Mittlerweise wissen wir, , welche Stilmittel die Sprache steif, schwerverständlich und unlebendig machen kann.
Das Passiv
Das Passiv hat einen schlechten Ruf. Sätze im Passiv wirken eben passiv und sind schwerer verständlich: „Die Straße wurde von Wasser überflutet.“
Einfacher und lebendiger: „Wasser überflutete die Straße.“
Der Bestsellerautor Andreas Eschbach hat in seiner 10-Punkte-Text-Überwachung Tipps für gutes Schreiben genannt. Über das Passiv findet sich dort:
„Prüfen Sie, ob Sie nicht besser die Aktivform verwenden. Die meisten Passivkonstruktionen unterlaufen einem beim Schreiben aus Versehen, und wenn man genau hinschaut, merkt man, dass der Satz im Aktiv besser wirkt.“
In der deutschen Bürokratie liebt man dagegen das Passiv, an Hochschulen und in wissenschaftlichen Arbeiten auch. Es klingt gelehrter, unverständlicher und nach Obrigkeitsstaat.
Meine Nichte hat ein zweisprachiges Universitätsstudium absolviert, und ihre deutschen Arbeiten enthielten sehr viel mehr Passivkonstruktionen als die englischen. Einfach, weil im angloamerikanischen Raum Verständlichkeit auch an Unis sehr viel mehr als in Deutschland geschätzt wird.
Stephen King sagt in „Das Leben und das Schreiben“: „Bei einem passiven Verb wird etwas mit dem Subjekt gemacht. Das Subjekt lässt etwas über sich ergehen. Das Passiv sollten Sie meiden.“ Und er fragt, ob es wirklich besser ist, zu schreiben: „Mein erster Kuss wurde mir von Shayna gegeben, wofür sie von mir geliebt wurde“ (S. 138/139).
Ihr Auto muss nicht von Ihnen eingeparkt werden (Beamtendeutsch), parken Sie Ihr Auto in Ihren Texten einfach ein. Und lassen Sie Ihr Kind nicht beschult werden, es kann einfacher und verständlicher zur Schule gehen.
Nominalstil
Verben heißen im Deutschen Tätigkeitswörter, weil sie Handlungen beschreiben. Und mit Verben gestalten Sie Ihre Texte lebendig.
Nichts hasst jedoch das Beamtendeutsch mehr als Lebendigkeit. Folglich verwendet es keine Verben, sondern bevorzugt die Verwendung substantivierter Verben oder Partizipialkonstruktionen:
„Die Fürsorge umfasst den lebenden Menschen einschließlich der Abwicklung des gelebt habenden Menschen.“ (Vorschrift Kriegsgräberfürsorge)
Und natürlich gibt es dort keine Schülerinnen und Schüler, sondern zu Beschulende.
Verständliche Sprache
Eigentlich ist es seit langem bekannt, dass Passivkonstruktionen, Nominalstil und Partizipialkonstruktionen nicht der Verständlichkeit dienen. Seit vielen Jahren wissen wir, was verständliche Sprache auszeichnet. Und die Diskussionen um einfache und leichte Sprache bestätigt das. Wenn Inklusion gewünscht wird, ist Beamtendeutsch der jetzt doch gewünschten Verständlichkeit in Hinsicht auf Teilhabung aller, die Texte empfangen müssen, ein bisschen hinderlich. — Sorry für diesen Satz in Beamtendeutsch.
Abstrakt, nicht konkret
Und um was handelt es sich bei den Wörtern auf „-ung, -keit, -schaft, -kraft“? Ja, sie sind geschlechtsneutral. Aber auch allgemein, unanschaulich. Die Umschulung der Lehrerschaft auf Genderkraft und Geschlechtsachtsamkeit wird von der Frauenbeauftragtenschaft in Empfehlungen als Notwendigkeit vorgeschlagen.
Mit solchen Wörtern kann man jede Freude an Sprache töten und verhindern, dass Nicht-Beamtendeutsche den Text verstehen. Will das jemand?
Die Einführung des Beamtendeutschs in Baden-Württemberg
Offenbar. Die baden-württembergischen Frauenbeauftragten planen jetzt Richtlinien für die sprachliche Gleichstellung der Geschlechter. So weit, so gut.
Doch gut gemeint ist lange noch nicht gut gemacht. Natürlich sind die Richtlinien nicht bindend, das würde sofort jedes Gericht bestätigen. Aber jeder weiß, dass man sie befolgen sollte, will man eine bessere Note als „Ausreichend“ erhalten. Und jeder, der in Wissenschaft oder Staat Karriere machen will, tut gut daran, sich daran zu halten. Zumindest in offiziellen Texten.
Was wird nun im Einzelnen gefordert?
- „Durch Passiv-Formulierungen lassen sich Dokumente oder Texte auf eine Weise formulieren, bei der nicht nur das ‚männliche‘ Geschlecht adressiert wird“
- „die Substantivierung von Partizipien oder Adjektiven“
- „Umschreibungen und Ableitungen auf -ung, -ium, -kraft, -schaft“
(https://lakog-bw.de/wp-content/uploads/LaKoG-Empfehlung-Geschlechtergerechte-Sprache-2021.pdf).
Statt dem langen Papier hätten sie auch schreiben können: Wir wollen mehr Bürokratie wagen.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht
Das generische Maskulinum ist sicher nicht die genialste Erfindung der deutschen Sprache. Beamtendeutsch ist es aber auch nicht.
Dabei muss man sich gar nicht an Nominalstil und Passiv orientieren. Im Schwedischen gibt es „hen“, ein Fürwort wie „sie“ oder „er“, nur dass es kein Geschlecht bezeichnet. In mehreren Romanen, zum Beispiel „Wasteland“, wird „ser“ als Fürwort für nichtbinäre Personen verwendet.
Natürlich ändert sich Sprache. Aber in Richtung einfacherer Formulierungen und vor allem anschaulicherer. All die substantivierten Verben, die unanschaulichen Begriffe auf „-keit, -ung, -kraft“ sind dem Obrigkeitsstaat vorbehalten und haben noch nie Einzug in die Alltagssprache gehalten. Außer als Witz.
Diese Form des Genderns wird wohl nur in staatlichen Verlautbarungen u. Ä. Einzug halten. Schon jetzt zeigt sich, dass die Mehrheit der Bevölkerung sie nicht nachvollziehen kann oder will. Und soll man nicht die Menschen so anreden, wie sie angeredet werden wollen? Die Mehrheit der Frauen möchte nicht so angeredet werden, wie ihr sie anredet. Jedenfalls sagen das die Umfragen.
Bitte, bitte, überlegt euch praktikablere, lebendigere Formulierungen, die auch Nicht-Juristinnen verstehen und anwenden können, wenn ihr erreichen wollt, dass Frauen und andere mehr berücksichtigt werden. Und berücksichtigt sie aktiv statt passiv als Opfer.
Und liebe Autorinnen und Autoren, befolgt die Ratschläge von Andreas Eschbach und Stephen King, schreibt aktiv. Und nicht, wie es diese Empfehlungen durchsetzen wollen.
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Was dem Lektorat auffällt
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