Lektorat: Ki und Goethe

Der Pakt

Wieder habe ich den Anfang eines Romans erhalten. Und wieder will ich Ihnen zeigen, wie Sie beim Überarbeiten einen Text verbessern können.
Wie immer gilt: Ich freue mich über Romananfänge, die Sie mir zuschicken. Mit etwas Glück lektoriere ich sie, und Sie können meine Vorschläge in Ihre Projekte übernehmen.

Die flackernden Flammen tanzten im verlassenen Tempel der alten Magier, während der dunstige Rauch die düstere Atmosphäre verstärkte. Inmitten dieser Schatten stand ein Mann von beeindruckender Gestalt, dessen Augen wie glühende Kohlen im Halbdunkel des Raumes funkelten. Sein Name war Malachar, ein mächtiger Magier, dessen Durst nach Wissen und Macht niemals gestillt werden konnte.
Malachar starrte in die flackernden Flammen und sprach leise die uralten Worte eines verbotenen Zaubers aus. Er war bereit, einen Pakt mit der Dunkelheit selbst zu schließen, um seine Ziele zu erreichen. Seine Seele brannte vor Verlangen nach dem unergründlichen Wissen der Welt, nach der unermesslichen Macht, die ihm die Herrschaft über die Sterblichen gewähren würde.
Die Stimme des Dunklen, ein kaum hörbares Flüstern in seinem Geist, antwortete ihm und bot ihm den Handel an, nach dem er sich so sehr sehnte. „Ich werde dir alles Wissen gewähren, das du begehrst“, raunte die Stimme, „doch der Preis wird hoch sein, Malachar. Sehr hoch.“
Ein zufriedenes Lächeln spielte um Malachars Lippen, als er sich der Konsequenzen bewusst wurde, doch sein Herz pochte vor Aufregung. „Ich bin bereit“, erklärte er entschlossen. „Meine Seele gehört dir, wenn du mir das gewährst, wonach ich verlange.“
Der Pakt war besiegelt, und Malachar spürte, wie die Macht der Dunkelheit in ihn eindrang, sein Wesen durchdrang und ihn mit einer unvorstellbaren Energie erfüllte. Doch damit nicht genug. Eine weitere Forderung erhob sich in seinem Geist, eine dunkle Begierde, die ihn beinahe erdrückte.
„Ich verlange mehr“, flüsterte Malachar, seine Stimme von Gier durchdrungen. „Ich will, dass kein junges Mädchen meiner Magie widerstehen kann, dass sie sich mir hingibt, sobald sie meinem Blick begegnet.“
Die Dunkelheit lachte, ein unheilvolles, grollendes Lachen, das die kalte Luft des Tempels erfüllte. „So sei es“, antwortete sie, und Malachar spürte, wie ein finsterer Zauber in seine Seele eingriff, sie verdrehte und veränderte, um seine bösartigen Wünsche zu erfüllen.
Mit einem triumphierenden Grinsen verließ Malachar den Tempel, sein Herz erfüllt von einer unstillbaren Machtgier und einem dunklen Verlangen, das ihm nun zur Verfügung stand. Doch sollte er bald erkennen, dass die Macht, die er so leichtfertig erworben hatte, ihn auf einen Pfad der Zerstörung und des Verderbens führen würde.

Diesmal stammt der Text von einem besonderen Autor, nämlich ChatGPT. Mal sehen, wie KI Romananfänge schreibt. Ich hatte ChatGpt folgende Anfrage gestellt:

Könntest du mir die ersten vier Seiten eines Fantasy-Romans schreiben? Mit einem Magier, der seine Seele der Hölle verschreiben will, wenn diese ihm alles Wissen der Welt zur Verfügung stellt und ihn befähigt, dass kein junges Mädchen ihm widerstehen kann?

Und ChatGpt hat mir bereitwillig den obigen Text geschickt. Würden Sie ihn weiterlesen?

Übung

Schreiben Sie auf, wie dieser Text auf Sie wirkt. Was würden Sie überarbeiten?

Faust in Chatgpt

Vielen dürfte aufgefallen sein, dass meine Anfrage den Konflikt von Goethes Faust enthält. Was hat Goethe besser gemacht, was Chatgpt?

Goethes Faust beginnt mit einem langen Prolog, wie er zeittypisch üblich war und wie er heute Leserinnen und Leser abschreckt. ChatGpt springt direkt in die Szene. Spät in die Szene, früh raus. Gut!
Konflikt, Konflikt, Konflikt
Faust will den Erdgeist beschwören, er glaubt, er sei ihm ebenbürtig. Das ist der erste Konflikt, denn die Beschwörung gelingt zwar, doch der Erdgeist hat kein Interesse an Faust.

Dann taucht ein seltsamer Pudel auf. Faust hat zwar einen Zauberspuch, um böse Pudel zu zwingen, ihre wahre Gestalt zu zeigen. Aber er weiß nicht, dass man einen Pakt mit dem Bösen schließen kann. Und dass Mephisto wegen dem Druidenfuß die Studierstube nicht verlassen kann, wiegt Faust im Glauben, dass der Teufel in seiner Hand sei. Mephisto beweist ihm, dass es so einfach nicht ist, den Teufel festzuhalten.

Und Chatgpt? Da weiß der Magier gleich den richtigen Spruch, um den Dunklen zu beschwören, weiß, dass er ihm seine Seele verschreiben kann, um absolute Macht und Wissen zu erhalten und außerdem die feuchten Träume des Magiers zu befriedigen. Obendrein sind sie sich sofort handelseinig, auch die weitere Forderung des Magiers, dass alle junge Frauen ihm auf Befehl verfallen sollen, wird von dem Dunklen akzeptiert. Wunderbar, jetzt wissen wir alles und müssen den Rest des Romans nicht lesen.

Wo bleibt der Konflikt in der Szene? Denn ohne Konflikt keine Spannung und ohne Spannung keine Leser, die weiterlesen.

Leider passiert Ähnliches auch vielen Schreib-Neulingen, deren Texte ich erhalte. Sie wollen dem Leser gleich alles verraten. Doch schon Goethe wusste, dass das keine gute Idee ist. Spannung erzeugt man nicht durch Infos, nicht dadurch, dass alles klappt, sondern durch Konflikt.

Tipp

Nutzen Sie die Konfliktmöglichkeiten, die Ihre Szene bietet. Fragen Sie sich: Was kann schiefgehen, nicht so klappen, wie geplant? Das gilt gerade für den Anfang eines Romans. Da sollte der Leser zwar orientiert sein, wo er sich befindet, aber er muss den Beginn eines Konflikts spüren. Ein Film muss starten.

Adjektive garantieren keine Spannung

Inmitten dieser Schatten stand ein Mann von beeindruckender Gestalt, dessen Augen wie glühende Kohlen im Halbdunkel des Raumes funkelten. Sein Name war Malachar, ein mächtiger Magier, dessen Durst nach Wissen und Macht niemals gestillt werden konnte.

Beeindruckende Gestalt, glühende Kohlen, mächtiger Magier, weckt das bei Ihnen Spannung?
Bei mir nicht. Das sind Behauptungen des Autors, in dem Fall der ChatGpt, die glaubt, damit Spannung zu erzeugen. So etwas behauptet die Autorenstimme. Auch das finde ich oft in den Texten von Nachwuchsautorinnen.

Zeigen, nicht behaupten. Versuchen wir es einmal

Malachar musste sich bücken, der Tempel war niedrig. Nur der Eingang gab dem Raum etwas Licht. Hier würde er den Dunklen treffen. Hier könnte er sein Werk vollenden

Kleine Anmerkung am Rande: Wenn Sie einen mächtigen Magier haben, warum sollte er sich dem Dunklen verschreiben? Viel wirkungsvoller ist einer, der sich vergeblich um Macht bemüht hat.

Perspektive

In welcher Perspektive hat CHatGpt hier geschrieben?
Die meisten meiner Leserinnen werden vermutlich „auktoriale“ oder „allwissende“ Perspektive wählen. Denn der Text schaut von außen auf den Magier und den Dunklen. Das ist sicher richtig. Und auch nicht richtig.
Auch in der auktorialen Perspektive können Sie ganz dicht an die Personen und deren Wünsche herangehen.

Jetzt würde Moria nicht mehr über ihn lachen. Sondern ihm ausgeliefert sein. Nackt auf Knien vor ihm würde sie darum flehen, dass er ihr beiwohnen würde. Malachar stöhnte auf, als er den dunklen Raum verließ. Dass der Dunkle hinter ihm ein leises Lachen ertönen ließ, das vernahm er nicht mehr.

Es ist ein Aberglaube, dass Sie in der allwissenden Perspektive nur aus der Entfernung erzählen können.
Welche Perspektive ist es dann?

Ganz einfach: Die Autorenperspektive. Die Autorin – hier Chatgpt – erzählt uns etwas über ihre Geschichte. Statt die Geschichte zu erzählen. Ein häufiges Problem bei Neuautoren. „Behaupten, nicht zeigen“, nennt sich das.

Distanz

Und damit kommen wir zur Distanz, aus der erzählt wird. Wie beim Film kann ein Autor unterschiedliche Einstellungen für die Distanz in seiner Erzählung wählen. Die Totale, die Nahaufnahme, den Tunnelblick.

Die Distanz ist ein wichtiges Mittel, um Spannung zu erzeugen. Beobachten Sie in Filmen, wie dort mit der Distanz, der Kameraperspektive, gespielt wird. Anfänglich Totale, wir sehen das gesamte Ambiente. Dann öffnet sich in der Mauer eine Tür, Nahaufnahme. Und dann wird es gefährlich, jetzt kommt der Tunnelblick. Das ist auch in Geschichten die klassische Form, um Spannung zu erzeugen.
Klischee
Jeder möchte Klischees vermeiden. Und doch fällt jede und jeder darauf herein. Das liegt daran, wie unser Hirn funktioniert. Es nimmt einfach das Nächstliegende, das, was wir erwarten. Wenn Sie Klischees vermeiden wollen, dann gibt es einen Trick: Nehmen Sie nicht das, was ihnen als Erstes einfällt.
Vielleicht keine beeindruckende Gestalt eines mächtigen Magiers?
Sondern eine Person, die wie ein Finanzbeamter aussieht? Ein Magielehrling? Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Und damit vermeiden Sie gleich die gängigen Klischees, die vergessen, dass unsere Gesellschaft immer diverser wird. Nicht der Paketbote kommt aus Indien. Sondern der Rechtsanwalt. Es gibt mittlerweile eine Gemeinschaft indischer Juristen in Deutschland. Sie müssen dann nicht mehr verzweifelt überlegen, was Sie nicht schreiben sollen. Sondern schreiben, was es alles an neuen Möglichkeiten gibt, wenn Sie sich nicht an Klischees klammern.

Dialoge

Wenn Ihre Personen blass sind, das weiß jede erfahrene Autorin, wird der Dialog sich nach 08/15 anhören. Und das gilt auch für obiges Beispiel.
Kann KI es nicht besser?
Oh doch, KI kann es viel, viel besser. Allerdings nur, wenn sie bessere Vorgaben erhält. Wenn Sie ihr genauer erklären, was Sie haben möchten, dann liefert sie Ihnen das. Sprich: Um spannende Texte mit KI zu schreiben, müssen Sie wissen, wie Spannung geht. Von alleine wird keine KI einen Harry Potter schreiben. Ohne Menschen, die ihr Handwerk verstehen, geht es nicht.

Resumé

Auch Computer sind bloß Menschen. Und es gibt einige typische Anfängerfehler, das ist beim Schreiben nicht anders als beim Reiten oder Klavierspielen. Achten Sie auf diese Probleme in Ihren Texten, und verbessern sie sie. Deshalb sind die Überarbeitung und das Lektorat so wichtig.

Schicken Sie mir vier Seiten Ihres Textes (hpr@textkraft.de) und mit etwas Glück bespreche ich ihn hier im nächsten Blog

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Lektorat: Ki und Goethe

Lektorat: Wann in die Geschichte springen

Wieder hat mir eine Leserin einen Romananfang geschickt, mit der Bitte, ihn zu lektorieren. Herzlichen Dank dafür. Und wenn Sie auch Ihren Romananfang hier lektorieren lassen wollen, schicken Sie ihn mir. Max. 7.000 Anschläge, es kostet nichts und alle meine Vorschläge dürfen Sie für Ihren Text benutzen

Potsdam Innenstadt, Staatsanwaltschaft, Büro 2.08:
Montag, 25. November, 6.53 Uhr

Sehr geehrter Mr. Collins,

wie mir aus verlässlicher Quelle bekannt ist, planen Sie, ein Ermittlungsverfahren gegen mich anzustreben. Davon würde ich Ihnen jedoch dringend abraten. Wie Sie sich sicher denken können, ist Freiheit das höchste Gut für mich. Um nicht zu sagen, kostbar. Darum bitte ich Sie, von Ihrem Vorhaben abzusehen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Andernfalls werde ich Ihnen alles nehmen, was Ihnen lieb und kostbar ist. Sind Sie bereit, diesen Preis zu zahlen?

Mit besten Grüßen,
Ihr Doctor No

P.S. Eine hübsche Freundin haben Sie da. Rothaarig, hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. 😉

Collins stützte das Gesicht in die Hände und massierte sich die Nasenwurzel. Warten war grausam. In vielerlei Hinsicht.
Er dachte an den Alptraum von letzter Nacht zurück. An die Schreie. Das Blut. Ihr angstverzerrtes Gesicht. In seiner Laufbahn als Staatsanwalt hatte er schon vieles an den Tatorten zu sehen bekommen. Nur war sie nie Teil davon gewesen.
Es war nur ein Traum, schalt er sich schließlich und atmete tief durch. Was jetzt zählte, war Handeln.
Er legte den Brief beiseite. Der erste Zug war getan. Musste getan werden, korrigierte er sich verbissen. Es war zum Wohle aller gewesen. Nur auf den Einsatz hätte er gern verzichtet.
Während er aufstand, um eine neue Kanne Tee aufzusetzen, klingelte sein Telefon. Kriminalhauptkommissar Hatzenböller. Das wurde aber auch Zeit. Er stellte die Teekanne auf dem Tisch ab und nahm an.
„Guten Morgen, Herr Staatsanwalt!“, grüßte die Männerstimme am anderen Ende fröhlich. „Auch schon wach?“ „Das kann man so sagen.“ Collins sank auf seinen Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Wie hätte er nach dieser Drohung auch ruhig schlafen können?

Andernfalls werde ich Ihnen alles nehmen, was Ihnen lieb und kostbar ist.
Kostbar. Er dachte an Emmelines friedliches Atmen neben seinem Ohr, die Wärme ihrer Haut. Seit sie wieder in sein Leben getreten war, war ihr Leben das Kostbarste für ihn. Und der Verdächtige wusste das. Seine letzten Zeilen hatten das mehr als deutlich gemacht.
„Wie ist die Lage?“
„Wir konnten den Tatverdächtigen festsetzen und festnehmen“, verkündete die Stimme feierlich. „Die Wohnung haben wir auch durchsucht.“
„Und?“
„Na ja, er wohnt recht modern, so richtig spießig mit Garten und …“
„Ich meine, was Sie und Ihre Kollegen dort gefunden haben!“
„Ach so – ja. Also, was das betrifft: Die Angaben scheinen sich zu bestätigen. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass er etwas mit der Tat zu tun hat. Wir haben ihn überprüft. Seine Kollegen sagen ihm einen perfekten Ruf nach. Hat Familie, Frau, zwei Kinder, sogar einen Hund. Allerdings scheinen die wohl gerade nicht da zu sein. Jedenfalls haben wir niemanden weiter angetroffen. Dieser Hund, das ist vielleicht ein Vieh, kann ich Ihnen sagen … “
Collins unterdrückte ein Stöhnen. Natürlich. Das wäre ja auch zu einfach gewesen.
„Ist Ihnen dennoch etwas Verdächtiges aufgefallen?“, unterbrach er das Geplapper seines Kollegen.
„Aber ja.“ Hatzenböllers Stimme hellte sich auf. „Eine gepackte Reisetasche. Die stand in der Ecke seines Schlafzimmers.“
„Also könnte man annehmen, dass er vorhatte, sich in den nächsten Tagen abzusetzen?“
Der Hauptkommissar brummte unschlüssig. „Das ist schwer zu sagen. Auf dem Kalender in der Küche stand, dass er in den nächsten Tagen auf einen Kongress wollte. Chirurgen ohne Grenzen oder so was.“
Ein Wolf im Schafspelz also, dachte Collins zynisch und wie zur Bestätigung überkam ihn ein heftiger Niesanfall. An der Sache war definitiv etwas faul.
„Sie werden doch wohl jetzt nicht etwa krank?“, scherzte Hatzenböller.
„Staub“, erwiderte Collins schlicht und schenkte sich eine Tasse Schwarztee ein, mit der üblichen Menge Milch, Zucker und einer frisch aufgeschnittenen Zitronenscheibe. Er nahm einen Schluck. „Wo sind Sie jetzt?“
„Auf der Wache. Wir verbringen den Tatverdächtigen soeben in eine Zelle. Sie müssen nur noch den Haftantrag stellen, dann sollte morgen alles wie geplant laufen.“
„Lovely.“ Wenigstens eine Sache, die heute funktionierte. „Und die andere Angelegenheit, um die ich Sie gebeten hatte?“
„War da noch etwas?“
„Miss Brooks?“, erinnerte er ihn und mahnte sich, ruhig zu bleiben. Gutes Personal war schwer zu finden. „Ist für ihre Sicherheit gesorgt?“
„Oh ja.“ Jetzt schien es dem Hauptkommissar wieder einzufallen. „Sie können ganz unbesorgt sein“, versicherte er gewichtig. „Die Kollegen Lange und Kurtz werden sich immer in ihrer Nähe aufhalten und dafür sorgen, dass ihr nichts passiert.“
„Richten Sie ihnen bitte aus, dass sie auf Abstand bleiben sollen. Miss Brooks darf nichts davon mitbekommen.“ Collins hegte noch immer ein schlechtes Gewissen, dass er Emmeline nicht in sein Vorhaben eingeweiht hatte. Aber zum einen unterlag der Sache noch strengster Geheimhaltung – Gefährdung des Ermittlungszwecks, wie es in der Juristensprache hieß -, zum anderen wollte er ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten. Am Ende lief sie ihm deshalb noch erst recht direkt in die Arme.
„Wird erledigt!“, entgegnete Hatzenböller ergeben. Trotz der frühen Stunde schien er nur so vor Energie zu strotzen.
Collins, der ihn sich in solchen Momenten immer als einen salutierenden Soldaten vorstellte, lächelte. Kompetenz hin oder her, auf eine solche schwänzelnde Loyalität durfte er sonst nur bei einem Labrador vertrauen. „Passen Sie auf sich auf.“
„Sie auch. Oh – ich muss dann weiter. Ich melde mich, sobald es Neuigkeiten gibt. Adios!“ Ein Klicken war zu hören, dann nur noch das Rauschen einer leeren Leitung.
Auch Collins legte auf und blickte dann seufzend auf den riesigen Aktenberg, der noch vor ihm lag. In den letzten Tagen hatte er die Arbeit vernachlässigt, aber es half nichts. Heute würde er wohl wieder eine Spätschicht einlegen müssen, wenn er nicht in Verzug geraten wollte. Ein langer Abend stand ihm bevor. Das war so sicher wie der Urteilsspruch am Ende einer Verhandlung.

Lektorat

Was hat Sie am meisten angesprochen im obigen Text?

Bei mir war es der Dialog am Schluss. Der hat Pfiff, ist anschaulich, witzig und führt uns in die Situation ein.

Eine Verhaftung und die Hausdurchsuchung hat nichts ergeben. Vermutlich wird der Haftrichter am nächsten Tag den Häftling freilassen, und der Kommissar drückt sich um eine klare Aussage. Der Staatsanwalt muss sie ihm aus der Nase ziehen.

Doch wie sieht es mit der Bedrohung am Anfang aus?

Logik reicht nicht

Die Bedrohung lässt sich logisch nachvollziehen. Aber sie weckt kaum Emotionen. Das liegt einmal an der Formulierung des Briefes. Denken Sie daran: Staatsanwälte erhalten öfter Drohbriefe. Und dieser deutet nur an: „Vielleicht könnte Ihrer neuen Freundin etwas passieren, wenn Sie mich in Haft nehmen.“

Natürlich weiß jeder, dass es eine Drohung ist. Aber haben Sie das Gefühl, bei diesem Drohbrief läuft es ihnen kalt den Rücken herunter?

Mir nicht. Da wir noch nicht wissen, um welchen Fall es geht, um welchen Mann, wirkt die Drohung nicht. Und das hat einen weiteren Grund.

Show, don‘t tell.

„Zeigen, nicht behaupten“, das ist eine wichtige Regel beim Schreiben.

Zeigen Sie einen Soldaten, der in den Schützengräben den Horror des Ersten Weltkriegs erlebt. Das spricht die Gefühle der Leser an, die mit dem Buch „Im Westen nichts Neues“ den Ersten Weltkrieg miterleben.

Behaupten Sie nicht: Im Ersten Weltkrieg starben Millionen Soldaten unter unmenschlichen Bedingungen. Das ist ein logischer Satz über den Ersten Weltkrieg, gut für ein Sachbuch, aber nicht für einen Roman. Denn es spricht nicht die Gefühle des Lesers an.

Und der Drohbrief an den Staatsanwalt ist eine Behauptung. Warum sollte man sie ernst nehmen?

Zwei schwache Konflikte machen keinen starken

Dann kommt der Alptraum des Staatsanwaltes. Der soll die Bedrohung verstärken. Aber auch er ist nicht anschaulich, sondern behauptet, dass es ein gruseliger Traum war. Zwei schwache Bedrohungen sind nicht besser als eine.

Anders in dem Buch „Der Pate“. Da wird geschildert, wie der Pate einen Produzenten zwingt, seinen Freund in einen Film aufzunehmen. Dafür lässt der Pate ihm den Kopf seines Lieblingspferdes aufs Bett legen. Und das wird anschaulich beschrieben. Außerdem wissen wir bereits, wozu dieser Pate fähig ist.

Was könnte hier im obigen Text eine anschauliche Bedrohung sein? Vielleicht ein kleiner Totenkopf in der Handtasche der Freundin? Oder einer, der an dem Rückspiegel in ihrem Auto hängt? Denn dass der Brief uns Leser nicht schaudern lässt, liegt daran, dass wir den Fall, um den es geht, und den Mann, der gerade verhaftet wurde, noch nicht kennen. Ginge es um einen Mordfall, in dem ein Kronzeuge bestialisch ermordet wurde und hätten wir die Brutalität des Paten hier anschaulich erlebt, sähe das anders aus.

Womit in die Geschichte einsteigen?

So spät wie möglich in die Szene rein, so früh wie möglich raus: „enter late, leave early“, kurz gesagt: ELLE. Das ist ein guter Wahlspruch von Drehbuchautoren.

Die meisten Romananfänge, die mir zugesandt werden, beginnen zu früh, und der Text wird deutlich besser, wenn man die ersten Absätze streicht und gleich in die Handlung springt.

Hier ist das Gegenteil der Fall. Wir müssten den Fall kennen, orientiert sein. Erlebt haben, was der Täter angerichtet hat, damit wir uns vorstellen können, wie die Drohung auf den Staatsanwalt wirkt, damit ein Schauder den Rücken herabläuft.

Aber bei der Überarbeitung eines Textes gibt es immer mehrere Möglichkeiten. Wir könnten auch die ELLE-Regel benutzen. Und mit dem Dialog beginnen, die Drohung später einbauen. Denn der Dialog passt.

Resümee

„Show, don’t tell – zeigen, nicht behaupten“, das ist eine gute Regel nicht nur im Krimi.

So spät wie möglich in die Szene springen, so früh wie möglich raus (ELLE).

Der Leser muss orientiert sein, was der Konflikt ist, muss ihn spüren.

Wenn eine Bedrohung keine Emotionen auslöst, rettet eine zweite Bedrohung im gleichen Stil das nicht.

Testen Sie einen Romananfang, indem Sie den ersten Absatz streichen. Oft wird der Text dann besser.

Literatur

– Hans Peter Roentgen, Was dem Lektorat auffällt, Sieben Verlag
https://shop.autorenwelt.de/products/was-dem-lektorat-auffallt-von-hans-peter-roentgen?variant=39454298898525

– Kathrin Lange, Plotten für Chaoten,
https://plottenfuerchaoten.substack.com/

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Lektorat: Wann in die Geschichte springen

Lektorat: Rückkehr in die Düstermoore II

Im letzten Artikel hatte ich besprochen, wie Sie bei der ersten Überarbeitung schon durch Streichen von Überflüssigem einen besseren Text erhalten.

Und ich habe selbst gestrichen. Wenn Sie das Ergebnis nicht kennen oder nachschlagen wollen, finden Sie es hier:

Lektorat: Rückkehr in in Düstermoore I

Müssen Sie denn noch weiter überarbeiten?

Oh ja, das müssen Sie. Und in solchen Fällen fragen Sie sich: Lässt der Text einen Film in Ihrem Kopf ablaufen? Denn wenn er das nicht tut, dann ist einiges faul.

Und wie überarbeiten Sie dann?

Fragen Sie sich nicht, was ist furchtbar oder schlecht an dem Text? Sondern: was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? Das ist nämlich in aller Regel das, auf das Sie bei der Überarbeitung hinarbeiten müssen. Wenn der Rest des Texts keinen Film ablaufen lässt, dann überarbeiten Sie ihn, um dieses Ziel deutlich zu machen. Was hat Sie an den „Düstermooren“ am meisten beeindruckt?

Für mich war es die Begegnung mit dem Hass des Ich-Erzählers, den er verloren hatte. Nur sein Selbsthass war ihm geblieben.

Am Anfang wird der Selbsthass ausführlich geschildert. Das wäre nicht nötig, das haben wir schnell begriffen. Doch dieser Selbsthass wird uns immer aufs Neue vors Auge geführt. Und wie das so ist bei zu vielen Wiederholungen, die einzelnen Abschnitte werden immer klischeehafter. Der Ich-Erzähler, der sich für einen Literaten hält und glaubt, es sei unter seiner Würde, seine Werke dem niederen Volk darzubieten. So sahen die ersten vier Absätze aus:

Ich versank in trunkenem Selbstmitleid, suchte die Einsamkeit bucklig gepflasterter Hintergassen, wo ich mir ein kleines Zimmer als Unterkunft nahm und verdrießlich himmelsgleiche Schmeichelreime flocht. Sie betonten meine Einsamkeit, als sie ungehört durch das Fenster hinaus in die graue Luft der Industriemetropole entfleuchten. Traurig klapperte ich das Klapperhorn. Welchen Sinn hatte es, noch zu leben, wenn ich als großartigste Inkarnation der Geschichten erzählenden Zunft kein Gehör fand?

In dieser apokalyptischen Stimmung schlurfte ich am nächsten Abend durch die Gassen. Ich hatte den Plan gefasst, mein Sprachniveau für die alltägliche Kommunikation auf ein gewöhnliches Maß zu senken. Gewöhnlich. Allein dieser Ausdruck kleinbürgerlichen Intellektverfalls!

Wenigstens war mir so menschlicher Kontakt möglich. Sogar die ein oder andere Geschichte gab ich mühevoll und auf flachem Niveau einigen Bierfreunden vor einer Trinkbude zum Besten. Konnte ich noch tiefer sinken?

Ich konnte. Und zwar absinken, in die gedanklichen Tiefen jämmerlichen Selbstmitleids. Mit jedem Meter sank ich tiefer herab, ohne es zu merken. Giftig grüne Dämpfe stiegen auf, modrige Brechreizwolken säumten ihre Ränder. In meiner Gedankenverlorenheit war ich, ohne es zu merken, abermals in den Düstermooren gelandet. Schweren Herzens und schlappen Schrittes trottete ich am Scheiterhaufen der Geschichte vorbei, ohne Hoffnung, ohne Ziel. Mit meinem trauerverklärten Gemüt war es mir nicht möglich, das Klapperhorn zu spielen, um diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Ich war ein nutzloses Stück Dreck. Sollte mein Leib doch hier verrotten!

Wenn wir die Wiederholungen streichen, sieht es so aus:

Ich versank in trunkenem Selbstmitleid, suchte die Einsamkeit bucklig gepflasterter Hintergassen, wo ich mir ein kleines Zimmer als Unterkunft nahm und verdrießlich Reime flocht. Sie betonten meine Einsamkeit, als sie ungehört durch das Fenster hinaus in die graue Luft entfleuchten. Ich war ein nutzloses Stück Dreck. Sollte mein Leib doch hier verrotten!

Als nächstes tritt der Hass auf:

Die Nacht verbrachte ich schlotternd unter einem Dichtungsdornengebüsch, gebettet auf nur wenig Wärme spendender Maulheldenmadenpampe. Die Maden hatte ich zu Matsch zertreten, damit sie nicht an mir hochkrabbelten. Trotz krampfhaften Brechreizverdrusses mochte ich am Morgen nicht aufstehen. Nirgendwo in den Mooren schien es besser zu sein, warum also nicht hier liegen bleiben und vor mich hin modern? Mein Blick war starr nach vorn fixiert, mitten ins Nichts.

Jedoch, was war denn das?

Ich blinzelte. Der graphitgraue Dunst verschwand nicht. Es lag nicht an meinen Augen. Etwas hatte sich über Nacht direkt vor meiner Nase breitgemacht.

Auch hier finden sich inhaltliche Wiederholungen und Versuche, den Text literarisch aufzuhübschen. Beides geht meistens in die Hose. Besser:

Die Nacht verbrachte ich schlotternd unter einem Dichtungsdornengebüsch, gebettet auf nur wenig Wärme spendender Maulheldenmadenpampe. Trotz krampfhaften Brechreizes mochte ich am Morgen nicht aufstehen. Nirgendwo in den Mooren schien es besser zu sein, warum also nicht hier liegen bleiben und vor mich hin modern?

Jedoch, was war das?

Ich blinzelte. Der graphitgraue Dunst verschwand nicht. Etwas hatte sich über Nacht direkt vor meiner Nase breitgemacht.

Der Auftritt des Unbekannten. Und zwischen dem Ich-Erzähler und diesem Wesen entwickelt sich ein Dialog. Der ist eindeutig das Beste am Text. Die Dialogzeilen würde ich stehenlassen bis auf wenige Ausnahmen, aber dazwischen die Versuche streichen, wieder literarisch zu werden oder dem Leser alles zu erklären. Also:

Sag Deinen Namen!“, eine einschüchternde Stimme drang direkt in meinen Kopf.

Widerwillig dachte ich die Antwort „Ich bin Jojo. Was bist Du und was willst Du?“.

An Stelle einer Antwort gab das graue Etwas ein Bild von sich. Mein Spiegelbild schimmerte schwach darin, direkt vor meinem trüben Blick.

Du bist ich?“ fragte ich.

Nur ein Teil von Dir, du hast mich hier zurückgelassen.“

Ich setzte mich aufrecht hin, mein Rücken schmerzte, ich hatte die Nacht in ungesunder Haltung gelegen. „Ich wüsste nicht, was ich hier vergessen hätte.“

Dann will ich Deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Ich bin Dein Hass.“

Ja, es stimmte, ich hatte lange nicht mehr gehasst. Jedenfalls niemand anderen als mich selbst.

Wenn Du mir abhanden gekommen bist, wie kann ich mich dann selbst hassen?“

Deinen Selbsthass schleppst Du weiter mit Dir herum“, dröhnte die Stimme meines Hasses durch meinen Kopf.

Ich kann ihn Dir gern als Gesellschaft hier lassen!“

Jetzt haben wir das Rätsel gelöst, aber das ist noch nicht das Ende.

Oh ja, deine Überheblichkeit, die wird Dir vergehen, Du Ausdruck aufgeblasener Popanzigkeit!“, die Stimme dröhnte durchdringender. „Du hast Dich nicht gefragt, warum Du wieder hier in den Mooren gelandet bist.“

Nein, wozu auch.“

Du bist noch viel ignoranter als ich dachte.“

Was willst Du mir sagen?“.

Ich schmiss dem Hass das Klapperhorn vor die Füße. Bei der Gelegenheit warf ich einen Blick auf meine Beine. Im dämmrigen Licht kletterte etwas Diffuses an ihnen hoch. Ich machte ein paar Handbewegungen, die aber ins Leere griffen.

Spürst Du schon was?“ Die hasserfüllte Stimme grinste diabolisch.

Tatsächlich spürte ich etwas. Ich konnte sie nicht mehr bewegen. Zuerst die Waden, dann die Oberschenkel. Ein Kribbeln breitete sich aus. Innerhalb kürzester Momente war auch der Rest meines Körpers bewegungsunfähig. Noch ein wenig zappeln konnte ich, um zu versuchen, mich zu befreien.

Lass mich los!“, rief ich. „Geh weg, lass mich allein!“

Oh, du bist allein und wirst es bleiben.“, die Stimme des Hasses lachte. „Allein und stuḿm, von jetzt an und für alle Zeit. Suhle dich in Deinem Selbstmitleid, bade in Deinem Selbsthass und ersticke an Deiner Polemik in Ewigkeit.“

Panisch wollte ich etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus. Ich versuchte mir an den schmerzenden Hals zu greifen, brachte aber nicht die kleinste Bewegung zustande. Der Hass hüllte mich von allen Seiten ein, raubte mir den Atem. In einem letzten Versuch von verzweifelter Gegenwehr wurde mir schummrig vor den tränenden Augen.

Und dann entwich mir das letzte bisschen verbliebene Atemluft.

Und wieder stören Erklärungen und Wiederholungen das Lesen. Ich würde sie wegstreichen:

Oh ja, deine Überheblichkeit, die wird Dir vergehen, Du Ausdruck aufgeblasener Popanzigkeit!“, dröhnte die Stimme. „Du hast Dich nicht gefragt, warum Du hier in den Mooren gelandet bist.“

Nein, wozu auch.“

Du bist noch viel ignoranter, als ich dachte.“

Im dämmrigen Licht kletterte etwas an mir hoch. Ich machte ein paar Handbewegungen, es wegzuwischen, die aber ins Leere griffen. Doch trotz der Leere war dort etwas, zwar nicht greifbar, aber wahrnehmbar.

Spürst Du schon was?“

Tatsächlich spürte ich etwas. Ich konnte erst die Waden nicht mehr bewegen, dann die Oberschenkel. Innerhalb kürzester Zeit war auch der Rest meines Körpers bewegungsunfähig. Nur ein wenig zappeln konnte ich, um zu versuchen, mich zu befreien.

Lass mich los!“, rief ich. „Geh weg, lass mich allein!“

Oh, du bist allein und wirst es bleiben.“ Die Stimme des Hasses lachte. „Allein und stuḿm, von jetzt an und für alle Zeit. Suhle dich in Deinem Selbstmitleid, bade in Deinem Selbsthass und ersticke an Deiner Polemik in Ewigkeit.“

Panisch wollte ich etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus. Ich wollte mir an den schmerzenden Hals greifen, brachte aber keine Bewegung zustande. Der Hass hüllte mich von allen Seiten ein, raubte mir den Atem. In einem letzten Versuch wurde mir schummrig vor den tränenden Augen.

Und dann entwich mir das letzte bisschen verbliebener Atemluft.

Auch dieser Text liesse sich weiter überarbeiten. Aber er ist besser, ohne dass er Thema oder Handlung verändert. Das ist das Ziel jeden Lektorats. Dass der Text besser wird, aber immer der Text der Autorin oder des Autors bleibt.

Resümee

1. Wenn nicht klar ist, was der Text will, streichen Sie erst mal unnötige Füllsel.

2. Was an dem Text ist das Beste? Streichen Sie alles, was nichts damit zu tun hat.

3. Lektorieren Sie den Text so, dass er auf das Beste hinführt.

Literatur

– Ursula Le Guin, Kleiner Autorenratgeber, Autorenhaus Verlag, leider nur gebraucht erhältlich:

– Hans Peter Roentgen, Was dem Lektorat auffällt, Sieben Verlag
https://shop.autorenwelt.de/products/was-dem-lektorat-auffallt-von-hans-peter-roentgen?variant=39454298898525

– Kathrin Lange, Plotten für Chaoten,
https://plottenfuerchaoten.substack.com/

– Andreas Eschbach 10-Punkte-Text-ÜV,
http://www.andreaseschbach.de/schreiben/10punkte/10punkte.html

Schicken Sie mir vier Seiten Ihres Textes (hpr@textkraft.de) und mit etwas Glück bespreche ich ihn hier im nächsten Blog

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Lektorat: Rückkehr in die Düstermoore II

Lektorat: Rückkehr in die Düstermoore

Diesmal habe ich einen ungewöhnlichen Text ausgewählt. Die Hauptfigur hat ihren Hass verloren, nur den Selbsthass behalten. Und ich habe drei Fassungen vom Lektorat geschrieben. Wenn Sie einen Text haben, von dem Sie ein Beispiellektorat wünschen, schicken Sie ihn mir und mit etwas Glück steht er als Beispiel bald in meinem Blog
Schauen Sie sich erstmal den Originaltext an.

Rückkehr in die Düstermoore, Original

Ich versank in trunkenem Selbstmitleid, suchte die Einsamkeit bucklig gepflasterter Hintergassen, wo ich mir ein kleines Zimmer als Unterkunft nahm und verdrießlich himmelsgleiche Schmeichelreime flocht. Sie betonten meine Einsamkeit, als sie ungehört durch das Fenster hinaus in die graue Luft der Industriemetropole entfleuchten. So konnte das nicht weiter gehen. Welchen Sinn hatte es, noch zu leben, wenn ich, als vermutlich großartigste Inkarnation der Geschichten erzählenden Zunft, die es jemals gab und geben würde, kein Gehör fand?
In dieser apokalyptischen Stimmung schlurfte ich am nächsten Abend durch die Gassen. Ich hatte den Plan gefasst, mein Sprachniveau für die alltägliche Kommunikation auf ein gewöhnliches Maß zu senken. Gewöhnlich. Allein dieser Ausdruck kleinbürgerlichen Intellektverfalls! Wenigstens war mir so menschlicher Kontakt möglich. Sogar die ein oder andere Geschichte gab ich mühevoll und auf erzählerisch flachem Niveau einigen Bierfreunden vor einer Trinkbude zum Besten. Konnte ich noch tiefer sinken?
Ich konnte. Und zwar absinken, in die gedanklichen Tiefen triefend jämmerlichen Selbstmitleids. Zum Klang meiner über das Pflaster rutschenden Schuhsohlen. Mit jedem Meter sank ich tiefer herab, ohne es zu merken. Giftig grüne Dämpfe stiegen auf, modrige Brechreizwolken säumten ihre Ränder. Dahinter liegende Tristeriekonstrukte bildeten den grau-in-Grauen Hintergrund. In meiner Gedankenverlorenheit war ich, ohne es zu merken, abermals in den Düstermooren gelandet. Wie passend. Das wäre dann wohl das mir gebührende Ende. Schweren Herzens und schlappen Schrittes trottete ich am glücklicherweise schlafenden Scheiterhaufen der Geschichte vorbei, ohne Hoffnung, ohne Ziel. Mit meinem trauerverklärten Gemüt war es mir auch nicht möglich, das Klapperhorn zu spielen, um diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Wozu auch? Ich war ein nutzloses Stück Dreck. Zu nichts zu gebrauchen. Sollte mein Leib doch hier verrotten!
Die Nacht verbrachte ich schlotternd unter einem Dichtungsdornengebüsch, gebettet auf nur wenig Wärme spendender Maulheldenmadenpampe. Die Maden hatte ich mit letzter Kraft selbst zu Matsch zertreten, damit sie wenigstens nicht an mir hochkrabbelten. Trotz gärenden Ekels und krampfhaften Brechreizverdrusses mochte ich am Morgen nicht aufstehen. Wo sollte ich auch hin? Nirgendwo in den Mooren schien es besser zu sein, warum also nicht hier liegen bleiben und vor mich hin modern? Mein Blick war starrend nach vorn fixiert, mitten ins Nichts. Und mir war schwarz vor Augen. Naja, nicht ganz schwarz, eher so ein graphitgrau. Aber bei dem Unterschied geht es wohl nur um Korinthen. Jedoch… was war denn das? Ich blinzelte. Der graphitgraue Dunst verschwand nicht. Es lag nicht an meinen Augen. Kein Schleier der sich als Vorbote des Todes über meinen sinnlosigkeitsverklärten Blick gelegt hatte. Etwas hatte sich über Nacht direkt vor meiner Nase breitgemacht.
„Sag Deinen Namen!“, die einschüchternde Stimme drang tonlos direkt in meinen Kopf, ohne den Umweg über mein Ohr zu nehmen.
Widerwillig dachte ich die Antwort „Ich bin Jojo.“.
„Ist das ein Name für Mädchen oder für Jungen?“ frotzelte es gehässig zurück, als ob die Antwort nicht offensichtlich wäre.
Ich würdigte das mit keiner Antwort, ich war zu benommen, um mich auf solche Spötteleien einzulassen. Offensichtlich wollte da jemand mit mir spielen. Stattdessen stellte ich eine Gegenfrage: „Was bist Du und was willst Du?“.
An Stelle einer Antwort gab das graue Etwas ein Bild von sich. Mein Spiegelbild schimmerte schwach darin, direkt vor meinem trüben Blick.
„Du bist ich?“ mutmaßte ich verständnislos.
„Nur ein Teil von Dir, du hast mich hier zurück gelassen.“
„Wieso fragst Du dann nach meinem Namen?“
„Es erschien mir eine gute Einleitung zu sein.“
Eine Einleitung? Zu was? Als Gesprächseinstieg? Ich setzte mich aufrecht hin, mein Rücken schmerzte, ich hatte die Nacht in ungesunder Haltung gelegen. „Ich wüsste nicht, was ich hier vergessen hätte.“
„Dann will ich Deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Ich bin Dein Hass.“
„Fantastisch, als ob ich nicht schon genug Zwiegespräche mit mir selbst führe.“, ich blieb unbeeindruckt. Aber es stimmte, ich hatte lange nicht mehr gehasst. Jedenfalls niemand anderes als mich selbst. „Wenn Du mir abhanden gekommen bist, wie kann ich mich dann selbst hassen?“
„Deinen Selbsthass schleppst Du weiter mit Dir herum.“, dröhnte die Stimme meines Hasses tonlos und voller Verachtung durch meinen Kopf.
Eine kecke Antwort erschien mir angemessen, um dem Gespräch die Schwere zu nehmen: „Ich kann ihn Dir gern als Gesellschaft hier lassen!“.
„Oh, Du wirst ihn hier lassen, glaube mir, denn Du wirst hier bleiben, hier bei mir.“
„Meinetwegen, ich habe ohnehin nichts anderes vor.“, beschritt ich weiter den Pfad der Flapsigkeit. „Aber wozu soll das gut sein?“
„Es ist gut so, weil ich Dich hasse!“
„Wärest Du in dem Fall nicht mein Selbsthass? Ein Paradoxum?“ überlegte ich, halb an mich selbst gerichtet.
„Nein, das widerspricht sich nicht. Da Du mich hier gelassen hast, bin ich wohl nicht mehr wirklich ein Teil von Dir. Aber, das ist doch auch gar nicht der Punkt!“
„Was ist dann der Punkt? Sag es mir, ich bin zu unbeeindruckt, um darüber zu sinnieren.“
„Oh ja, deine Überheblichkeit, die wird Dir vergehen, Du Ausdruck aufgeblasener Popanzigkeit!“ die Stimme dröhnte durchdringender. „Du hast Dich noch nicht gefragt, warum Du wieder hier in den Mooren gelandet bist.“
„Nein, wozu auch, das ändert ja doch nichts.“
„Behauptest Du das allen Ernstes, nach den Erfahrungen, die Du bei Deinem letzten Aufenthalt hier gemacht hast?“ ätzte mein Hass mich spottend an, „Du bist noch viel ignoranter als ich dachte.“
Das Gespräch machte mich langsam ein wenig aufmerksamer, trotz der benebelnden Wirkung der Moordämpfe. „Was willst Du mir sagen? Soll ich etwa wieder etwas lernen? Gibt es hier noch mehr verdammte Instrumente zu finden, die sich später als nutzlos erweisen?“.
Ich schmiss dem Hass das sinnbildliche Klapperhorn vor die imaginären Füße. Bei der Gelegenheit warf ich einen Blick auf meine Beine. Im dämmrigen Licht schien es mir, als ob etwas diffuses an ihnen hoch kroch, ein gläserner Nebel vielleicht. Ich machte ein paar wegwischende Handbewegungen, die aber ins Leere griffen. Mir lief ein Schauer über den Rücken, dieses Gefühl war schaurig, denn trotz der Leere war dort etwas, zwar nicht greifbar, aber wahrnehmbar.
„Ah, spürst Du schon was?“, die hasserfüllte Stimme schien diabolisch zu grinsen.
Tatsächlich spürte ich etwas, was auch immer da an meinen Beinen hoch rankte, jedenfalls konnte ich sie nicht mehr bewegen. Zuerst die Waden, dann die Oberschenkel. Ein Kribbeln breitete sich aus. Innerhalb kürzester Momente war auch der Rest meines Körpers bewegungsunfähig, so gerade noch ein wenig zappeln konnte ich in dem Versuch, mich zu befreien. „Lass mich los!“, rief ich. „Geh weg, lass mich allein!“
„Oh, du bist allein und wirst es bleiben.“, die Stimme des Hasses lachte mir schallend in das Gesicht. „Allein und stuḿm, deine aufgeblasenen Worten sollen Dir im Halse stecken bleiben. Von jetzt an und für alle Zeit. Immer sterbend, niemals endend. Suhle dich in Deinem Selbstmitleid, badend in Deinem Selbsthass und röchelnd um Atem ringend, erstickend an Deiner selbst überschätzenden Polemik. In Ewigkeit.“
Panisch wollte ich etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus. Ich versuchte mir an den schmerzenden zu Hals greifen, brachte aber nicht die kleinste Bewegung zustande. Der Hass hüllte mich von allen Seiten ein, raubte mir den Atem. In einem letzten Versuch von verzweifelter Gegenwehr zuckend, wurde mir schummrig vor den tränenden Augen.
Und dann entwich mir mit einem Röcheln das letzte bisschen verbliebene Atemluft.

Übung 1

Setzen Sie sich hin, nehmen ein Blatt Papier oder ein Heft und schreiben auf, wie der Text auf Sie gewirkt hat. Und was Ihnen gefallen hat und was Sie beim Lesen gestört hat.
Nein, nicht, ob er literarisch oder stilistisch gut ist. Das sind analytische Fragen für ein Literaturseminar. Hier geht es um die Wirkung auf die Leserin, auf den Leser.
Warum stelle ich diese Übung? Weil es Ihnen am meisten bringt, wenn Sie nicht überlegen, ob er gut oder schlecht ist, sondern was gewirkt hat und was nicht. Dieser Text will sicher kein superspannender Krimi sein. Sondern ein poetischer Text, der sich mit Hass und Trauer auseinandersetzt und ein Gefühl (Hass) zu einer eigenständigen Figur entwickelt.
Bei poetischen Texten lauert eine besondere Gefahr: Dass der Autor von seinem eigenen Bildern verführt wird, immer mehr Bilder hineinpackt. Aber auch hier ist weniger mehr. Im Lektorat streiche ich als erstes die Bilder, die nicht oder schlecht wirken. Und die Wiederholungen, denn ein Bild, das sich wiederholt verliert seine Kraft.
Streichen ist die wichtigste Kunst beim Überarbeiten und Lektorieren. Oft gewinnt allein dadurch ein langweiliger Text an Tempo und innerer Spannung. Und auch Lyrik und Poesie benötigen diese innere Spannung.
Und entsprechend kommt jetzt eine zweite Aufgabe auf Sie zu.

Übung 2

Streichen Sie aus obigem Text alles, was Ihrer Meinung nach nicht richtig passt. Seien Sie nicht zimperlich. Wenn Sie auch nur den Verdacht haben, es könnte ohne besser sein, dann hinweg damit. Nur streichen, zunächst nicht verbessern.

Übung 3

Jetzt drucken Sie bitte beide Fassungen aus. Legen Sie sie nebeneinander. Vergleichen Sie. Was ist besser geworden? Was hätte man besser nicht streichen sollen?
Die Idee zu dieser Übung stammt von der amerikanischen Bestsellerautorin Le Guin. Er ist ein bewährtes Mittel, um herauszufinden, was nötig ist und was nicht. Außerdem schult er ihr Auge, um nötige und unnötige Änderungen zu erkennen.
Hier folgen jetzt die Düstermoor mit meinen Streichungen.

Rückkehr in die Düstermoore, mit Streichungen

Ich versank in trunkenem Selbstmitleid, suchte die Einsamkeit bucklig gepflasterter Hintergassen, wo ich mir ein kleines Zimmer als Unterkunft nahm und verdrießlich himmelsgleiche Schmeichelreime flocht. Sie betonten meine Einsamkeit, als sie ungehört durch das Fenster hinaus in die graue Luft der Industriemetropole entfleuchten. Traurig klapperte ich das Klapperhorn. Welchen Sinn hatte es, noch zu leben, wenn ich als großartigste Inkarnation der Geschichten erzählenden Zunft kein Gehör fand?
In dieser apokalyptischen Stimmung schlurfte ich am nächsten Abend durch die Gassen. Ich hatte den Plan gefasst, mein Sprachniveau für die alltägliche Kommunikation auf ein gewöhnliches Maß zu senken. Gewöhnlich. Allein dieser Ausdruck kleinbürgerlichen Intellektverfalls!
Wenigstens war mir so menschlicher Kontakt möglich. Sogar die ein oder andere Geschichte gab ich mühevoll und auf flachem Niveau einigen Bierfreunden vor einer Trinkbude zum Besten. Konnte ich noch tiefer sinken?
Ich konnte. Und zwar absinken, in die gedanklichen Tiefen jämmerlichen Selbstmitleids. Mit jedem Meter sank ich tiefer herab, ohne es zu merken. Giftig grüne Dämpfe stiegen auf, modrige Brechreizwolken säumten ihre Ränder. In meiner Gedankenverlorenheit war ich, ohne es zu merken, abermals in den Düstermooren gelandet. Schweren Herzens und schlappen Schrittes trottete ich am Scheiterhaufen der Geschichte vorbei, ohne Hoffnung, ohne Ziel. Mit meinem trauerverklärten Gemüt war es mir nicht möglich, das Klapperhorn zu spielen, um diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Ich war ein nutzloses Stück Dreck. Sollte mein Leib doch hier verrotten!
Die Nacht verbrachte ich schlotternd unter einem Dichtungsdornengebüsch, gebettet auf nur wenig Wärme spendender Maulheldenmadenpampe. Die Maden hatte ich mit selbst zu Matsch zertreten, damit sie nicht an mir hochkrabbelten. Trotz krampfhaften Brechreizverdrusses mochte ich am Morgen nicht aufstehen. Nirgendwo in den Mooren schien es besser zu sein, warum also nicht hier liegen bleiben und vor mich hin modern? Mein Blick war starr nach vorn fixiert, mitten ins Nichts.
Jedoch, was war denn das?
Ich blinzelte. Der graphitgraue Dunst verschwand nicht. Es lag nicht an meinen Augen. Etwas hatte sich über Nacht direkt vor meiner Nase breitgemacht.
„Sag Deinen Namen!“, die einschüchternde Stimme drang direkt in meinen Kopf, ohne den Umweg über mein Ohr.
Widerwillig dachte ich die Antwort „Ich bin Jojo.“.
„Ist das ein Name für Mädchen oder für Jungen?“ frotzelte es gehässig zurück, als ob die Antwort nicht offensichtlich wäre.
Da wollte jemand mit mir spielen.
Stattdessen stellte ich eine Gegenfrage: „Was bist Du und was willst Du?“.
An Stelle einer Antwort gab das graue Etwas ein Bild von sich. Mein Spiegelbild schimmerte schwach darin, direkt vor meinem trüben Blick.
„Du bist ich?“ mutmaßte ich verständnislos.
„Nur ein Teil von Dir, du hast mich hier zurückgelassen.“
Ich setzte mich aufrecht hin, mein Rücken schmerzte, ich hatte die Nacht in ungesunder Haltung gelegen. „Ich wüsste nicht, was ich hier vergessen hätte.“
„Dann will ich Deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen. Ich bin Dein Hass.“
„Wenn Du mir abhanden gekommen bist, wie kann ich mich dann selbst hassen?“
„Deinen Selbsthass schleppst Du weiter mit Dir herum“, dröhnte die Stimme meines Hasses voller Verachtung durch meinen Kopf.
„Ich kann ihn Dir gern hier lassen!“
„Oh ja, deine Überheblichkeit, die wird Dir vergehen, Du Ausdruck aufgeblasener Popanzigkeit!“ die Stimme dröhnte durchdringender. „Du hast Dich nicht gefragt, warum Du wieder hier in den Mooren gelandet bist.“
„Nein, wozu auch.“
„Du bist noch viel ignoranter als ich dachte.“
„Was willst Du mir sagen?“.
Ich schmiss dem Hass das Klapperhorn vor die Füße. Bei der Gelegenheit warf ich einen Blick auf meine Beine. Im dämmrigen Licht kletterte etwas Diffuses an ihnen hoch. Ich machte ein paar Handbewegungen, die aber ins Leere griffen.
„Spürst Du schon was?“ Die hasserfüllte Stimme grinste diabolisch.
Tatsächlich spürte ich etwas. Ich konnte sie nicht mehr bewegen. Zuerst die Waden, dann die Oberschenkel. Ein Kribbeln breitete sich aus. Innerhalb kürzester Momente war auch der Rest meines Körpers bewegungsunfähig. Noch ein wenig zappeln konnte ich, um zu versuchen, mich zu befreien.
„Lass mich los!“, rief ich. „Geh weg, lass mich allein!“
„Oh, du bist allein und wirst es bleiben.“, die Stimme des Hasses lachte. „Allein und stuḿm, von jetzt an und für alle Zeit. Suhle dich in Deinem Selbstmitleid, bade in Deinem Selbsthass und ersticke an Deiner Polemik in Ewigkeit.“
Panisch wollte ich etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus. Ich versuchte mir an den schmerzenden Hals zu greifen, brachte aber nicht die kleinste Bewegung zustande. Der Hass hüllte mich von allen Seiten ein, raubte mir den Atem. In einem letzten Versuch von verzweifelter Gegenwehr wurde mir schummrig vor den tränenden Augen.
Und dann entwich mir das letzte bisschen verbliebene Atemluft.

Übung 4

Same Procedure wie nach dem letzten Text. Setzen Sie sich hin, nehmen ein Blatt Papier oder ein Heft und schreiben auf, wie der Text auf Sie gewirkt hat. Und was Ihnen gefallen hat und was Sie beim Lesen gestört hat.

Übung 5

Nach den Streichungen hat sich der Text schon von vielen störenden Worten und Sätzen befreit. Nun geht es darum, unglückliche Formulierungen zu überarbeiten. Drucken Sie den Texte aus und markieren Sie alle Stellen, die holpern.
Dann überlegen Sie, wie Sie diese verbessern können und tragen Sie sie in Ihren Text ein.

Übung 6

Und jetzt drucken Sie bitte beide Fassungen aus. Legen Sie sie nebeneinander. Vergleichen Sie. Was ist besser geworden? Was hätte man besser nicht ändern sollen?

Im nächsten Blogbeitrag zeige ich Ihnen, wie ich die holprigen Stellen überarbeite. Wenn Sie meinen Blog abonnieren möchten (rechts oben das Menü anklicken), erhalten Sie automatisch eine Meldung, sobald ein neuer Beitrag online steht.

Literatur

Ursula Le Guin, Kleiner Autorenratgeber, Autorenhaus Verlag
Hans Peter Roentgen, Vier Seiten für ein Halleluja, Sieben Verla
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Was dem Lektorat auffällt
was Sie immer schon mal über Lektorate wissen wollten, das Buch

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Lektorat: Rückkehr in die Düstermoore

Drei Lektoratsfassungen

Auch Lektoren benötigen Lektorate und Testleser. Und was dabei herauskommt, möchte ich euch an einem Beispiel zeigen. Ich hatte eine Szene für mein Romanprojekt „Stimmen“ geschrieben, eine Geschichte über einen Jungen der depressiv wird. Und die erste Fassung sah so aus:

1

Das Krankenhaus war ein riesiger Betonklotz mit einem bisschen Grün davor. Und einem Eingang mit Glastüren. Opa musste hier gestorben sein, aber damals durfte ich nicht mit. „Das ist nichts für Kinder“, meinte Mama, obwohl ich bettelte. „Nachher hast du nur Alpträume.“ Erwachsene denken immer, sie müssten alles von Kindern fernhalten.
Zur Beerdigung durfte ich mit. Dabei hätte ich ihn gerne noch mal lebendig gesehen. Ein Trauerredner erzählte über Opa, einer, der er ihn nie gekannt hatte. Eine Blaskapelle spielte und später sagte Mama, dass sie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt hatten. „Alles alte Kriegskameraden“, fügte sie hinzu und schüttelte sich. „Dabei ist der Krieg fünfzig Jahre vorbei.“
Am Grab konnte ich nicht weinen. Überhaupt nicht und ich war auch nicht traurig. Das war nicht normal, dass ich nicht am Grab weinen konnte, das wusste ich, ich hatte ein schlechtes Gewissen deswegen. Dabei hatte ich Opa geliebt!
Das Totenessen war in Opas Haus. Alle Leute saßen an dem Tisch im Esszimmer. Opas großer Lehnstuhl, auf dem er immer am Tischende gesessen hatte, war fort, damit mehr Platz am Tisch war. Viele Menschen, die meisten kannte ich nicht, drängten sich um den Tisch. Da, als sein Stuhl weg war, an dem er immer saß, da bin ich aufs Klo gerannt und habe geheult. Weil ich plötzlich gemerkt hatte, er ist jetzt fort und ich werde ihn nie wiedersehen. Und die Leute waren am Grab ernst und jetzt wurden sie fröhlich. Und ich saß auf dem Klo und heulte.

Und jetzt habe ich eine Aufgabe für Sie
Übung: Nehmen Sie Bleistift und Papier und schreiben Sie auf, wie dieser Text auf Sie wirkt. Ohne lange zu überlegen. Ohne Ausflüge in die Literaturwissenschaft.

Meine Lektorin Sonja Puras schrieb mir dazu:
„So, wie du die Opa-Situation beschreibst, wirkt sie auch einfach nicht. „Bin aufs Klo gegangen zum Heulen“ berührt schon deshalb nicht, weil „Heulen“ ein abwertendes Wort ist. Details könnten das spannend machen, menschlich wie literarisch.“

Zu karg also. Weckt wenig Bilder. Ich höre auf meine Lektorin. Jedenfalls meistens. Und deshalb gab es einen zweiten Entwurf:

2

Das Krankenhaus war ein riesiger Betonklotz mit einem bisschen Grün davor. Und einem Eingang mit Glastüren. Opa musste hier gestorben sein, aber ich durfte nicht mit.
„Das ist nichts für Kinder“, meinte Mama, obwohl ich bettelte. „Nachher hast du nur Alpträume.“
Erwachsene denken immer, sie müssten alles von Kindern fernhalten, und sie haben immer Sprüche, um das zu begründen. Irgendwo muss es einen Sprücheladen geben, aus dem sie ihre beziehen.
Zur Beerdigung durfte ich mit. Dabei hätte ich ihn gerne noch mal lebendig gesehen. Stattdessen lief ich in einer langen Reihe schwarz gekleideter Gestalten hinter der Urne mit seiner Asche her. Ich war auch ganz in Schwarz, Mama hatte mir am Tag vorher einen neuen Anzug gekauft. Obwohl der alte Blaue mir noch gepasst hätte, den ich immer in die Kirche trug.
Diese kleine Urne war alles, was von Opa geblieben war. Von dem Mann, der mir die Welt erklärte, wenn ich es wollte, aber nicht auf mich einredete, wenn ich es nicht wollte.
Ein Trauerredner erzählte über Opa, einer, der er ihn nie gekannt hatte. Eine Blaskapelle spielte, sie spielte langsam und immer langsamer und es waren ja auch alles alte Männer. Später sagte Mama, dass sie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt hatten. „Alles Kriegskameraden“, fügte sie hinzu und schüttelte sich. „Dabei ist der Krieg fünfzig Jahre vorbei.“
Am Grab konnte ich nicht weinen. Überhaupt nicht und ich war auch nicht traurig. Mama weinte, Papa schnäuzte sich immer wieder und wischte sich die Augen. Meine Tante weinte und andere auch. Nur ich nicht. Dabei hatte ich Opa geliebt! Das war nicht normal, dass ich nicht am Grab weinen konnte, das wusste ich.
„Du hast geweint“, sagte ich auf dem Rückweg zu Mama.
„Ja“, sagte sie. „Und du nicht.“
„Jungs weinen nicht“, sagte Papa und schnäuzte sich.
Das Totenessen war in Opas Haus. Alle Leute saßen an dem Tisch im Esszimmer. Opas großer Lehnstuhl, auf dem er immer am Tischende gesessen hatte, war fort, damit mehr Platz am Tisch war. Viele Menschen, die meisten kannte ich nicht, drängten sich um den Tisch. Da, als sein Stuhl weg war, an dem er immer saß, da bin ich aufs Klo gerannt und habe geweint. Weil er fort war und ich ihn nie wiedersehen würde. Den Mann, der mich letztes Jahr gefragt hatte: „Was wünschst du dir zu Weihnachten?“
Und ich sagte: „Die schwedischen Schnellzuglokomotive.“
„Das ist ja ein großes Geschenk“, sagte er. „Das kann man nicht auf einmal bekommen. Da gibt es erst mal die Räder, die sind bei Lokomotiven ja riesig.“
Ich musste lachen, aber fragte mich, würde er sie mir schenken?
Zwei Wochen später bekam ich eine Erkältung: Und im Bett versuchte ich mir aus Pappe Räder, Sichtfenster und anderes auszuschneiden, weil ich daran dachte, was er mir gesagt hatte.
Und die Leute, die am Grabe geheult oder ernst geschaut hatten, wurden beim Essen fröhlich. Und ich saß auf dem engen Klo und weinte. Ich war nicht normal. Opa hatte mir mal erzählt, dass er hier ab und zu geraucht hätte, als der Arzt ihm das Rauchen verboten hatte und er nicht widerstehen konnte.

Übung: Nehmen Sie wieder Bleistift und Papier und schreiben Sie auf, wie Fassung 2 auf Sie wirkt. Ohne lange zu überlegen. Ohne Ausflüge in die Literaturwissenschaft.

Sie ahnen es vermutlich schon: Meine Lektorin ist nie zufrieden und sagte:
„Ja, das ist schon viel besser. Es wird zwischen den Zeilen deutlich, dass du nicht nur um den Opa weinst, sondern auch, weil du so allein bist. Die anderen weinen und essen gemeinsam, du stehst außerhalb und spürst, dass du deinen Opa nur sehr ausschnitthaft kanntest. Das überträgt sich und könnte verstärkt werden, indem du den verschwundenen Lehnstuhl durch ein, zwei beschreibende Details „anleuchtest“.
Grundsätzlich erzählst du für meinen Geschmack zu detailarm. Was hattest du an auf der Beerdigung, war es schwarz, unbequem, roch nach Mottenkugeln? Wie viele Leute sind auf der Beerdigung, wie viele Bläser? Wie viele Kränze liegen da? Ist es ein Sarg oder eine Urne? Was gibt es zu essen, kannst du was essen? Wie sieht das Klo bzw. Bad aus?
Du könntest alles noch deutlich lebendiger machen. Den Film ablaufen lassen. Denk an Nabokovs göttliches Detail.“

3


Das Krankenhaus war ein riesiger Betonklotz mit einem bisschen verhungertem Grün davor. Und einem Eingang mit Glastüren. Opa musste hier gestorben sein, aber damals durfte ich nicht mit hinein. „Das ist nichts für Kinder“, meinte Mama, obwohl ich bettelte. „Nachher hast du nur Alpträume.“
Erwachsene denken immer, sie müssten alles von Kindern fernhalten, und sie haben immer Sprüche, um das zu begründen. Irgendwo muss es einen Sprücheladen geben, aus dem sie ihre beziehen. Ein Sprücheladen nur für Erwachsene, die sie benötigen, um Kinder still zu halten. Noch heute reagiere ich allergisch, wenn jemand solche Sprüche benutzt.

Zur Beerdigung durfte ich mit. Dabei hätte ich Opa gerne noch mal lebendig gesehen.
Ein Trauerredner erzählte über Opa, einer, der er ihn nie gekannt hatte. Eine Blaskapelle spielte, sie spielte langsam und immer langsamer und es waren ja auch alles alte Männer. Später sagte Mama, dass sie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt hatten.
„Alles Kriegskameraden“, fügte sie hinzu und schüttelte sich. „Dabei ist der Krieg fünfzig Jahre vorbei.“
Am Grab konnte ich nicht weinen. Überhaupt nicht und ich war auch nicht traurig. Mama weinte, Papa schnäuzte sich immer wieder und wischte sich die Augen. Meine Tante weinte und andere auch. Nur ich nicht. Dabei hatte ich Opa geliebt! Das war nicht normal, dass ich nicht am Grab weinen konnte, das wusste ich.
„Du hast geweint“, sagte ich auf dem Rückweg zu Mama.
„Ja“, sagte sie. „Und du nicht.“
„Jungs weinen nicht“, sagte Papa und schnäuzte sich.
Das Totenessen war in Opas Haus. Alle Leute saßen an dem Tisch im Esszimmer. Opas großer Lehnstuhl, auf dem er immer am Tischende gesessen hatte, war fort, damit mehr Platz am Tisch war. Viele Menschen, die meisten kannte ich nicht, drängten sich um den Tisch.
Da, als sein Stuhl weg war, an dem er immer saß, da bin ich aufs Klo gerannt und habe geweint. Weil er fort war und ich ihn nie wiedersehen würde. Den Mann, der mich letztes Jahr gefragt hatte: „Was wünschst du dir zu Weihnachten?“
Und ich sagte: „Die schwedische Schnellzuglokomotive.“
„Das ist ja ein großes Geschenk“, sagte er. „Das kann man nicht auf einmal bekommen. Da gibt es erst mal die Räder, die sind bei Lokomotiven ja riesig.“
Ich musste lachen, aber fragte mich: Würde er sie mir schenken?
Zwei Wochen später bekam ich eine Erkältung. Im Bett versuchte ich mir aus Pappe Räder, Sichtfenster und anderes auszuschneiden, weil ich daran dachte, was er mir gesagt hatte. Und ich versuchen wollte, mir eine Lokomotive und Wagen zu bauen. Das schaffte ich natürlich nicht.
Die Leute, die am Grabe geheult oder ernst geschaut hatten, wurden beim Essen fröhlich. Und ich saß auf einem engen Klo und weinte. Ich war nicht normal. Opa hatte mir mal erzählt, dass er hier ab und zu geraucht hätte, als der Arzt ihm das Rauchen verboten hatte und er nicht widerstehen konnte. Das Klo hatte ein kleines Kippfenster.


Übung: Nehmen Sie Bleistift und Papier und schreiben Sie auch für die dritte Fassung auf, wie sie auf Sie wirkt.
Und ich habe zweite Aufgabe für Sie.
Übung: Drucken Sie alle drei Fassungen aus. Markieren Sie die Stellen, die unterschiedlich sind. Und schreiben Sie auf, was diese Unterschiede Ihrer Meinung nach bewirken.

Nein, ich will Sie nicht quälen. Aber am meisten lernen Menschen (auch ich) durch Beispiele anderer.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim eigenen Überarbeiten und dass Sie tolle Testleser und Lektorinnen finden mögen.

Und ich freue mich, wenn Sie Ihre Meinung in die Kommentare schreiben über die drei Fassungen.
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