Beispiellektorat Mai 2016

Entmietung

Er stand im Schatten. Die einbrechende Dunkelheit machte ihn im Rücken des Rathauses fast unsichtbar. Eine hagere, schmale Gestalt, die Arme eng am Körper, außer er hob den Arm, um an einer Zigarette zu ziehen. An der fünften.

Dieser Leggner lässt sich Zeit. Voss stapfte mit den Füßen auf der Stelle. Lässt sich Zeit, und mich zappeln. Er spuckte aus. Spürte das Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Leggner hatte sich am Telefon nichts konkretes entlocken lassen. Nur ein paar Andeutungen über eventuelle Möglichkeiten. Ein kleiner Deal nebenbei. Und das zog. Hielt Voss an der Angel. Als er Schritte hörte, drehte er sich um.

Lockenköpfe. An beiden Enden der Leine. Voss scharrte auf dem Kopfsteinpflaster, bis sich eine der Damen zu ihm drehte. Er beugte sich aus dem Schatten, riß die Augen auf, streckte seine lange Zunge heraus und züngelte wie eine Schlange. Die Dame packte ihre Gefährtin und rannte, die Schritte verhallten und Voss blieb zurück im Schatten.

Er trat die Zigarette aus, als würde das Leggner Beine machen. Jetzt reicht es mir aber. Vielleicht ist dieser Leggner nur gefakt. Wahrscheinlich irgendeiner von denen, die ich mal abgezogen habe. Die kleine Rache, mich hier im Schatten stehen und frösteln zu lassen. Oder eine Finte, um mich aus meinem Büro zu locken. Von Walter. Als ob der irgendwas über meine Deals finden würde, in meinem Büro. Voss lachte leise auf. Hielt inne. Ein Mann im Mantel. Italienische Schuhe, die Haare kurz, dunkel. Das Gesicht weich und die Augen. Voss fing an zu grinsen. Stahlhart. Er sagte laut, „Ebene 37“, und machte einen Schritt aus dem Schatten.

„Eberhard Voss?“ die italienischen Schuhe kamen näher. „Ich bin Leggner, Tobias Leggner“

Voss griff nach der Hand und quetschte sie, aber Leggner reagierte nicht. Die meisten brachten zumindest ein nervöses Zucken um die Mundwinkel zustande. „Ich bin interessiert an Ihrem Angebot“, flüsterte Voss und grinste, „was immer es sein mag.“

„Gehen wir ins Infinion.“

Voss machte den Mund auf, nickte dann aber. Er hatte an den Rathauskeller gedacht. Bulli am Tresen, Angelo mit der Kellnerschürze und ein paar Freunde im Hinterzimmer. Das Infinion war ein Glaskasten mit zu hohen Decken, zu viel Licht und Stühlen aus Kunststoff. Eine halbe Stunde in der eierfarbenen Sitzschale bescherte einen nassen Hintern. Aber vielleicht würde das Treffen kurz ausfallen und er noch zu einem Absacker im Rathauskeller kommen.

„Sie wurden uns empfohlen“, Leggner legte die Menükarte auf den Tisch, lehnt sich im Stuhl zurück, lächelte Voss an und schob einen Umschlag an den Tellern vorbei. „Für Ihren Zeitaufwand.“

Voss sah kurz auf den Umschlag, lehnte sich zurück, leckte sich die spröden Lippen und knallte die Menükarte auf den Tisch, „reden wir nicht lange drumherum.“

Die Kellnerin strafte Voss mit Blicken hob die Menükarte sachte auf und sah die beiden erwartungsvoll an. Leggner bestellte die Spargelspitzen und ein Glas Weißwein, Voss die Schlachtplatte, die er doppelt belegen ließ und dazu ein frisch Gezapftes.

„Wir suchen Bauland.“ Leggner lächelte.

Bauland, dachte Voss, wo soll ich Bauland herkriegen? Freiflächen gibt es nichtmal mehr in der Größe eines Marienkäfers. Wir vermieten Wohnungen. Ganze Häuser. Nimm einen Wohnblock. „In Hamburg?“

„Vor den Toren. Unsere internationalen Investoren“, Leggner spielte mit der Gabel, „die Leute, die dieses Land aufrecht halten, sollen es doch gut haben.“

„Natürlich“, sagte Voss energisch und war sich nicht sicher, ob Leggner ihn dazuzählte.

„Eine Oase für die mit dem passenden Geldbeutel.“

„Im Süden, Harburg, da haben wir einige Objekte. Wollen Sie kaufen und luxussanieren?“

„Wir wollen neu bauen.“

„Abreißen?“ Voss zog die Brauen hoch.

„Zwei bis drei Fußballfelder groß.“

„Zwei bis drei“, Voss sah auf und pfiff durch die Zähne, „das ist eine hübsche kleine Siedlung.“

„Wir sind uns im klaren darüber, dass Sie“, er machte eine kleine Pause, „umschichten müssten.“

„Umschichten?“ Ob das einer von der Presse ist? Oder von irgendeiner Initiative. Die ‚Demokraten für Demokratie‘ gehen mir seit Wochen mit ihren Parolen auf den Geist. Ich sollte in den Umschlag sehen, vielleicht ist nur ein alter Zeitungsartikel drin. „Geplante Baubeginn?“

„Ob nun über die WObau Hamburg oder eine andere Gesellschaft“, Leggner nippt am Wein.

Voss griff nach dem Umschlag und steckte ihn ein, besser das schon mal haben.„Wir werden uns schon einig.“

„Im Januar soll der erste Spatenstich sein.“

Voss schob sein stumpfes Kinn vor, „wieso haben wir uns nicht schon im letzten Jahr getroffen?“

Leggner zuckte die Schultern, „wir wollten Oasis zuerst in Berlin bauen.“

„Zu viele Kommunisten“, Voss nickte ohne eine Reaktion abzuwarten, „mir käme da schon ein Objekt in den Sinn.“ Er dachte an das Bogerviertel. An die vielen Querulanten, die seinen Mitarbeitern das Leben schwer machten. Acht Hochhäuser, besiedelt von Asozialen, Arbeitsverweigerern und Schmarotzern, die sich ständig über irgend etwas beschwerten. Einige sogar bei ihm. Er schnaufte. Die Häuser müssten demnächst instand gesetzt werden. Eine teure Angelegenheit. Aber bis Januar, das waren keine drei Monate. Wohin mit so vielen Leuten? Ohne irgendwelche Initiativen zu aktivieren, ohne Presse, ohne irgendwas. Voss kannte Typen wie Leggner. Die konnten von kleinen barbusigen Nutten bis hin zu einer Menge Koks alles brauchen, nur keine Öffentlichkeit. Er dachte an Kowak, der in der Lusienstraße für eine reibungslose Entmietung gesorgt hatte. „Ist machbar“, sagte Voss langsam.

„Ich brauche eine definitive Zusage“, Leggner schob ein kleine aufgeklappte Schachtel zu Voss, in der ein Stein glitzerte, beugte sich vor und sagte leise „heute Abend.“

„Jetzt?“ Voss verschluckte sich fast an einem der Schinkenröllchen. Er starrte auf den glitzernden Stein, So viel würde niemand investieren, nur um ihn festzunageln.

„Sie haben die nötigen Kompetenzen das zu entscheiden?“

„Natürlich“, Voss schob die Hemdsärmel hoch und klimperte mit dem goldenen Armband, drehte den Siegelring hin und her und linste auf den Stein. Ihm juckten die Eier, aber der Tisch war aus Glas und Leggner schien aus Stahl zu sein. „Sie hätten mich vorwarnen können. Ich meine, die Richtung. Es gibt da noch ganz alte Mietverträge.“

„Ich habe gehört“, Leggner rollte eine Spargelspitze an den Rand des Tellers, „dass Verträge bei Ihnen“, er schon die Spargelspitze langsam über den Tellerrand, „flexibel gehandhabt werden können.“

„Flexibel“, Voss kaute lautstark.

„Wir können auch in die Schweiz gehen.“ Leggner streckte die Hand nach dem Kästchen auf dem Tisch aus. „Die können ein paar Millionen, vielleicht werden es auch Milliarden immer brauchen. Sitzen Sie nicht ab und zu mit dem Bürgermeister an einem Tisch?“

Voss zog die Brauen hoch und malträtierte die Hackröllchen mit dem Messer, als wäre es eine Axt. „Haben Sie mit ihm gesprochen? Ich meine bei der Summe, da gibt es doch sicherlich Wirtschaftsförderung.“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit. Aber wenn wir uns auf dem Golfplatz begegnen, hätten wir uns sicher viel zu erzählen. Vielleicht kann ich ihm auch von einem klugen Vorstandsmitglied berichten?“

Voss zerkaute die gehackten Teilchen. So kurzfristig so viel Geld und keine Involvierung der Stadtoberen, das hörte sich nach nicht sauberem Geld an. Er musterte Leggner verstohlen, dessen Hemd strahlend weiß, die Haut glatt und straff und der Bart wie ein englischer Rasen geschnitten war. Ganz im Gegensatz zu den Zotteln, die Voss wuchsen, wenn er es drauf ankommen ließ. Unsauberes Geld bedeutete eine nicht versiegende Quelle. „Wie viel springt für mich dabei raus?“

Leggner knallte die Hand auf den Tisch und lachte kalt: „Für den Satz haben Sie verdammt lange gebraucht.“ Er schob das Kästchen so weit, dass es bei Voss über die Tischkante kippte. „Ich komme im November und gebe der Abrissbirne den Befehl.“

Lektorat

Ein Mann steht vor dem Rathaus und wartet. Ein Leggner hat ihm ein Geschäft versprochen, doch der Herr lässt auf sich warten. Dann erscheint er und will ein riesiges Grundstück kaufen, die bisherigen Mieter entmieten lassen und neu bauen. Dafür bietet er Geld, viel Geld. Offenbar handelt es sich um Schwarzgeld. Voss zögert, doch dann schlägt er ein.

Der Name

Im ersten Absatz gibt es nur einen „er“, der wartet. Erst im zweiten Absatz wird der Name der Person genannt: Voss.

Wenn Sie eine Person nur mit „er“ benennen, wirkt sie distanziert, undeutlich. Das kann stimmig sein, zum Beispiel, wenn Sie in der ersten Szene einen Mord schildern, aber nicht möchen, dass der Mörder erkannt wird und ihn aus der Distanz schildern wollen.

Im obigem Fall würde ich gleich am Anfang den Namen nennen: „Voss stand im Schatten“. Damit wird die Person deutlicher.

Zeitenwechsel

Dieser Leggner lässt sich Zeit. Voss stapfte mit den Füßen auf der Stelle. Lässt sich Zeit, und mich zappeln. Er spuckte aus. Spürte das Kribbeln zwischen den Schulterblättern.

Was fällt Ihnen an diesem Text auf?

Richtig, der Zeitenwechsel. Leggner lässt sich Zeit, Voss stapfte mit den Füßen. Gegenwart, dann Vergangenheit. Nicht gut.

Natürlich denkt Voss: Leggner lässt sich Zeit. Aber wenn Sie aus der Perspektive der Figur (in diesem Falle: Voss) schreiben, dann lassen Sie die Gedanken auch in der Erzählzeit spielen:

Dieser Leggner ließ sich Zeit. Ließ sich Zeit, und ihn zappeln. Voss stapfte mit den Füßen auf der Stelle. Er spuckte aus. Spürte das Kribbeln zwischen den Schulterblättern.

Dachte er und Perspektive

Natürlich können Sie auch die Gedanken als Gedanken von Voss kennzeichnen. Mit dem Zusatz: „dachte er“. Dann kann das Präsenz stehen bleiben:

Dieser Leggner lässt sich Zeit, dachte Voss. Lässt sich Zeit, und mich zappeln. Voss stapfte mit den Füßen auf der Stelle, spuckte aus. Spürte das Kribbeln zwischen den Schulterblättern.

Wie wirkt diese Konstruktion? Ebenfalls distanziert. Vorher haben wir Voss aus der personalen Perspektive erlebt. Haben die Szene aus seinen Augen gesehen.

„Dachte er“ blickt von außen auf Voss. Deshalb wirkt es distanziert, weil wir aus größerer Entfernung auf ihn blicken. Sozusagen ein Sprung in den auktorialen Erzähler, einen Erzähler, der alles weiß und uns sagt, was Voss denkt.

Wäre das ein unzulässiger Perspektivwechsel? Schließlich predigt fast jeder Schreibratgeber: In einer Szene NIE, NIE die Perspektive wechseln. Die Schreibratgeber haben recht. Meist sind harte, unbegründete Wechsel der Perspektive nicht nur störend, sondern werfen die Leser aus dem Text.

Dennoch haben viele Texte Stellen, in dem ein leichter Wechsel in die auktoriale Perspektive stattfindet. Das kann man machen, die Leser sind es gewohnt. Aber man muss wissen, was man tut und welche Wirkung es hat: Der Leser schaut aus größerer Distanz auf die Szene.

In Actionszenen ist so etwas tödlich und auch im obigen Beispiel würde ich davon abraten.

Who is Who

Wer ist Voss? Wie stellt er sich dem Leser dar?

Am Anfang wartet er im Schatten auf eine Verabredung mit einem Mann, den er nicht kennt, der ihm sehr nebulöse Geschäfte versprochen hat. Offenbar kriminelle Geschäfte.

Voss verhält sich hier wie ein Krimineller, ein Gangsterboss. Ein Mackie Messer, der für Geld ehrlichen Bürgern die Arbeit abnimmt, mit denen diese sich nicht die Hände schmutzig machen wollen.

Dann kommt der Leggner. Sie gehen in ein Restaurant und besprechen die Sache. Der andere will ein neues Viertel aufbauen. Dazu muss abgerissen werden, denn in Hamburg gibt es dafür keine Freiflächen. Und vorher muss man die Mieter „umschichten“. Voss hat jemanden für solche Aufgaben: Kowak.

Wer ist Voss in der Restaurantszene?

Der Chef eines großen Wohnungsunternehmens.

Würde so jemand sich an einer dunklen Ecke die Beine in den Bauch stehen, um aufgrund vager Versprechungen sich mit einem zu treffen, den er nicht kennt?

Wohl kaum. Für sowas hat er seine Leute. Kowak zum Beispiel. Wo trifft er Geschäftspartner? Vielleicht auf dem Golfplatz? In seinem Büro? Direkt im Restaurant? Oder, auch das soll es geben, im noblen Sexclub?

Nun ist es nur gut, wenn Personen nicht den gängigen Vorstellungen entsprechen. Wann würde der Chef eines Bauunternehmens in dunklen Ecken fragwürdige Personen erwarten?

Wenn ihm das Wasser bis zum Halse steht. Die Pleite droht und er greift zu jedem Strohhalm. Selbst zu einem so fragwürdigen wie Leggner. Doch er würde dort sehr viel unruhiger stehen. Ungewohnte Umgebung macht unsicher. Voss dagegen ist offensichtlich jemand, der dieses Umfeld für Geschäftsbesprechungen gewohnt ist.

Lesen sie sich nochmals den Text durch. Achten Sie darauf, welche Teile Voss in welchem Licht zeigen.

Figuren dürfen sich durchaus an ungewöhnlichen Orten aufhalten, anders handeln, als es der Leser erwartet. Aber es muss stimmig sein. Und dass die Figur plötzlich ein ganz anderer ist, das geht nicht.

Glaubwürdigkeit

Glauben Sie, dass Voss und Kowak acht Hochhäuser in drei Monaten entmieten können?

Ein Hochhaus hat etwa 200-300 Bewohner. Acht hätten mindestens 1600, wenn nicht mehr. Kowak mag ein Genie der Entmietung sein, das schafft er nicht. Schon gar nicht ohne die Aufmerksamkeit der Presse zu erregen.

Viele der Bewohner dürften Hartz IV Empfänger sein. Da zahlt das Amt die Miete. Wenn dort plötzlich viele hundert Geldempfänger neue Wohnungen benötigen, sich die Anträge häufen, wäre allein das bereits aufsehenerregend. Die Politik würde hellhörig. Und will Leggner nicht die Politik heraushalten? Schwarzgeld liebt kein Aufsehen.

Von anderen Schwierigkeiten will ich gar nicht reden.

Voss ist Chef eines großen Unternehmens. Er wäre nicht der erste, der Schmiergeld annimmt oder krumme Dinger dreht. Aber Voss ist kein Dummkopf, sondern Geschäftsmann. Und Geschäftsleute reden über Geld. Doch in der ganzen Szene wird nie gesagt, wieviel seine Firma für das Gelände erhalten soll. Ein Geschäftsabschluss, ohne einen Preis zu nennen?

Wenn zwei schon jahrelang miteinander Geschäfte führen, wird viel durch Handschlag vereinbart. Man kennt sich, man braucht sich, wenn man krumme Dinger zusammen gedreht hat, vertraut man sich besonders. Denn jeder der beiden ist dann auf den anderen angewiesen.

In unserem Fall kennt Voss aber diesen Leggner gar nicht, vermutet zwar Schwarzgeld, weiß aber nicht, ob dieser Typ nicht ein ganz gewöhnlicher Schwindler ist. Ohne Sicherheiten – sprich Vertrag – wird er ihm nicht vertrauen.

Stil allein reicht nicht

Die Geschichte ist gut geschrieben, der Autor kann zweifelsohne schreiben. Das merkt man auch am Dialog. Aber die Personen und die Handlung überzeugen nicht. Deshalb müsste man sich die Personen nocheinmal genau ansehen. Was wollen beide? Was ist Voss gewöhnt, wo ist die Situation neu für ihn?

Und auch das Umfeld (Entmietung) sollte realistischer dargestellt werden. Firmen, die Mieter vertreiben wollen, gibt es. Aber mit welchen Mitteln arbeiten die? Das sollte der Autor überlegen. Und dann die Szene neu, besser , überzeugender neu schreiben.

Wenn Ihr anderer Meinung seid oder etwas zu diesem Beispiellektorat beitragen wollen, scheut Euch nicht, es mir zu mailen oder in FB zu kommentieren! Ihr könnt auch eure Texte für ein solches Beispiellektorat vorschlagen.


Spannung – der Unterleib der Literatur
Die hohe Kunst, den Leser zu fesseln und auf die Folter zu spannen
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Beispiellektorat Mai 2016

Die Dosis macht das Gift

Ich weiß, ich bin manchmal ein Besserwisser. Aber gibt es nicht immer etwas einzuwenden? Und als Lektor hat man Einwendungen, da gibt es immer etwas zu mosern. Das gehört zum Beruf.

Aber merken Sie etwas? Und fällt Ihnen etwas auf?

Falls nicht, lesen Sie sich die Sätze nochmals durch.

Ich liebe die Worte „aber“ und „und“, vor allem am Satzanfang. Ich bin eben ein geborener Pessimist und mir fällt immer etwas auf, sodass ich den Autoren sagen kann: „Aber so geht es nicht. Und das muss man ändern.“

Jeder hat so seine speziellen Worte, die er in reicher Fülle über die Erstfassung ausgießt. Dabei hat „Aber“ und „Und“ auch am Satzanfang durchaus seine Berechtigung. Doch schon Paracelsus wusste 1538: „Die Dosis macht das Gift.“

Das gilt auch für das Schreiben. Egal, was ihre Lieblingsworte sind, Sie werden in der ersten Fassung zu viele davon benutzen. Deshalb sollte man sie kennen. Papyrus bietet in der Dokumentenstatistik den nützlichen Punkt „Worthäufigkeit“. Was soll ich sagen? In meinem neuesten Projekt steht „und“ an erster Stelle, 675 mal findet es ich im Text. „Aber“ folgt bald danach, ABER nur 173 Mal. Die Dosis macht …

Ich werde deshalb nicht alle „und“ und „aber“ in der Überarbeitung streichen. Doch ich werde sie ausdünnen. Und darauf achten, welche überhaupt einen Sinn haben. „Aber“ steht für einen Gegensatz. »Aber etwas ist nicht so, wie vorher behauptet.« Wenn es keinen Gegensatz gibt, dann gibt es auch keinen Platz für ein aber. Nicht mal für einen Pessimisten wie mich, der immer etwas einzuwenden hat.

Häufige Wörter verraten immer auch etwas über den, der sie gerne verwendet. Weiter nicht schlimm, wir alle haben unsere Besonderheiten. UND wir Autoren haben besonders viele. ABER wir sollten sie kennen. UND auf ein angemessenes Maß zurückschneiden. Damit sie nicht alles überwuchern.

Gehören sie zu den Fans von „anscheinend“, „scheinbar“, „fast“, „ungefähr“? Weil Sie genau sein wollen und der Satz „1.000 Soldaten lagerten in Ebene“ Ihnen nicht aus der Tastatur fließen will? Wer weiß schließlich, ob es wirklich genau 1.000 waren, könnten ja auch nur 999 oder vielleicht auch 1001 gewesen sein? Besser, Sie sichern sich ab. Vielleicht waren es auch nur „fast“ 1.000 Soldaten? Oder „anscheinend“ 1.000?

Man sollte seine Schwächen kennen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten Tag.

Ihr Hans Peter Roentgen

 

Wenn Sie anderer Meinung sind oder etwas zu diesem Beispiellektorat beitragen wollen, scheuen Sie sich nicht, es mir zu mailen oder zu kommentieren!

Aber denken Sie daran: die Dosis … 😉


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