Red.], KillPass für ein erlegtes Passiv, LE für Loses Ende, Infdump für Info-Dump. Und so weiter. Das spart mir die Mühe, jede meiner Anmerkungen immer zu begründen. Ich lese jeden Text zwei Mal.

Nach dem ersten Lesen ist der Autor dran; er muss sich mit meinen Anmerkungen befassen. Das zweite Lesen ist dann oft ein gänzlich neues. In der Regel sehe ich die Geschichte anders und mache tiefer gehende Anmerkungen, was den Plot anbelangt: lose Enden, Unstimmigkeiten, Charakter-Entwicklung. Der Text zum zweiten Lesen geht parallel – in meinem Seitenpreis inbegriffen – an eine Korrektorin, mit der ich seit drei Jahren zusammenarbeite. Ihre Fundstücke (auf 300 Seiten bestimmt noch mal 30 bis 40, die der Autorin und mir entgangen sind) baue ich in das zweite Lesen ein.

HPR: Bietest du unterschiedliche Lektoratsformen an (Exposé, Klappentext, Manuskriptgutachten), oder sind es immer vollständige Texte?

ML: Ich biete das gängige Lektorat an, dazu gehört für mich auch der Klappentext. Parallel dazu arbeite ich viel (und sehr gern) auch an Exposés bis zur Marktreife. Diese Anforderungen nehmen deutlich zu. Auf meine Lektorenseite worttaten.de habe ich zu „Exposé“ einen eigenen Registerpunkt gestellt.

HPR: Müssen die Texte ein bestimmtes Niveau haben, damit du sie lektorierst? Oder lektorierst du alles?

ML: Darf ich die Frage streichen? Oder auch nicht. Ja, müssen sie. Ich will Spaß bei der Arbeit haben, Lesen ist mein Leben. Nein, das streichen wir wirklich. Ich lese für mein Leben gern. Texte, die ich erst auf ein akzeptables, marktfähiges Niveau trimmen muss, werden so teuer, dass es sich der Autor nicht mehr leisten kann, es sei denn, er ist Investmentbanker. Dann reden wir über Ghostwriting.

HPR: Was gehört zu deinem Lektorat? Grammatik, Rechtschreibung? Stil? Was noch?

ML: Ja, all das sowieso. Faktengenauigkeit, ich checke jede Tatsachenbehauptung. Charakterentwicklung. Aufbau des Werks. Und ganz besonders: Würde das Werk mich so weit reizen, dass ich nach zwanzig Seiten den Knopf zum Kauf drücken würde? In meinen Augen gewinnt oder stirbt das Werk auf dieser Kurzdistanz. Anders herum: Ich schlage dem Autor (und natürlich auch der Autorin) Eingriffe oder Umstellungen vor. Und telefoniere auch direkt darüber, wenn ich meine, dass ich zu sehr eingreife.

HPR: Gibt es typische Probleme in den Texten, die immer wieder auftreten? Kannst du uns drei typische Beispiele nennen?

ML: (1) Die Ansicht, der Duden liefere so etwas wie ein Vorschlagswerk aus. Für ein allgemeines Verständnis von Text beuge ich mich den Regeln und erwarte das auch von den Schreibern.

(2) Adverbien, die nach wörtlicher Rede die Stimmungslage des Sprechenden noch mehr betonen sollen („Ich vertraue dir nicht“, sagte er misstrauisch). Die Schreiber misstrauen (!) der Wörtlichkeit, die sie selbst erschaffen haben!

(3) Sätze mit mehr als einem Relativsatz. Ich frage mich dann immer, an welchem Glied dieses Satzes die Leserin zum nächsten Absatz springt. Über meiner Arbeit steht ein Satz des geschätzten, sprachkonservativen Wolf Schneider: „Einer muss sich quälen: der Autor oder der Leser.“ Der Autor möge sich bitte quälen. Sonst tue ich es.

Und ja, (4) Kaputte Perspektiven. Kommt häufiger vor, als man denkt. Ich merke das nur an. Die Neuformulierung überlasse ich dem Autor.

HPR: Übernehmen deine Kunden alle deine Änderungen? Erwartest du, dass alles übernommen wird?

ML: Nein, das erwarte ich nicht. Überhaupt nicht. Ich empfinde mich – das mache ich auch im ersten Telefonat klar – als Dienstleister. Ich mahne, merke an, verbessere. Was die Autorin damit macht, ist ihre Sache, sie ist im Lektoratsprozess die Bossin, die mich Tag und Nacht behelligen darf.

HPR: Kannst du einen Durchschnittswert sagen, wie viel Prozent deiner Änderungen übernommen werden?

ML: Über 90 Prozent.

HPR: Was geschieht, wenn der Kunde sagt: Nein, so wie du das geändert hast, will ich das nicht haben?

ML: Dann bekommt er seinen Willen. Ich bin in dieser Beziehung vollkommen uneitel. Und ich verabscheue, auch im Alltag, ausufernde Diskussionen über Geschmäcklerisches. Über falsche „dass / das“ und „sie / Sie“ indes kann man nicht streiten.

HPR: Gab es auch schon mal Fälle, in denen du und der Kunde euch nicht einigen konnten? Was passiert dann?

ML: Ja, es gab den Fall, dass der Kunde nach dem ersten Lesen begründen konnte, dass ich neben der Kappe lag. Peinlich für mich. Wir haben uns dann finanziell geeinigt. Asche auf mein Haupt! So etwas klebt lange in der Weste.

HPR: Kommen wir zum heikelsten Thema, den Preisen. Hast du feste Preise für bestimmte Leistungen, zum Beispiel pro Normseite? Oder wonach berechnest du den Preis deiner Leistungen?

ML: Ich weiß nach dem Probelektorat, wie groß mein Aufwand sein wird. Bin ich unsicher, lese ich noch mal die Seite 199 bis 209, 299 bis 309 und so weiter. Es sind Erfahrungswerte aus der Anzahl der Eingriffe pro Seite. Danach lege ich einen Preis pro Normseite fest für den Kostenvoranschlag, der auch nicht diskutiert wird. In dem steht alles, auch das Zahlungsziel. Es gab in meiner Praxis erst zwei Mal den Fall, dass Autoren nicht bezahlt haben. Dann werde ich sauer und juristisch.

HPR: Wie bist du eigentlich Lektor geworden? Wie sah dein Berufsweg aus?.

ML: Nach dem Studium Volontariat bei der Badischen Zeitung in Freiburg. Dann schnell in den Journalismus, als Chefredakteur einiger Publikumszeitschriften in Hamburg, unter anderem TV Spielfilm, TV Movie und Hörzu. Danach habe ich zwei Jahre lang eine Zeitschrift herausgebracht, die sich mit der deutschen Sprache beschäftigte, den Deutschen Sprachkompass. Der Zufall wollte es, dass ich in dieser Zeit sehr viel selbstverlegte Bücher las und mich über die Qualität ärgerte, die dramaturgische und die sprachliche. Ich habe dann aus einer Laune heraus einen der Autoren angeschrieben. Mit dem arbeite ich heute noch. Freiberuflich war ich in der Zeit sowieso schon, ein Lektorat ergab das nächste. Heute kann ich mich über Aufträge nicht beklagen und ich lebe sehr gut davon – vor allem aber: Es ist das Erfüllendste, das ich beruflich jemals gemacht habe.

Studiert habe ich Islamkunde und Germanistik

HPR: Gibt es einen mittlerweile veröffentlichten Text aus deinen Lektoraten, den du uns besonders empfehlen würdest?

ML: Die Bücher von Victoria Suffrage und Elsa Rieger, die Krimis von Béla Bolten und die Wegner-Reihe von Thomas Herzberg, die Bücher von Lily Ashby alias Karen Scharmann. Alles von Patrizia Prudenzi. Die zwei irrsinnig fitzeligen Karten-Quartett-Spiele (Opern und Orgeln), die jetzt in der Elbphilharmonie verkauft werden. Gott, wem trete ich hier gerade auf die Füße?

HPR: Lieber Michael Lohmann, danke für das Interview!

aus: Tempest 10/2019

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Interview Horst Eckert

Konflikt, Konflikt, Konflikt!

Horst Eckert hat mit „Wolfsspinne“ einen Krimi über eine fiktive Neonazi-Terroristengruppe vorgelegt. Auch seine früheren Krimis behandeln fiktive Geschichten, die an reale politischen Geschehnisse anknüpfen. Grund genug, ihn zu den Themen Spannung und Politthriller zu befragen.

Hans Peter Roentgen: Horst Eckert, du hast mit »Wolfsspinne« einen Roman über den NSU geschrieben, einen Politthriller. Der eine andere, fiktive Geschichte des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) erzählt. Auch deine anderen Romane behandeln politische Themen. „Sprengkraft“ handelt von islamistischen Terroristen, aber auch von einer Partei, die der AfD sehr ähnelt. Der Krimi wurde allerdings lange vor der AfD geschrieben.
Wie fühlt man sich, wenn das, was man als Fiction erfunden hat, Realität wird?

Horst Eckert: Manchmal ist es schon seltsam, wenn man während des Schreibens die Nachrichten verfolgt und das Gefühl hat, die Realität holt einen ein. Man darf sich dadurch aber nicht aus dem Konzept bringen lassen. Ich muss nicht alles in meine Fiktion einbauen, damit sie „wahrer“ wird. Andererseits gibt die Wirklichkeit meistens die besten Inspirationen.

Hans Peter Roentgen: Warum schreibst du Politthriller? Was ist überhaupt ein Politthriller?

Horst Eckert: Vermutlich nennt man einen Thriller so, wenn er politische Themen streift oder direkt aufs Korn nimmt. Ich mache das immer wieder gern, denn mich interessiert, wohin unsere Gesellschaft steuert. Und Themen, die uns alle betreffen, haben automatisch eine gewisse Größe. Das gilt allerdings auch für viele „allgemein menschliche“ Themen. Die Mischung macht für mich den Reiz. Und das Neue. Ich erzähle im Hier und Heute. Kriminalliteratur, die ich mag, das ist keine Märchenstunde, kein Eskapismus, sondern Auseinandersetzung mit der Psyche des Menschen und mit der Moral unserer Gesellschaft. Und schnell sind wir dabei im Politischen.

Hans Peter Roentgen: Deine Wolfsspinne thematisiert die Verquickung des Verfassungsschutzes mit der Neonazi-Szene in Thüringen und Sachsen. Heute wissen wir, dass der Verfassungsschutz viele Neonazis aus dem Umfeld des NSU auf den Lohnlisten hatte.
In deinem Roman übt die Politik Druck auf die Dienste aus. Wer die meisten V-Leute aus der Szene hat, macht Karriere. Das hat natürlich zur Folge, dass Neonazis verpflichtet werden und Geld erhalten. Dahinter steht die Hoffnung, dass man so Anschläge verhindern könne. Auch bei Islamisten ist das immer wieder das Argument. Gerade habe ich von einem Islamisten gelesen, der für den Verfassungsschutz gearbeitet hat.
Lassen sich so Anschläge verhindern?

Horst Eckert: Es wird immer Anschläge geben. Ganz kann man das nie ausschließen. Es geht darum, das Risiko zu vermindern. Und es geht um die Frage, was wir dafür zu opfern bereit sind. Denn irgendwann kommt die Gesellschaft an den Punkt, wo ein Mehr an Sicherheit nur durch den Verzicht auf Freiheiten zu haben ist. Das gilt es abzuwägen.
Sobald Geheimdienste involviert sind, kommt allerdings noch ein Risiko hinzu, wie gerade der Fall NSU zeigt. Denn der Verfassungsschutz arbeitet geheim, das heißt, nur unter sehr begrenzter Kontrolle. Macht lädt zum Missbrauch ein und deshalb darf sie eigentlich nie unkontrolliert verliehen werden. Ich frage mich: Braucht wirklich jeder Ministerpräsident dieser Republik seinen eigenen Geheimdienst?

Hans Peter Roentgen: Einerseits erhofft man sich von Geheimdiensten, Infos über die Neonaziszene zu erhalten (und natürlich auch über Islamisten). Andererseits sind da die Befürchtungen, dass sich diese Dienste immer weiter der demokratischen Kontrolle entziehen. Manchmal tun sie mir Leid. Sie sollen in die Szene gehen. Was nur geht, wenn sie sich an kriminellen Aktionen beteiligen, sie vielleicht sogar als Agent Provocateur Taten provozieren, um die Extremisten auffliegen zu lassen.
Andererseits sollen sie legal handeln Wie siehst du das?

Horst Eckert: Es gibt das Legalitätsgebot. Kein Beamter darf sich als verdeckter Ermittler an Straftaten beteiligen. Selbst Nazis, die als V-Mann geführt werden, also im besten Fall gegen Geld ihre Kumpels verraten, dürfen keine Verbrechen begehen. Andernfalls müsste man die Zusammenarbeit beenden und sie vor Gericht stellen. So will es das Gesetz, und wenn sich die Polizei nicht daran hält, fliegt das auf und es gibt einen Skandal. Aber die Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes arbeiten im Geheimen. Und schon haben wir das Problem, das uns auf die schiefe Bahn führt. Beispiel NSU: Der Verfassungsschutz weiß nach dem Untertauchen der drei Bombenbauer, wo sie sich aufhalten, verrät sie aber nicht der Polizei, weil er sich irgendwelche Erkenntnisse erwartet oder womöglich einen der drei Neonazis als V-Person führt. Dann gibt es den ersten Banküberfall. Man hält weiter die Hand über das Trio. Schließlich der erste Mord. Wenn man jetzt die Drei an die Polizei verrät, fliegt auf, wie sehr man bereits mit drinsteckt. Also schaut man weiter zu und spricht vielleicht eine Warnung aus. Das würde erklären, warum der NSU nach 2006 keinen Migranten mehr ermordet hat. Plötzlich überfällt der NSU aber wieder Banken, und die Polizei kommt ihm auf die Spur. Wie kommt der Verfassungsschutz ungeschoren davon? Die Leute umbringen und es als Selbstmord tarnen. So geschieht das im Roman, natürlich fiktiv, denn ich habe keine Beweise. Aber für mich klingt diese Version stimmiger als die Selbstmord-Erzählung der Bundesanwaltschaft. Wer einmal unsauber agiert, verstrickt sich immer tiefer. Klassische Tragödie.

Hans Peter Roentgen: Der Verfassungsschutz hat Akten geschreddert, als das BKA Einsicht verlangte. Im Fall des Buback-Mordes wurde gar nichts geschreddert, da hat der Minister die Akten für geheim erklärt, weil die Sicherheit der Bundesrepublik sonst gefährdet würde. Dabei ist der Mord 40 Jahre her.
Die USA hatten keinen Geheimdienst, weil das dem Selbstverständnis einer Demokratie wiedersprechen würde. Heute haben sie mit NSA, CIA und manch anderem Dienst riesige Geheimdienstzentralen mit hunderttausenden Angestellten.
Sind Geheimdienste ein notwendiges Übel, um das kein Staat herumkommt?

Horst Eckert: Wenn aufgrund von geheimdienstlichen Erkenntnissen ein Anschlag verhindert wird, sind wir natürlich froh, dass es sie gibt. Aber wie viele fremdenfeindlich motivierte Anschläge finden trotzdem statt, fast jeden Tag? Ich befinde mich da im Dilemma. Aber gerade daraus entstehen gute Geschichten. Als Autor muss ich also froh sein, dass es Geheimdienste gibt.

Hans Peter Roentgen: Deine Romane sind superspannend. Wie erzeugst du Spannung? Gibt es da bestimmte Techniken und Tricks? Falls ja, kannst du mal aus dem Nähkästchen plaudern und uns einige vorstellen?

Horst Eckert: Ich brauche eine Figur, die etwas unbedingt will und aktiv wird, es zu erreichen. Zweitens brauche ich Hindernisse, die der Figur im Weg stehen und vor denen sie trotzdem nicht kapituliert. Immobilienmakler sagen, dass es für eine gute Wohnung drei Kriterien gibt: Lage, Lage, Lage. Und für einen spannenden Roman gibt es ebenfalls drei Kriterien: Konflikt, Konflikt, Konflikt. Damit hat man noch nicht alles, aber den unverzichtbaren Grundstock.

Hans Peter Roentgen: Politthriller erzählen anhand realer Ereignisse eine erfundene Geschichte. Sind sie also sowas wie »Verschwörungstheorien«? Wieweit befördert der Politthriller die Liebe zu Verschwörungen, die im Moment ja gerade aufblüht? Oder gilt der Satz: Suche nicht nach einer Verschwörung, wenn ganz gewöhnliche Dummheit als Erklärung völlig ausreicht?

Horst Eckert: Ich liebe Verschwörungstheorien. Wenn am Ende eines Krimis steht, dass der Täter nur aufgrund einer dummen Verwechslung sein Opfer getötet hat, fühlen wir uns um eine intelligentere Auflösung betrogen. Wenn ich die Wege der Macht nicht durchschaue, kann eine plausible Verschwörungstheorie immerhin Erklärungen liefern. Ich glaube nicht, dass ich dadurch eine Politikverdrossenheit schüre, denn das Misstrauen ist ja schon da.
Hans Peter Roentgen: Was ist für einen guten Thriller wichtiger: gute Dramaturgie oder guter Stil?

Horst Eckert: Mir ist beides wichtig, auch wenn sich erstaunlich viele Bücher allein aufgrund ihrer Dramaturgie gut verkaufen.
Hans Peter Roentgen: Wie schreibst du deine Romane? Planst du vorab die Handlung? Oder schreibst du los und die Geschichte entwickelt sich während des Schreibens?

Horst Eckert: Erst muss der Plan stehen. Aber er muss nicht perfekt ausgearbeitet sein, denn nach vierzehn Romanen weiß ich, dass mir beim Schreiben noch jede Menge Einfälle kommen werden, um Lücken zu schließen.
Hans Peter Roentgen: Ich habe kürzlich Le Carre´s Erinnerungen gelesen. Und jede Menge Personen getroffen, die ich aus seinem Roman »Dame, König, As, Spion« wiedererkannt hatte. Hast du auch reale Personen im Kopf, wenn du eine Person entwickeltst? Hast du erst die Person im Kopf oder erst die Idee?

Horst Eckert: Zuerst die Person. Aber nicht ein reales Vorbild und auch nicht etwa irgendwelche äußeren Merkmale, sondern der fiktive Konflikt, in dem sie sich befindet. Und daraus ergibt sich auch schon der Plot. Ich kann Handlung und Figur nicht trennen, denn ich charakterisiere die Figur durch das, was sie tut, also durch die Handlung. Indem eine Figur versucht, ihre Hindernisse zu überwinden, wird sie lebendig und interessant. Ob sie dann blond oder dunkelhaarig ist, ist völlig unwichtig.
Hans Peter Roentgen: Die Mutter deines Kommissars Vincent Che Vehs war Mitglied der RAF, also ebenfalls eine »Terroristin«. Allerdings haben Baader-Meinhof nicht wahllos Leute umgebracht, wie das Islamisten und Neonazis tun. Wie schwierig ist es für dich, sich in solche Menschen zu versetzen?

Horst Eckert: Es ist sehr schwer, wenn jemand menschenverachtend denkt und handelt. Gerade beim NSU-Thema hat mir ein regelrechter Ekel vor dem Gedankengut dieser Szene den Einstieg schwer gemacht. Andererseits wissen wir ja, wie diese Leute ticken, und es ist nun mal mein Job, mich auch in solche Figuren hineinzuversetzen. Dabei hilft es mir dann etwas, dass jeder Terrorist nebenher auch ein Mensch mit ganz alltäglichen Sorgen ist. Im Monster steckt oft ein kleines, verbittertes Würstchen.
Hans Peter Roentgen: Da kommen wir zum Motiv. Der Hass ist sicher das eine. Das andere ist der Glaube, für die gute Sache zu kämpfen und notfalls zu sterben. Die RAF hat ihre Morde mit dem Imperialismus begründet, der ja noch viel schlimmer sei. Die Islamisten kämpfen für Gott und gegen die bösen Amis, die nur Geld im Sinn habe. Und wer Flüchtlingsheime anzündet, glaubt, dass der Islam Deutschland erobern will und die deutsche Kultur vernichtet. Da heiligt der Zweck die Mittel und die Kollateralschäden – sprich die Morde – werden schöngeredet.
Welche Rolle spielen politische Ideen in deinen Romanen?

Horst Eckert: Natürlich kommt das vor, soweit ich das zur Charakterisierung meiner Figuren oder zum Vorantreiben der Handlung benötige. Im Wesentlichen überlasse ich es dann den Lesern, diese Motive einzuordnen, denn ich schreibe ja keine Thesenromane. Auch setze ich den Ideen meiner Figuren nicht meine eigenen entgegen. Meine Leser können sich sehr gut ihre eigene Meinung bilden, denke ich.

Hans Peter Roentgen: Mancher Geheimdienstthriller hat ja klare Fronten. Die eine Seite sind die Guten, die andere die Bösen. Die Guten sind gut, dürfen deshalb alles, die Bösen sind böse und haben deshalb keine Rechte.
Wie entkommt man diesem Schwarz-Weiß Denken? Und sind die Leser überhaupt bereit, einem Autor dann zu folgen? Wenn er nicht mehr ihre Weltsicht teilt?

Horst Eckert: Grauzonen finde ich spannender als klare Fronten. Figuren, die changieren oder sich entwickeln, interessieren mich mehr als eindimensionale Helden oder Bösewichte. Ich kann nur hoffen, dass mir die Leser folgen. Auf jeden Fall bekommen sie bei mir ein Gespür dafür, dass ein Schwarz-Weiß-Denken nicht immer unserer Welt gerecht wird. Aber einen Punkt gibt es, an dem ich moralisch rigoros werde. Der Vorstellung, dass die Guten alles dürfen, kann ich nämlich nicht folgen. Romane, in denen für einen vermeintlich guten Zweck gefoltert oder Selbstjustiz geübt wird, finde ich abstoßend.

Hans Peter Roentgen: Herzlichen Dank für das Interview.

Horst Eckerts Homepage

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Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen
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Interview Horst Eckert