Infodumps sind berüchtigt. Weil sie Leserinnen und Leser aus dem Buch werfen. Seit zwanzig Jahren wird davor gewarnt.
Und heute?
»Ich trau mich gar nichts mehr in Ruhe zu erzählen, aus Angst, es könnte Infodump sein«, hat mir kürzlich eine Autorenkollegin erzählt.
Aber was ist überhaupt ein Infodump?
Infodump – der Abfallhaufen
»Dump« bezeichnet einen Abfallhaufen im Englischen. Und Infodump ist dementsprechend ein Abfallhaufen voller unnützer Informationen. Autorinnen wollen sichergehen, dass der Leser auch alles weiß, was sie über die Geschichte wissen. Deshalb greifen sie oft zum Infodump, indem sie alle Details, ob nützlich oder nicht, abladen. Und weil das gerne statisch und lexikonartig geschieht, vergrault es Leserinnen.
Ein Beispiel für einen massiven Infodump wäre:
»Kommissar Meier kam an den Tatort. Er war groß, blond, hatte braune Augen und eine riesige Nase. Er arbeitete seit fünfzehn Jahren in Potsdam und liebte seinen Job.
Sein Kollege Müller eilte auf ihn zu, im Gegensatz zu Meier war er klein und dick, hatte eine Glatze und eine Warze auf der Nase. Er arbeitete erst seit einem Jahr in Potsdam, war ein Pedant und immer missgelaunt. Kommissar Meier sah sich um. Vor ihm ragte die Friedenskirche auf mit dem Kreuzgang, davor lag der Garten, in dem jedes Jahr als erstes in Potsdam die Krokusse blühten. Vor dem Kircheneingang stand die riesige Jesusfigur aus Metall. Und davor lag die Leiche.«
Die Angst vorm Infodump
Mittlerweile wissen viele, warum man einen Infodump vor allem auf den ersten Seiten vermeiden sollte. Doch manchmal behindert dieses Wissen. Wer die ganze Zeit nur daran denkt: »Ja keinen Infodump schreiben«, behindert den Schreibfluss.
Voran schreiben
»Der erste Entwurf ist immer Scheiße«, wusste schon Hemingway. Und Autoren sollen daran denken, wenn sie den ersten Entwurf schreiben. Der wird später überarbeitet und lektoriert. Erst einmal muss man in den Schreibfluss kommen und sich in seine Figuren verwandeln. Wer die ganze Zeit nur an »möglichst kein Infodump« denkt, tut sich damit hart.
Infodumps erkennen
Woran erkennt man einen Infodump? Da gibt es einige Indizien, die eine Diagnose erleichtern:
Infodumps sind statisch und enthalten keine Handlung
Schauen Sie sich obiges Beispiel eines Infodumps nochmal an. Welche Handlungen kommen dort vor?
Richtig. Der Kommissar kommt an den Tatort. Ein Satz mit Handlung, dann folgen fünf Sätze Informationen. Dann sieht er sich um. Dann wieder vier Sätze Informationen. 80 % des Textes der ersten Seite sind Informationen.
Infodumps lesen sich wie ein Lexikonartikel
Die obigen Informationen könnten so alle in Wikipedia stehen, wenn der Kommissar bekannt genug wäre, dass Wikipedia ihn beschreiben wollte.
Infodumps werfen keine Fragen auf, sondern beantworten Fragen
Was wissen wir nach dem Text? Wie die beiden aussehen, wie lange sie in Potsdam arbeiten, dass vor der Friedenskirche Krokusse im Frühjahr blühen und eine eiserne Jesusstatue vor dem Eingang der Kirche steht. Stellt das irgendwelche Fragen? Reizt das zum Weiterlesen?
Eher nicht.
Erst dann kommt ein Satz, dass vor der Statue eine Leiche liegt. Das weckt bei Krimilesern Fragen: War es ein Mord? Wenn ja, wer war der Täter? Und wie wird er überführt?
Infodumps haben eine andere Erzählstimme
Im Infodump teilt uns der Autor die Informationen mit. Wir erleben sie nicht durch die Augen der Figuren. Dementsprechend wird im Infodump nicht die normale Erzählstimme der Geschichte verwendet, sondern die des Autors.
Kürzen
Infodumps haben einen großen Vorteil: Man kann sie streichen. In vielen Fällen wird der Text allein dadurch sehr viel spannender und lesbarer. Einfach alle Textstellen streichen, die im Verdacht stehen, ein Infodump zu sein. Damit hat man schon viele Infodumps erledigt.
»Kommissar Meier kam an den Tatort. Sein Kollege Müller eilte auf ihn zu. Vor der Jesusfigur lag die Leiche.«
Sehr viel kürzer, aber etwas overdone.
Wenn Sie Infodumps gestrichen haben, legen Sie beide Fassungen – die zusammengestrichene und die mit Infodump – nebeneinander. Wo ist die neue Fassung besser? Wo fehlt etwas? Fügen wir also die Potsdamer Friedenskirche wieder hinzu:
»Kommissar Meier kam an den Tatort. Vor ihm ragte die Friedenskirche auf mit dem Kreuzgang. Vor dem Kircheneingang stand die riesige Jesusfigur aus Metall. Und davor lag die Leiche.
Kommissar Müller eilte auf ihn zu.«
Nötige Informationen an den Leser bringen
Was, wenn man beim Vergleich der beiden Fassungen feststellt, dass man weitere Infos benötigt?
Da gibt es einige Tricks, mit denen Sie sie einbauen können.
Nicht alles auf einmal, sondern nur einen Teil erzählen
So viel, wie gerade nötig ist. Und darauf achten, was eine neue Frage aufwirft und damit Spannung erzeugt. Im obigen Fall ist der Tatort nötig, der Rest am Anfang des Romans aber nicht.
Informationen mit Handlung verbinden
Bieten Sie die Informationen mit einer Handlung dem Leser dar.
Kommissar Müller watschelte schnaufend auf ihn zu. Er schwitzte und rieb sich die Warze am Kinn. Seit Jahren predigte ihm der Kardiologe: »Abnehmen, abnehmen, Sport treiben«, aber Müller überhörte alles missmutig. »Lieber gut essen und mit sechzig sterben, als hungrig mit neunzig« war seine Devise.
Infos aus der Sicht der Protagonistin erzählen
Schildern Sie die Informationen aus der Sicht des Protagonisten. Was würde sie wahrnehmen, wie würde sie denken?
»Vor der riesigen Jesusfigur aus Metall lag ein verbogener Körper, genauso tot wie Jesus auf Golgatha.«
Das sagt uns nicht nur, wo die Leiche liegt, sondern auch einiges über den Kommissar. Ehrfürchtig gegenüber der Religion dürfte er nicht sein, vermutlich etwas zynisch? Womit wir eine Frage hätten.
Infos verteilen
Nicht alles auf einmal erzählen. Nach und nach den Leser in unterschiedlichen Situationen die Informationen darbieten, damit er sie sich selbst zusammenbauen kann und genügend Fragen offenbleiben, um ihn bei der Stange zu halten. Denken Sie daran: Niemand kann zu viele Informationen auf einmal verarbeiten. Viel wirkungsvoller ist eine Information, die im Gedächtnis bleibt.
»Die riesige Jesusfigur aus Metall war doppelt so groß wie Kommissar Meier. Und der überragte alle anderen Mitarbeiter im Präsidium.«
Ellenlange Erklärungen sind langweilig. Halten Sie das, was Sie sagen wollen, kurz, knapp und eindrücklich.
Konflikt
Führen Sie neue Konflikte mit den Informationen ein. Die Informationen beantworten alte Fragen, werfen aber gleichzeitig neue auf. So entsteht Spannung.
Hinter Meiers Kollegen eilte ein dünnes Männchen mit Schlips und Jackett her.
»Wann bringen Sie die Leiche weg?«, fragte es.
»Wir können nicht …«, begann Meier.
»Das ist Weltkulturerbe! Die Platten wurden gerade restauriert. So viel Blut, was das wieder kostet! Wenigstens das Blut sollten Sie wegwischen, bevor es eintrocknet!«
Von der ersten Stufe tropfte langsam, aber regelmäßig das Blut der Leiche auf die Stufe darunter. Das Opfer war noch nicht lange tot.
Intuition schärfen
Wenn Sie konsequent Ihre Texte in der Überarbeitung auf Infodumps kontrollieren, statt sich schon während des ersten Schreibens darüber Gedanken zu machen, werden Sie bald zweierlei merken.
Erstens werden Sie Infodumps schneller bei der Überarbeitung erkennen.
Zweitens werden Sie in der Erstfassung weniger Infodumps produzieren.
Infodumps sind missglückte Beschreibungen
Sie haben es vermutlich längst bemerkt: Infodumps sind missglückte Beschreibungen. Wie Sie gute Beschreibungen erstellen, finden Sie in meinem Blogbeitrag:
https://hproentgen.wordpress.com/2020/11/23/sieben-tipps-fur-spannende-beschreibungen/
Viele Rückblenden sind ebenfalls Infodumps. Auch dazu gibt es einen Blogbeitrag:
https://hproentgen.wordpress.com/2018/06/26/zwoelf-dinge-die-jeder-autor-ueber-rueckblenden-wissen-sollte/
Ich hoffe, dass Ihnen diese Tipps nützen, in Zukunft Infodumps bei der Bearbeitung aufzulösen, ohne sich Angst einjagen zu lassen. Und wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß beim Schreiben und bedanke mich bei Sonja Puras für die Idee und das Lektorat dieses Artikels.
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