Überarbeiten und Lektorat: Dialog

Dialoge können fesseln, aber auch langweilig sein. Und die erste Version ist oft langweilig. In den Texten, die mir zugeschickt werden, finden sich oft lahme Dialoge.

Doch welche Möglichkeiten gibt es, sie in der Überarbeitung spannend zu gestalten?

Das Ping-Pong-Spiel

Sie kennen Ping-Pong, auch Tischtennis genannt? Der Ball fliegt zwischen den Spielern hin und her, und je besser die Spieler, desto schneller der Ballwechsel.

Langweiligen Dialogen fehlt das oft. Der Sprecher lässt den Ball auf die Platte fallen, schaut sich um, kann sich nicht entscheiden.

Wir haben ein Problem“, sagte der Chef, „wir haben November, die Nächte werden immer dunkler, bald haben wir Vollmond, da sehen wir gar nichts mehr, weil es neblig wird. Diese Gegebenheiten müssen wir unbedingt berücksichtigen bei unseren Planungen, das dürfen wir nicht vergessen oder aus den Augen verlieren, denn das könnte unangenehme Folgen haben.“

Der Wind kommt von Osten und kühlt jeden aus, der Schmiere steht, dann werden unsere Männer krank.“

Richtig, ich will keine Ausfälle wegen Erkältung haben, nicht jetzt am Jahresende, wo wir Hochsaison haben.

Klar, das müssen wir berücksichtigen.“

Fesselt Sie dieser Text? Mich nicht. Und warum? Weil es eine Aufzählung von Informationen ist, weil es keinen Konflikt gibt. Da unterhalten sich zwei, die die gleiche Meinung haben und bestärken sich in dieser Meinung. Und so entsteht keine Spannung.

Wie bringen Sie Konflikt in den Dialog?

Suchen Sie in dem Text Stellen, die unterschiedliche Menschen unterschiedlich bewerten können. Dann lassen Sie zwei aufeinander los.

Bei dem Ostwind friere ich mir den Sack ab beim Schmierestehen“, sagte der schöne Gottfried.

Dann frierst du dir eben den Sack ab“, sagte der Chef. „Verdammt noch mal, wir brauchen Erfolge!“

Erfolge, Erfolge! Wenn ich das schon höre! Sind wir hier bei Twitter und du Chef Musk?“

Lass den Quatsch! Bist du ein Weib, dass du dich vor ein bisschen Ostwind fürchtest?“

Du hast gut reden, du bist im warmen Büro und reichst uns die Sachen raus. Wir haben dann die Erkältung“.

Die Sätze fliegen zwischen den Kontrahenten hin und her. Halten Sie sich das Ping-Pong-Spiel immer vor Augen, wenn Sie einen Dialog überarbeiten. Sehen sie sich gute Dialogszenen im Film an, und lesen Sie solche. Am wirkungsvollsten sind Schmetterbälle, schnell hin und her, und beide Spieler wollen gewinnen. Auch im Dialog wollen die Sprecher gewinnen.
Nie den Konflikt vergessen!

Kurze Sätze, keine komplexe Grammatik

Wie reden Leute auf der Straße? Kurze Sätze, kaum Nebensätze, stattdessen Hauptsätze. In der Realität spricht kaum jemand wie Thomas Mann. Es sei denn, es handelt sich um einen Philosophieprofessor, der seine Zuhörer langweilt. Mit langsamen, hoch gespielten Bällen wird das Spiel nicht spannend.

Sehen Sie sich nochmal das erste Beispiel oben an. Klingt es nach mündlicher Rede? Wohlgemerkt, es muss nach mündlicher Rede klingen, aber nicht identisch sein. „Äh“ und viele andere Füllwörter prägen die Rede auf der Straße. Die können Sie streichen. Kurz sollten die Sätze sein.

Konflikt, kein Small Talk

    Small Talk ist im wahren Leben ungeheuer wichtig. Man versichert sich, dass man auf der gleichen Wellenlänge liegt, dass man sich schätzt, dass man höflich ist. Im Roman geht es jedoch nicht um Höflichkeit und auch nicht um politische Korrektheit.

    Guten Tag!“

    Hallo!“

    Wie geht es dir?“

    Gut. Und dir?“

    Auch gut. Weißt du schon, die Corona–Infektionszahlen sind schon wieder gestiegen.“

    Ja, habe ich gerade gelesen. Finde ich furchtbar. Und du?“

    Schrecklich.“

     Damit gewinnt man keine Leser und kein Tischtennis-Spiel. Was unterscheidet die Ziele, die Weltsicht der Sprecher? Das liefert Ihnen die Chance, gute Matchbälle zu schlagen. Auch hier: Lassen Sie zwei Menschen mit unterschiedlichen Meinungen den Dialog führen.

    Die Coronazahlen sind …“

    Du mit deinen Coronazahlen! Die sollten Corona einfach laufen lassen.“

    Und deine Oma soll dran sterben?“

    Die will Ihre Enkel sehen!“

    Und die stecken sie dann an!“
    „Die ist sowieso schon halb tot und überlebt das Jahr nicht!“

     Nicht gerade angenehme Zeitgenossen, die hier sprechen. Aber angenehme Zeitgenossen machen keinen spannenden Roman. Warum sonst werden die Krimis mit fiesen Mördern haufenweise gelesen?

    Jeder spricht anders

    Jeder hat eine Herkunft, eine andere Ausbildung, individuelle Ziele und Wünsche. Und jeder Sprecher hat dementsprechend eine unverwechselbare Sprache. Beim BKA analysiert man Erpresserbriefe und andere Texte, um sie anhand der Sprache zuzuordnen. Mittlerweile gibt es eigene Sprachprofiler dafür.

    Ein bedächtiger Mensch spricht anders als ein Draufgänger, ein Hauptschüler anders als ein Uni-Absolvent, ein Bayer anders als ein Uckermärker. Nutzen Sie das. Lassen Sie nicht alle in Ihrem Tonfall sprechen, dem Tonfall der Autorin. Verwandeln Sie sich in die Dialogpartner. Was sind das für Menschen? Wie würden sie reden? Schüchtern drum herumreden? Direkt und knapp? 

    Zwischen den Zeilen findet sich das Wesentliche

    Was für ein Mann ist Kapitän Renault?“, fragt die junge Bulgarin in Casablanca.

    Wie jeder Mann, nur etwas mehr“, antwortet Rick.

     Das, was wichtig ist, wird hier nicht mit Worten gesagt, sondern ergibt sich aus dem Kontext. Er ist ständig hinter Frauen her, steht zwischen den Zeilen. Ein Schürzenjäger. Aber davon findet sich kein Wort im Text. Vieles im Dialog wird nicht ausgesprochen. Und dadurch wirkt es viel eindrücklicher. „Kapitän Renault ist ein Schürzenjäger und denkt immer an Sex“, das wäre sehr viel weniger spannend.

    Du bist nicht Gott.“

    An irgend jemand muss man sich doch ein Beispiel nehmen.“

     Dieser Dialog aus einem Woody-Allen-Film sagt auch nicht direkt in Worten, was gemeint ist. Der eine wirft dem anderen vor, dass er sich für unfehlbar hält, und der andere kontert. Vergleichen Sie das einmal mit dem folgenden Dialog: 

    Du glaubst, du weißt alles besser. Mich nervt das immer, da kriege ich ein schlechtes Gefühl, wenn du mich ständig korrigierst.

    Da irrst du dich, ich will dich nicht korrigieren, ich weiß, dass man das im Gespräch nicht tun soll und beherzige diese Erkenntnis.“ 

    Was würden Ihre Dialogsprecher auf gar keinen Fall direkt sagen? Und wie würden sie es umschreiben?

    Sparsam mit Körpersprache

      Gerne werden im Dialog Aktionen der Sprecher beschrieben, um den Dialog zu unterstreichen, und um Dinge anzuzeigen, die nicht im Dialogtext stehen. Das kann sehr wirkungsvoll sein, aber Sie sollten es mit Vorsicht einsetzen. Viel hilft auch hier nicht viel, weniger ist oft mehr.

      Die Körpersprache sollte auch wirklich Bedeutung haben. Wenn sich der Sprecher zehnmal über die Glatze streicht, verpufft die Wirkung, und es bremst das Tempo.

      Das geht schief.“ Der Finanzcontroller kratzte sich an der Nase.

      Wir haben dafür keine Kapazitäten“, sagte der Personalleiter und strich sich über die Glatze.

      Das Programm funktioniert noch nicht einwandfrei.“ Der Entwicklungschef fuhr sich übers Haar.

      Wir führen es morgen auf der Messe vor“, bestimmte der Direktor und schaute ernst in die Runde.

      Gerade das In-die-Runde-Schauen ist sehr beliebt, sagt aber wenig aus. Wählen Sie eine aussagekräftigere Körpersprache. 

      Das geht schief.“ Der Finanzcontroller knackte mit den Knöcheln.

      Verdammt noch mal, wir haben dafür keine Kapazitäten!“, sagte der Personalleiter.

      Das Programm hat mehr Fehler als ein Straßenköter Flöhe“, sagte der Entwicklungsleiter.

      Der Direktor nahm seine Brille ab und faltete sie sorgfältig auf dem Tisch zusammen. „Wir führen es morgen auf der Messe vor“, bestimmte er. 

      Jetzt sind es nur noch zwei körpersprachliche Elemente, die dafür aber eindeutiger sind. Und ein Teil dessen, was im ersten Beispiel über Körpersprache ausgedrückt wird, steht jetzt im Dialogtext. Dass der Personalleiter und der Entwicklungschef gar nicht glücklich sind, ergibt sich aus dem, was sie sagen, da benötigt man keine Körpersprache. Und dass der Boss die Brille abnimmt und auf den Tisch legt, zeigt deutlich, dass das sein letztes Wort ist.

      „Sagte sie, sagte er“ – das reicht

      Im Dialog wird oft der Sprecher genannt (sagte der Vater, rief der Bulle), in der Fachsprache heißen diese Hinweise „Inquits“. Das sind formelhafte Elemente, um den Sprecher zu bezeichnen. Leserinnen nehmen sie als Formeln wahr, die festlegen, wer spricht. Deshalb müssen Sie sich nicht mühsam Synonyme suchen (flüsterte er, wisperte sie, antwortete er, grollte sie).

      Sie können auch in einem langen Dialog bei „sagte sie / er“ bleiben. Weil das Formeln sind, stört die Wiederholung hier nicht.

      Sparsam mit Inquits

      Sie müssen nicht jeden Dialogabschnitt mit einem Inquit abschließen. Wenn klar ist, wer spricht, können Sie „sagte sie“ weglassen und nur manchmal erwähnen, wer der Sprecher ist. Der Dialog wird dadurch schneller und knapper. Hier ein Beispieldialog zwischen Mutter und pubertierendem Sohn. 

      Du bleibst hier“, sagte seine Mutter.

      Du hast mir nichts zu befehlen.“

      Du willst dich nur zusaufen wie letzten Abend.“

      Ich treff mich mit Freunden! Wir machen Hausaufgaben.“

      Die garantiert viel Alkohol enthalten, möchte ich wetten.“ 

      Hier ist immer klar, wer spricht. Das wird auch dadurch sichergestellt, dass Mutter und Sohn ganz unterschiedliche Ziele und Motive haben, also eine Verwechslung gar nicht möglich ist.

      Dreifach gemoppelt ist zweimal zu viel

        Du Arschloch!“, schrie er wütend.

        In diesem kurzen Abschnitt wird dreimal dasselbe gesagt, nämlich, dass der Sprecher wütend ist. Vertrauen Sie Ihren Lesern, sie werden automatisch begreifen, dass der Sprecher auf 180 ist. Es reicht „Du Arschloch!“. Gerade bei emotional aufgeladenen Szenen wirkt ein knapper Dialog besser, da er Tempo hat und die angespannte Situation besser erleben lässt.

        Ein guter Dialog ist einer, in dem der Text bereits Stimmung und Emotion des Sprechers verrät. Aber wie immer gibt es Ausnahmen.

        Du Idiot“, sagte er lachend.

        Da kann man auf das Adjektiv nicht verzichten, weil „Idiot“ hier keine Beleidigung ist, sondern eine Frotzelei unter Freunden.

        Unvollständige Sätze

        Woran erkennt man, dass zwei Menschen streiten? Nicht nur an der Lautstärke, sondern auch daran, dass sie einander nicht ausreden lassen. Und dass die Sätze kürzer werden, je emotionaler der Streit wird. Nehmen wir mal eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem Mafiaboss und seinem Killer. 

        Ich möchte keine Nonne erschießen, das geht gegen mein Gewissen“, sagte der Killer.

        Joe, das ist keine Nonne, das ist Susan aus dem Nachtclub“, erwiderte der Boss. „Also tu deine Pflicht und drück ab.“

        Ich werde in der Hölle landen deswegen und meine Mutter unglücklich machen.“

        Du hast so viele umgelegt, dann kannst du die jetzt auch töten.“

        Aber Boss, das ist eine Nonne, und meine Mutter wollte immer, dass ich Nonnen ehre und beschütze, das steht auch im Beichtbrevier, das ich habe.“

        Wenn du es beichtest, wird dir jede Schuld erlassen, so steht es im kanonischen Recht §47 über die Beichte und die Vergebung.“ 

        Ganz klar, niemand würde in so einer Situation so reden. Erinnern Sie sich an das Ping-Pong-Spiel? Heftige Szenen benötigen ein schnelles Spiel. Hier werden korrekte Sätze wie im Deutschunterricht gewechselt. Und damit wird die nicht die Nonne, sondern die Spannung umgebracht.

        Ich kann keine Nonne …“

        Das ist keine Nonne, das ist Susan.“

        Aber das Habit …“

        Drück endlich ab!“ 

        Ach ja, das ist auch so ein Dialog, in dem Sie gar keine Inquit-Formeln benötigen. 

        Dialekt im Dialog

        Dialekt kann einen Sprecher identifizieren. Ein Bayer spricht anders ein Berliner. Und heute haben viele Gebildete jeden Dialekt abgelegt, auch das ist ein Kennzeichen.

        Nur leider gibt es ein Problem: Wenn Sie jemand niederbayrisch reden lassen, werden sich alle Nicht-Bayern schwer tun, es zu verstehen. Sie müssen erst mal die Sprache übersetzen und können nicht der Geschichte folgen.

        Verwenden Sie also nur einzelne Wörter oder Satzwendungen im Dialog, die den Leser daran erinnern, das ist ein Bayer, das ein Berliner. Gerade bestimmte grammatikalische Konstruktionen sind typisch für Dialekte.

        Das geht nicht, weil das ist verboten.“ (Umgangssprache)

        Das ist dem Chef sein Steckenpferd.“ (Ruhrgebiets-Genitiv) 

        Gleiches gilt, wenn Sie Menschen sprechen lassen, die eine andere Muttersprache haben und nur gebrochen Deutsch reden. Auch da sollte man nicht übertreiben. Und notfalls jemanden um Rat fragen, der den Dialekt sprechen kann oder Muttersprachler der fremden ist. Denn es ist nicht so einfach, einen Deutschtürken reden zu lassen, wenn man selbst gar kein Türkisch kann und nicht weiß, welche typischen Formulierungen jemand aus diesem Sprachkreis benutzt.

        Und bitte, bitte, bleiben Sie dabei. Jemanden erst gebrochen Deutsch sprechen zu lassen, der dann in perfektem Hochdeutsch fortfährt, das fällt auf. Passiert übrigens immer wieder Erpressern, die ihre Briefe abfassen, als wären sie Türken, dann aber die Geldübergabe in perfektem Deutsch formulieren. Da freut sich der Sprachprofiler!

        Dialoge testen

        Lesen sie sich Ihre Texte laut vor. Sie werden erstaunt sein, wie viele Stolpersteine und unglückliche Formulierungen Sie dabei entdecken. Noch besser: Lassen Sie ihn sich von einem Freund vorlesen. Es gibt auch Programme, die Texte vorlesen. Da diese keine Betonungen verwenden, fallen unglücklich formulierte Stellen dabei besonders auf.

        Wenn Sie unsicher sind, testen Sie einfach mehrere Fassungen. Streichen Sie zum Beispiel auf einer Seite alle Inquits (sagte er, sagte sie), und legen Sie beide Seiten nebeneinander. Sie werden schnell sehen, welche Sie benötigen und welche nicht.

        Die Methode funktioniert für alle Tipps, die ich genannt habe. Einen Tipp umsetzen und den Text überarbeiten – und dann beide Fassungen nebeneinanderlegen. Das schärft Ihr Bewusstsein dafür, was nötig ist und was nicht.

        Wenn Sie noch nicht viel Erfahrung damit haben, Dialoge zu überarbeiten, dann ändern Sie nicht gleich alles, sondern nur eine Sache, damit deutlicher wird, wie diese Änderung wirkt. Und dann lesen Sie sich Ihren Text laut vor.

        Zusammenfassung

        Prüfen Sie Ihre Dialoge bei der Überarbeitung. Vor allem auf folgende Punkte:

        – Gibt es einen Konflikt?

        – sind die Dialogteile zu lang und eher Monologe?

        – dient der Dialog vornehmlich der Informationsvermittlung?

        – sind die Sätze zu korrekt?

        Und damit wünsche ich Ihnen viel Erfolg dabei, knackige, spannende Dialoge zu schreiben.

        Überarbeiten und Lektorat: Dialog

        Überarbeitung und Lektorat: Mäandern

        Der Mäander (heute: Büyük Menderes) ist ein Fluss in Anatolien und war in der Antike berühmt, weil sich seine Mündung in unendlich viele Flussarme aufteilte.
        Bei manchen Texten habe ich genau das gleiche Gefühl. Sie teilen sich in unendlich viele Stränge auf, immer neue Details, die eben wegen ihrer Fülle nicht mehr spannend sind.

        Es war eine stürmische Nacht, das alte Haus ächzte und stöhnte, vor hundertfünfzig Jahren hatte der berühmte Architekt Marius Maier es entworfen, es kam in die Zeitungen. Marius Maier war eng mit dem letzten deutschen Kaiser befreundet, dem er jedes Jahr zu Weihnachten eine dicke Flasche Champagner schenkte, die zwanzig Jahre in dem Weingut seiner Tante, der Witwe Dupont, gereift war. Er besuchte sie jedes Jahr, um den Champagner abzuholen. Die Witwe war eine große Frau mit groben Händen, die ihn als Kind wegen ihrer Größe immer erschreckt hatten. Aber ihr Mann hatte große Frauen geschätzt, alle seine Geliebten waren auch größer als er. Er wollte Schriftsteller werden, doch dann heiratete er die Witwe Dupont, die damals noch keine Witwe war, und schrieb Bücher über den Champagner-Anbau, die sehr gerne gelesen wurden vom deutschen Bildungsbürgertum, das damals im Kaiserreich immer mehr Einfluss gewann, und …

        Wie sich der antike Mäander nicht entscheiden konnte, wie er ins Meer fließen wollte, können sich solche mäandernden Texte auch nicht entscheiden, wohin sie führen sollen.
        „Wenn Sie im ersten Akt eine Pistole an die Wand gehängt haben, sollte sie im Folgenden abgefeuert werden. Sonst legen Sie sie nicht dort ab.“ Das hat der russische Schriftsteller Tschechow gesagt.
        Was ist im obigen Text das Äquivalent zum Gewehr? Was wird im Laufe der Geschichte Bedeutung gewinnen? Der Architekt? Seine Freundschaft zum Kaiser? Die große Witwe Dupont? Das alte Haus, das bald einstürzt?

        Wie erkennt man mäandernde Texte?

        Vor allem im literarischen Genre versuchen manche Autorinnen und erst recht Autoren, mit dem Mäandern Tiefe zu gewinnen. Wenn sie Glück haben, wird das im Feuilleton gelobt. Dann liest sie zwar kaum einer, aber sie haben einen Namen.
        Wenn Ihre Bücher gelesen werden sollen, dann prüfen Sie sie darauf, ob die Details einen Zusammenhang haben. Oder ob viele unverbunden nebeneinanderstehen. Fragen Sie andere Autoren, was die von dem Text behalten haben. Oder versuchen Sie, Freundinnen kurz zu erzählen, worum es in Ihrem Buch geht.
        Scheitert das oder endet im Herumstottern: „Da ist ein altes Haus und der Kaiser und ein Architekt, der es gebaut hat, und eine große Tante …“, dann mäandert Ihr Text.

        Was ist spannend?

        Zum Glück lassen sich auch mäandernde Texte verbessern und überarbeiten. Fragen Sie sich: Was ist in der Geschichte spannend? Was spricht Sie besonders an? Fragen Sie Kolleginnen, Freunde, welchen der vielen Flussläufe sie weiterlesen wollen.
        Oft gibt es in einem mäandernden Text eine Hauptströmung, die aber durch die Vielzahl der mäandernden anderen Textläufen verdeckt wird.

        Wie endet die Geschichte?

        Wenn Sie die Geschichte bereits geschrieben oder geplottet haben, lohnt sich ein Blick auf den Schluss. Wer oder was spielt da die entscheidende Rolle? Stürzt am Schluss das Haus ein und begräbt die ganze Familie unter sich? In dem Fall können Sie die Freundschaft zwischen Architekt und Kaiser kurz erwähnen, aber die Witwe und der Champagner können raus.
        Meist müssen Sie einen solchen Text neu schreiben. Beginnen Sie mit dem Haus. Geben Sie ihm mehr Raum. Und lassen die vielen Details weg.

        Mäandern ist Gerüstbau

        „Der erste Entwurf ist immer scheiße“, das wusste schon Hemingway. Sie müssen kein schlechtes Gewissen haben, sich nicht schämen, wenn die Lektorin Ihnen sagt: „Der Text mäandert.“ Das passiert den besten Autoren. Viele müssen sich erst mal einschreiben. Da dient der erste Entwurf als Gerüst, das Halt gibt.
        Aber ein Gerüst ist kein Haus. Und ein mäandernder Text kein spannender Roman. Da hilft nur: neu schreiben.

        Übung 1

        Nehmen Sie sich obigen mäandernden Text vor. Lesen Sie ihn noch mal. Dann sagen Sie, ohne lange zu überlegen, was Sie fasziniert. Nur eine Sache. Nicht lange nachdenken. Und dann schreiben Sie dazu eine Szene.
        Wie fühlt sich der neue Text an, wenn Sie ihn laut lesen?

        Übung 2

        Nehmen Sie das Champagner-Weingut. Dort wird ein Mord geschehen. Jetzt schreiben Sie obigen Text neu, mit dem Wissen, dass er auf einen Mord zusteuert. Ohne den Leser mit der Nase darauf zu stoßen.

        Überarbeitung und Lektorat: Mäandern

        Überarbeitung und Lektorat: Emotionen

        Bereits auf den ersten Seiten eines Manuskripts fällt mir auf, ob es Emotionen weckt. Denn das entscheidet darüber, ob Leserinnen und Leser das Buch überhaupt lesen werden. Ob eine Geschichte spannend ist, hängt davon ab, ob sie Emotionen weckt. Geschichten, die die Leserinnen kalt lassen, werden nicht gekauft.

        Und beim Lektorat merkt man bei solchen Texten: Da fehlt ein Gewürz: Emotion. Doch wie kann man nachwürzen?

        Das Wichtigste bei den Emotionen: Der Leser muss Gefühle entwickeln, nicht der Autor.

        Emotionen nicht behaupten, sondern zeigen

        Und was weckt Gefühle? Menschen interessieren sich für andere Menschen. Wenn etwas Menschen passiert, die man gern hat, dann fiebert man mit.

        „Manfred hatte Angst.“

        Immer wieder lese ich solche Sätze in den Lektoratstexten. Da behauptet die Autorin ein Gefühl. Weckt das Gefühle beim Leser? Nein.

        Warum nicht? Weil wir nicht wissen, was Manfred Angst macht. Weil der Autor das Gefühl behauptet, uns aber nicht zeigt.

        Wie überarbeitet man Stellen im Manuskript, an denen Gefühle nur behauptet werden?

        Lassen Sie etwas passieren. Verwandeln Sie die Autorenbehauptung in eine konkrete Szene, möglichst anschaulich.

        „Die Tür flog auf. Ein maskierter Mann richtete seine Pistole auf Manfred.“

        Jetzt kann jeder Leser nachvollziehen, dass Manfred Angst hat, Sie müssen es gar nicht mehr schreiben.

        Eine Person wählen, nicht viele

        „Der Heeresbericht meldet heute heftige, verlustreiche Kämpfe im Gebiet der südlichen Westfront.“

        Das ist noch sehr allgemein. Natürlich wissen wir, dass da viele gefallen sind. Aber viel eindrücklicher ist es, das Schicksal eines einzigen Soldaten zu schildern. Erich Maria Remarque hat die Gräuel des ersten Weltkriegs in „Im Westen nichts Neues“ anhand eines Soldaten gezeigt. Und das ist sehr viel eindrücklicher, weckt viel mehr Gefühle als das Schicksal ganzer Armeen.

        Tiere, Alien, Technik vermenschlichen

        Und was ist mit Tieren, Alien, Natur, Technik? Verwandeln Sie sie in lebende Wesen. Zeigen Sie sie, als wären sie lebendig.

        „Der Berg war im Winter gefährlich, das wusste Manfred.“

        Das ist recht abstrakt. Besser wirkt es so:

        „Der Berg grollte. Spuckte Schnee in die Luft.“

        Allgemeines am Schluss

        Dürfen Sie nie Gefühle benennen? Doch, manchmal kann das nützlich sein. Aber eine wichtige Faustregel dafür lautet:

        Erst die konkrete Szene. Dann die allgemeine Zusammenfassung.

        „Der Berg grollte. Spuckte Schnee in die Luft. Manfred bekam Angst.“

        Hier wissen die Leserinnen, warum Manfred Angst bekam. Und ahnen, jetzt wird es gleich schlimm werden.

        Natürlich kann man auch den letzten Satz noch anschaulicher formulieren:

        „Der Berg grollte. Spuckte Schnee in die Luft. Manfred schauderte und beschleunigte seine Schritte.“

        Damit bauen Sie das Gefühl in eine Handlung ein (er beschleunigte seine Schritte).

        Also: Achten Sie bei der Überarbeitung auf Stellen, in denen Gefühle nur behauptet werden. Und überarbeiten Sie sie so, dass die Szenen den Leser die Gefühle erleben lassen.

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        Überarbeitung und Lektorat: Emotionen

        Üerarbeitung und Lektorat: Der Giersch

        Gärtner hassen Giersch. Der überwuchert alles. Und schön sieht er auch nicht aus. Den Giersch wird man im Garten kaum wieder los. Ihn auszureißen ist so wirkungsvoll, wie ihn zum Tee einzuladen. Er kümmert sich nicht darum. All die Pflanzen, die er brutal überwuchert, würden Auge und Seele vielmehr erfreuen.

        Nicht anders ist es bei manchen beliebten Nebensatz-Konstruktionen. Sie vermehren sich, ohne dass es Autoren bewusst wird. Wenn ich die erste Als-Konstruktion in einem Text auf Seite eins lese, weiß ich, dass sie unterirdisch weiter wuchert und sehr bald neue Triebe austreiben wird.

        Als der Wecker klingelte, wachte ich auf. Während ich aufstand, schlug ich die Decke zurück, da sie mich störte.

        Da gibt es gleich drei literarische Gierschkonstruktionen. Einmal eingeführt, blühen sie überall auf. Und das ist das tödliche Gift: Eine Als-Konstruktion auf fünf Seiten würde niemandem auffallen. Aber fünf davon hintereinander, die einen Abschnitt einleiten, nerven auch die sanftmütigste Leserin. Wer will denn auch jede Menge Giersch im Garten haben? Oder ein Buch lesen, in dem jeder Abschnitt so beginnt: „Als ich dies tat, passierte jenes.“?

        Als ich in die Dusche stieg, schaltete ich das Warmwasser ein.

        Damit soll eine zeitliche Folge betont werden. Die Frage ist: Ist das nötig? In den allermeisten Fällen nicht.

        Ich stieg in die Dusche und schaltete das Wasser ein.

        Das ist einfacher und obendrein verständlicher. Dass beides zeitlich hintereinander folgt, kann sich der Leser denken. Und ich wette mit Ihnen, dass Sie bald danach wieder eine Konstruktion mit „als“ oder „während“ oder „da“ verwenden. Wer sich einmal angewöhnt hat, immer die zeitliche Reihenfolge oder Gleichzeitigkeit zu betonen, wiederholt das schnell wieder. Die Texte wimmeln dann von literarischem Giersch und überwuchern Ihre Texte, die dadurch bald gleichförmig wirken.

        Während ich dies schreibe, denke ich daran, wie unschön es ist, immer ‚während‘ zu verwenden.

        Einfacher: „Immer während zu verwenden, ist ziemlich unschön.“ Und macht eine Menge Arbeit, weil man alle diese literarischen Unkräuter bei der Überarbeitung mühsam ausrupfen muss.

        Unkraut wächst vor allem auf überdüngtem Boden. Die Düngung erfolgt durch den Glauben der Autoren, dass sie alles erzählen müssten, und zwar in genauer zeitlicher Reihenfolge. Auch fortlaufende logische Begründungen mit „da“ wirken ähnlich.

        Da der Wecker klingelt, wache ich auf. Während ich zur Dusche gehe, gähne ich. Als ich die Dusche betrete, drehe ich den Hahn auf. Während das Wasser aus der Dusche läuft, seife ich mir die Haare ein. Als ich die Haare eingeseift habe, spüle ich sie aus. Während ich mir die Haare trockne, plane ich meinen Tag. Als ich aus der Dusche trete, ist auch der gutwilligste Leser endgültig entschlafen. Während ich glaubte, ein Meisterwerk zu schreiben, habe ich meine Leserinnen verloren, da ich sie eingeschläfert habe.

        Giersch ist allerorten – und furchtbar langweilig.

        Schreiben Sie einfach, das ist eine der wichtigsten Regeln des Schreibens. Lassen Sie den Wecker klingeln, und wachen Sie auf. Damit der literarische Giersch gar nicht erst Wurzeln schlagen kann.

        Üerarbeitung und Lektorat: Der Giersch

        Überarbeitung und Lektorat: Spannung

        Spannung zwingt den Leser, die Leserin dazu, weiterzulesen. Hat der Text keine Spannung, klappt die Leserin ihn zu. Und der Leser auch.
        Zwar klappe ich als Lektor den Text nicht zu und maile: „Scheiße, taugt nichts“. Aber ich überlege, wie man mehr Spannung in den Text bringen kann. Dafür gibt es zum Glück einige Techniken.


        Mit der spannendsten Szene beginnen


        Welche Szene, welche Absätze in dem Text wecken am ehesten Spannung? Das ist oft gerade nicht die erste Szene oder der erste Absatz. Sie können Ihre Geschichte allein dadurch verbessern, in dem Sie alles davor streichen. Werfen Sie den Leser ins Wasser, „So spät wie möglich einsteigen, so früh wie möglich wieder raus“ ist eine sehr hilfreiche Schreibregel.
        Der Grund ist einfach: Wer sich zum Schreiben hinsetzt, schreibt sich oft erst mal warm. Und kommt erst danach zu einer spannenden Szene. Beim Hausbau wird erst das Gerüst aufgebaut. Dann beginnt der eigentliche Bau. Wenn der steht, bricht man das Gerüst ab.
        Machen Sie es mit Ihrem Text auch so. Streichen Sie die Absätze, mit denen Sie sich erst einmal warmgeschrieben haben. Vielleicht können Sie sie verändert später nutzen? Bewahren Sie sie also auf.


        Die Kamera-Distanz

        Erinnern Sie sich an spannende Filmszenen. Wie wird dort standardmäßig Spannung aufgebaut?
        Erst sehen Sie alles durch die Totale. Damit der Leser weiß, wo er sich befindet.. Dann fährt die Kamera auf die Personen zu, Halbtotale. Dann Nahaufnahme. Und im spannendsten Moment ist die Kamera ganz dicht dran an der Hauptfigur. Die Heldin hat den Tunnelblick und die Leser ebenfalls. Nur noch ein Detail ist wichtig.

        Legolas erreichte die Passhöhe, kahl und felsig, immer noch mit Eis bedeckt.
        Unten lag das Tal mit der goldenen Stadt, deren Paläste bis hier hoch blitzen.
        Plötzlich brüllte etwas auf. Ein riesiges Mammut sprang aus den Felsen auf ihn zu.
        Die spitzen Zähne funkelten in der Sonne und das war alles, was Legolas noch sehen konnte
        .

        Das ist jetzt der Standardaufbau. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Filmsessel und sehen Ihre eigene Szene auf der Leinwand. Wie können Sie mit Distanzwechsel und abschließendem Tunnelblick die Spannung steigern?
        Natürlich ist diese Reihenfolge nicht in Stein gemeißelt, aber hilft, wenn die Spannung fehlt, weil die Kamera-Distanz in Ihrer Szene nicht stimmt.
        Übung 1
        Nehmen Sie Ihr Lieblingsbuch aus dem Schrank. Schauen Sie sich eine spannende Szene darin an. Und schreiben Sie auf, wie dort die Distanz verläüft. Markieren Sie die Stellen mit T (Totale), HT (Halbtotale), N (Nahaufnahme).
        Übung 2
        Nehmen Sie sich eine Ihrer Szenen vor, die nicht so spannend ist. Markieren Sie auch dort die Kamera-Distanz.
        Dann variieren Sie die Kamera-Distanz. Wie ändert sich in der Wirkung? Legen Sie beide Fassungen Testlesern vor. Wie beurteilen diese die unterschiedlichen Fassungen?


        Verwandeln Sie sich in die Hauptperson

        Hängen Sie sich ein Bild des Schauspielers an den Bildschirm, der die Hauptperson am besten spielen könnte. Notfalls setzen Sie eine Maske auf. Tun Sie alles, damit Sie ganz mit der Person verschmelzen.
        Dann schreiben Sie, was diese Person, die Sie jetzt sind, sieht, denkt, erlebt. Was nehmen Sie wahr?
        Wenn Sie Legolas sind, werden Sie, sobald das Mammut erscheint, nur noch Augen für dieses Ungeheuer haben. Nicht die bunten Blumen am Wegesrand bewundern, auch nicht die Kritzeleien, die frühere Besucher in die Felsen geritzt haben.

        Die Pointe

        Spannung funktioniert ähnlich wie Witz. Es genügt nicht, dass man den Witz kennt, man muss ihn auch erzählen können. Es kommt weniger auf das „Was“ an, sondern auf das „Wie“. Manche Autorinnen können selbst eine Telefonliste in eine spannende Lektüre verwandeln und es gibt Erzähler, die mit den ältesten Kamellen Lachsalven ernten.
        Witze soll man nicht erklären, sondern direkt auf die Pointe hinsteuern. Das gilt auch für Szenen und Geschichten.
        Übung 3
        Erzählen Sie die Szene von Aufgabe 1 mit eigenen Worten nach. MusikerInnen lernen dadurch, dass sie bekannte Musikstücke nachspielen, Maler kopieren die Werke anderer, Schachspielerinnen spielen die großen Partien der Meister nach. Warum nicht auch Autoren?

        Wann ist ein Text spannend?


        Wenn der Leser (oder Zuhörer) unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Wenn die Leserin nicht auf die Toilette geht, bis die Blase fast platzt und sie das Buch mitnimmt. Dann ist ein Buch spannend.
        Was heißt: Spannung ist ein Leserphänomen. Der Leser, nicht die Autorin empfindet die Spannung. Deshalb ist es so wichtig, sein Publikum zu kennen. Wenn der Leser nicht mitgeht, dann ist der Text eben nicht spannend.

        Der Leser entscheidet

        Kurz gesagt, ob eine Geschichte spannend ist, entscheidet der Leser, nicht der Autor und schon gar nicht Literaturwissenschaftler. Wichtig ist allein, ob der Leser „am Ball“ bleibt. Leser sind Masochisten, sie wollen, dass die Autorin sie fesselt und auf die Folter spannt.
        Und die spannendsten Szenen sind oft die, bei denen sich die Autorin fragt: Darf ich das überhaupt schreiben? Was werden die Nachbarn denken? Was die Literaturkritik
        Ein Autor muss den Mut haben, sich auszuziehen. Wer sich nicht nackt zeigen mag, sollte vom Schreiben wie vom Sex die Finger lassen.

        Spannungstypen


        Es gibt verschiedene Arten von Spannung:

        • das Rätsel – who did it?
        • Suspense der Leser weiß etwas, dass die Figuren nicht wissen: Unter dem Tisch, an dem die Helden sitzen, liegt eine Bombe, die in zehn Minuten losgeht. „Haut ab“, schreit der Leser, doch niemand hört sein Rufen.
        • Identifikation mit einer Figur, der Leser fiebert, leidet und fühlt mit der Romanfigur mit.

        Andreas Eschbachs Spannungslupe


        Der Bestellerautor Andreas Eschbach hat Anfang dieses Jahrtausends eine Spannungslupe entwickelt, um Spannung zu erzeugen. Sechs wichtige Eigenschaften machen Spannung aus:

        • Der Leser muss im Ungewissen bleiben. Wenn er Erwartungen aufbaut, denkt, aha, so läuft das, fällt er aus dem Text und klappt das Buch womöglich zu. Folglich sollte es mehrere mögliche Alternativen geben und unklar sein, wie es weitergeht.
        • Der Leser muss orientiert sein, ihm muss klar sein, wo er sich befindet und was passiert – aber nicht klar, wie es weitergeht.
        • Die Geschichte sollte glaubwürdig sein und sinnlich geschildert werden.
        • Der Text sollte sich flüssig lesen lassen und die gewählten Stilmittel sollten zum Text passen.
        • Der Leser sollte einer Figur nahe sein und deren Gefühle intensiv spüren, der Blickwinkel der Figur mit steigender Spannung schrumpfen (Tunnelblick).
        • Der Text sollte ahnen lassen, das da noch etwas kommt – aber nicht was (die Ruhe vor dem Sturm).

        Prüfen Sie Ihre Texte anhand dieser sechs Kriterien und erhöhen so die Spannung.
        Und wie in der Medizin der alte Satz gilt: „Wer heilt, hat recht“, gilt für die Spannung: „Wer fesselt, schreibt spannend“. Der Autor darf alles – solange er den Leser fesselt.


        Spannend Schreiben ist oft schnelles Schreiben


        Mitreißende Romane werden oft schnell geschrieben. Simenon konnte einen Roman in elf Tagen schreiben, Stephan King sagt, dass er für seine – wesentlich dickeren Texte – nie mehr als drei Monate braucht, weil er sonst den Text verliert.
        Die Autoren tauchen in ihre Figuren ein, sie sind die Figuren, handeln wie diese (Simenon soll seine Frau einmal in einer solchen Phase geohrfeigt haben). Konsalik war bekannt dafür, dass er seine Romane „herunterhaute“ – und die Überarbeitung seiner Lektorin überließ.


        Die Dynamik des Schreibens fördert die Spannung.


        Während dieser „wahnhaften“ Phase ist der innere Lektor ausgesperrt. Er darf später korrigieren. Ob guter oder schlechter Stil spielt jetzt keine Rolle, jetzt geht es um die Figuren und ihre Geschichten. Mancher Autor veröffentlicht solche Schreibergüsse unkorrigiert, im Glauben, sie seien ohne Überarbeitung besonders authentisch. Doch das stimmt nicht und ich rate jedem davon ab.


        Resüme


        Ob etwas spannend ist, entscheidet die Leserin oder der Leser. Und wie beim Witz sollte nichts erklärt werden.

        Links:

        Spannung – der Unterleib der Literatur
        Hans Peter Roentgen, ISBN 978-3-734735325,
        https://www.hanspeterroentgen.de/spannung-1/

        Andreas Eschbachs über die Überarbeitung:
        http://www.andreaseschbach.de/schreiben/10punkte/10punkte.html

        Distanz im Film:
        https://filmpuls.info/einstellungen-einstellungsgroesse-bildausschnitt/


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