Tauben im Gras und das N-Wort

„Es waren Tauben im Gras“, dieses Buch sollte in Baden-Württemberg Abiturthema werden. Was zu einer heftigen Diskussion geführt hat. Denn das N-Wort kommt darin vor, und schwarze Schülerinnen und Schüler könnten dadurch verletzt werden.

Das ist sicher richtig, nicht nur Schwarze, auch andere kann das verletzen, kränken. Das Buch spielt 1950/51, der Krieg ist gerade vorbei, eine Großstadt, vermutlich München, ist besetzt, schwarze GIs sind in der Stadt, knüpfen mit deutschen Mädchen Beziehungen an, Prostitution ist allgegenwärtig, viele Deutsche bezeichnen junge Frauen, die sich mit GIs zeigen, als Amihure, und die mit Schwarzen gehen, werden als N-Huren bezeichnet. Also jede Menge Rassismus, den das Buch beschreibt. Dass das viele verletzt, ist sicher.

Aber: Diese Wirklichkeit, die es genau so gab, findet sich sonst kaum in Büchern. Das N-Wort wird oft benutzt, richtig, mal als Schimpfwort, mal einfach als Bezeichnung, wie es damals üblich war. Ob Schimpfwort oder nicht, ergibt sich aus dem Kontext. N-Musik, N-Café, N-Kaserne, diese Worte werden von Personen im Buch immer abwertend benutzt.

Was der Autor Koeppen davon hält, bleibt offen, der hat sich an moderner Literatur aus den USA orientiert. Von der waren die Deutschen zwölf Jahre lang in der Nazi-Diktatur abgeschnitten.
N-Musik, Dschungelmusik, damit wurden bis in die Siebziger Jazz und Blues bezeichnet. Denn Schwarze waren Wilde und hatten keine Kultur, so die Idee derjenigen, die diese Worte brauchten. Aber gerade, weil es so verächtlich ist, so rassistisch, kann man diesen Ausdruck nicht vermeiden. „Schwarze Musik“ wäre eine Verharmlosung dieses rassistischen Vorurteils.

Ich würde heute das N-Wort oder Z-Wort nicht in der Öffentlichkeit verwenden, finde es gut, wenn es auf den Pausenhöfen verboten wird. Aber in Romanen können Sie bestimmte Begriffe nicht vermeiden. Denn das wäre „Whitewashing“, Verharmlosung. Ein Roman, der im dritten Reich spielt, ist für Juden schwer erträglich (und für viele heutige Deutsche auch). Ein Roman, der in den Fünfzigern spielt, in dem Musik eine Rolle spielt, kann das N-Wort und N-Musik nicht vermeiden, das wäre ebenso Whitewashing. Unsere Vergangenheit war alles andere als lieb und nett und dementsprechend hilft es nichts, nachzuzählen, wie oft das N-Wort verwendet wird. Unsere Vorfahren haben leider noch viel schlimmere Sachen gesagt und getan.

Und damit müssen sich unsere Schulen auseinandersetzen. Das Buch „Es waren Tauben im Gras“ halte ich da für eine gute Gelegenheit.

Wenn wir aber, um niemanden zu verletzen, nur noch weichgespülte Romane lesen und schreiben, dann landen wir früher oder später bei Kolportageromanen. Und irgendwann werden in unseren Schul- und Stadtbüchereien wie in Florida oder Indien alle „anstößigen“ Themen verbannt. Einer heilen Welt zuliebe, die es nicht gab und nicht gibt.

Gerade wir Autor*innen müssen einen sechsten Sinn entwickeln, wann welche Worte nötig sind, auch wenn sie wehtun, und wann nicht.

PS: In Baden-Württemberg gibt es jetzt im Abitur einen Alternativroman für die Prüfung.

Schicken Sie mir vier Seiten Ihres Textes (hpr@textkraft.de) und mit etwas Glück bespreche ich ihn hier im nächsten Blog

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Tauben im Gras und das N-Wort

2 Gedanken zu “Tauben im Gras und das N-Wort

  1. Gerade die Drastik des »N-Wortes« ist in diesem historischen Zusammenhang von größter Bedeutung, denn es wurde damals als ein vollkommen normales Hasswort verwendet, wobei keinerlei Reflexion stattfand. Die Frauen wurden von unseren Eltern tatsächlich von einer breiten Allgemeinheit als »Neger-Huren« oder »Neger-Weiber« bezeichnet und nicht als »N-Weiber«.

    Wir weißen Blues-Jugendliche, die keine Probleme mit den schwarzen Jungs hatten, wurden wegen unserer langen Haare übrigens in jener Zeit als »Affen«, »Ungewaschene«, »Hippies« und »Penner« beschimpft.

    Vielleicht sollte der Antrag gestellt werden, diese bösen Begriffe auch aus aus dem Sprachschatz zu verbannen? – Doch wo soll das enden???

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  2. Das Gleiche trifft auf die Diskussion um Karl May zu und, wie ich neulich gelesen habe, auf Ian Fleming mit seinem weltbekannten Spion James Bond. Es heißt, dass die Ian Fleming Stiftung, die die Rechte zu Flemings Büchern besitzt, sämtliche Werke Flemings „bereinigen“ will, weil er angeblich rassistische Ausdrücke, wie das N-Wort, benutzte. Auch diese Bücher wurden zum größten Teil in den 50er Jahren geschrieben. Persönlich bin ich gegen solche Korrektuen bei Neuauflagen, weil sie die Zeit verkennen, in der sie geschrieben wurden. Wer, wie ich, sämtliche Bücher Flemings auch auf Englisch gelesen hat, weiß, was ich meine.
    Danke, Hans Peter, für deinen wichtigen Input zu diesem Thema.

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