Krimis machen in der heilen Welt der Literatur

In Geschichten – und besonders in Krimis – ist oft das interessant, was nicht gesagt wird. Was zwischen den Zeilen steht und nur manchmal aufploppt. Die Leiche im Keller der heilen Reihenhauswelt.

Anfang September gab es die Tagung »Krimis machen 3« in Hamburg. Die dritte Veranstaltung, die sich mit den Problemen rund um Krimis schreiben und der Position des Krimis auf dem Buchmarkt beschäftigt. Ich habe alle drei besucht und fand alle drei inspirierend. Und doch gibt es, gab es einen seltsamen Effekt.

Publikum und Diskussionsteilnehmer kamen aus der gleichen Filterblase. Das wurde natürlich nie angesprochen. Fast nie. Nur Thomas Wörtche wies in seinem Einführungsvortrag darauf hin, dass man Mainstream-Krimis nicht einfach beiseitelassen könne, schließlich würden diese von vielen gelesen.

Doch sonst erwähnte niemand die Welt außerhalb des literarischen Krimis. Außer in Beschwörungen. Damit wolle doch hier niemand etwas zu tun haben. Eine Welt voller Teufel, über die man besser nicht reden solle. Sozusagen die Voldemorts des Krimis. Ab und zu wurden sie dann doch genannt: Agathe Christie heißt die Oberteufelin und  Sebastian Fitzek und Rita Falk sind die Unterteufel. Abschreckende Beispiele.

Warum sind die so teuflisch? Darüber herrschte Einigkeit, diese Krimis schreiben Romane aus der heilen Welt: Ein Verbrechen geschieht, der Kommissar klärt es auf und danach ist die Welt wieder heil. Weswegen man so etwas nicht diskutieren muss, ja besser gar nicht diskutieren sollte. Es könnte ja ansteckend sein.

Damit werden 90% des Buchmarkts ausgeschlossen aus der Diskussion. Ich muss Agathe Christie ja nicht toll finden, aber es wäre interessant, sich zu fragen, warum sie Erfolg hatte. Und ihre Nachfolger immer noch massenhaft gekauft werden. Ist es tatsächlich der Wunsch nach der heilen Welt? Können wir uns davonstehlen, in dem wir diese Theorie zwischen den Zeilen stehen lassen, aber nie begründen?

Auch der harmloseste Landhauskrimi in der heilsten Vorstadtwelt braucht eine Leiche. Am besten im Keller eines angesehenen Bürgers. Und selbst wenn der Täter am Schluss verhaftet wird, alles wieder gut ist: So heil ist die Welt dann nicht mehr. Ganz im Gegenteil, wir wissen jetzt, dass auch in den heilsten aller heilen Welten Leichen im Keller lagern, die gerne übersehen werden. Um den Anschein »Alles ist gut« nicht zu stören.

Wie geht man im Mainstream damit um? Wäre eine interessante Frage. Doch daran kranken die Diskussionen der Anhänger des literarischen Krimis. Da werden dann lieber Fragestellungen diskutiert, die in einem germanistischen Seminar ihren Platz haben.

Solche Fragestellungen haben ein Problem: Sie sind allgemein. Und man kann allgemein darüber sprechen. Im siebten Himmel der Theorie. Ohne auf Beispiele einzugehen. Da kann man spekulieren, ob Autoren, die physische Gewalt erfahren haben, überhaupt darüber schreiben können. Wenn die Praxis – welche Autoren schaffen es und wie, welche nicht und warum? – nicht mit einfließt, tauscht man blutleere Glaubenssätze aus.

Im Fall von »Krimis machen 3« blieb man an der Oberfläche. Und die Beiträge plätscherten so dahin. Mit zwei Ausnahmen. »Bitch oder Bastard«, da sprühte die Diskussion plötzlich vor Leben. Da wurde es konkret, wieviel Männer, wieviel Frauen bekommen Preis? Und warum? Urteilen die Jurys (meist mit Männern besetzt) wirklich nur aufgrund der Qualität der vorgelegten Texte? Oder laufen da Netzwerke ab und wie? Die Meinungen auf dem Podium wie bei den Zuhörern waren geteilt, anders als in den anderen Veranstaltungen.

Wenn Leute sich gegenseitig bestätigen und nur noch lesen und hören, was die Meinung dieser Gruppe bestätigt, reden wir von »Filterblasen«. Und in vielen Diskussionen hatte ich das Gefühl, in einer Filterblase zu sitzen. Die des literarischen Krimis. In der es bestimmte Glaubenssätze gibt (siehe heile Welt), die nicht hinterfragt werden, weil eben alle einer Meinung sind.

Noch ein paar Beispiele gefällig?

Gute Krimis sollen widerspenstig sein, subversiv, sollen verstören. Das wurde mehrfach erwähnt, hinterfragt wurde es genausowenig. Es gehört zum Glaubensbekenntnis der Literaten unter den Krimifans.

Okay, ich spiel jetzt mal den Advocatus Diaboli. Den Ketzer. Was zum Teufel heißt das, subversiv, verstörend, widerspenstig? Ich habe viele Krimis aus der Krimibestenliste gelesen, dem Zentralorgan der Krimi-Literaten und schätze sie. Aber haben sie mich verstört? Kein Einziger hat das geschafft. Verstören würde mich ein Krimi eines AfD-Autors, in dem sämtliche Flüchtlinge in der Waschküche Bomben basteln und Allahu Akbar schreien würden, bevor sie sich auf dem Rathaus mit den städtischen Angestellten in die Luft sprengen.

Setzen wir mal wieder einen Fuß auf den Boden der Realtitäten und verlassen den siebten Himmel der Theorie.

Da gibt es zum Beispiel Max Annas‘ Roman »Illegal«, er gehört ganz zweifelsohne zum literarischen Krimi, zu denen, die sich von Fitzek und anderen Teufeln absetzen, zu denen, die kriminelle Literaten schätzen. Er ist gut geschrieben, folgt einen Afrikaner, der illegal in Berlin lebt, immer in Angst, ohne Papiere erwischt und abgeschoben zu werden. Ein eindrückliches Buch. Aber widerspenstig? Subversiv? Hat es mich verstört? Es hat mich gepackt, hat mir deutlich gemacht, wie jemand lebt, leben muss, der keine Papiere und die falsche Hautfarbe hat. Hat mich eintauchen lassen in eine Lebenswelt, die weitab von der meinigen liegt. Spannend ist das zweifelsohne, aber subversiv?

Seltsamerweise ähnelt der Schluss dieses Romans dann sehr einem drittklassigen Tatort, einem der teuflischen Mainstream-Krimis. Dort taucht der Bösewicht auf. Und während der Afrikaner ohne Papiere ein Musterbeispiel einer gekonnten Romanfigur ist, die den Leser mit in seine Welt nimmt, ist der Bösewicht blaß und das einzig bemerkenswerte an ihm, dass er viel Geld hat.

Heute wollen alle subversiv sein. Wer will schon die Verhältnisse affirmativ bestätigen? Egal ob AfD, Linke oder sonst wer: Sie alle sind gegen das Establishment, gegen die etablierte Politik und betonen, dass sie nicht im Mainstream schwimmen wollen. Der Mainstream scheint ein Fluss zu sein, dem längst alles Wasser davon geschwommen ist. Positiv will keiner davon reden.

In den Fünfzigern und Sechzigern war das anders. Da war staatstragend kein Schimpfwort, da gefährdete die APO die herrschende Ordnung und wurde dafür gehasst. Im »Stahlnetz«, dem damaligen Tatort, stammten die Täter immer aus der Unterschicht und gefährdeten die Sicherheit der braven Bürger.

Heute weiß jeder Fernsehzuschauer: Wenn jemand einen teuren Wagen fährt und in einer noblen Villa wohnt, dann ist es der Täter. Der Mainstream hat die Windrichtung geändert. Wir da unten ist schick geworden, die da oben sind die Verbrecher.

Subversiv und widerständig sind zu Klischees verkommen, sorry for that liebe Literaten.

Und wie sieht es mit den anderen Glaubenssätzen aus der literarischen Krimiblase aus? Wir wollen keine heile Welt, predigen die Kulturredakteure in der heilen Literaturwelt. Okay, Gegensätze ziehen sich an. In den Fünfzigern war die heile Welt brüchig, jeder hatte aus der Nazizeit seine Leichen im Keller und mehr Probleme erlebt, als ihm lieb sein konnte. Heile Welt wollten sie alle, weil sie genau die nicht hatten. Wie gesagt, heute ist das umgekehrt.

Keine Happy-Ends, die sind verlogen, nein, wir wollen, dass alles düster und verzweifelt ist und dass das Ende rabenschwarz sein muss.

Wieso eigentlich? Unrealistisch ist beides. Happy-End ist genauso wie Bad-End ein Schemata, dazwischen gibt es zahlreiche Zwischenstufen und welche dieser Schemata eine Geschichte verwendet, hängt von der Geschichte ab. Sollte es zumindest.

Zurück in die Niederungen der Realitäten. Agathe Christie und die Schar ihrer Unterteufel ist affirmativ, sie festigt die herrschende Ordnung, auch das eine der Sätze, der zum Glaubensbekenntnis der Krimi-Literaten in »Krimis machen« und anderswo gehört. Unpolitisches Teufelswerk, pfui!

Agathe Christies »Zeugin der Anklage« ist einer der bekanntesten Bücher Agathe Christies. Dass Engländer im allgemeinen und englische Geschworene im besonderen Ausländer nicht mögen, ist eines der wesentlichen Elemente, darauf baut die Geschichte unter anderem auf. Sie klagt nicht an, aber konstatiert. Ganz so affirmativ ist sie denn doch nicht.

Zurück zu der Tagung »Krimis machen 3«. Die spannendste Diskussion war die über die Debüts neuer Autoren. Erhalten neue Autoren in Verlagen Chancen? Wenn ja, welche? Und wie läuft das in den Verlagen ab?

Mehrere Verlagslektoren und Autoren diskutieren. Hier ging es wirklich um die Praxis, hier wurden unterschiedliche Positionen vertreten und der Zuhörer bekam einen neuen Blick auf das Verlagswesen.

Ich habe Freundinnen und Freunde in meiner FB Liste, über deren Beiträge ärgere ich mich immer wieder. Da muss ich widersprechen. Aber sie zwingen mich, meine eigenen Meinungen zu schärfen, zu überdenken, zu ergründen, warum ich das anders sehe als sie. Das sind die Leute, die mich weiterbringen. Diskussionspodien, auf denen alle die gleiche Grundhaltung haben, sind langweilig.

Mein Fazit: Glaubensbekenntnisse helfen in Diskussionen über Krimis nicht weiter und Begriffe, die längst zum Klischee geworden sind, auch nicht.

Ich hoffe sehr, dass es ein »Krimi machen 4« geben wird. Und dass dort unterschiedliche Meinungen auftreten, von Christie-Fans bis zum Fan des literarischen Krimis. Die Unterschiede, die verschiedenen Positionen auf den Tisch kommen. Wie arbeiten die unterschiedlichen Autoren? Was für Folgen hat das? Warum werden welche Krimis gelesen oder andere nicht?

Links:
Krimis machen 1
Krimis machen II
WDR Bericht Krimis machen III
Gudrun Lechbaum: So wars für mich

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Krimis machen in der heilen Welt der Literatur

5 Gedanken zu “Krimis machen in der heilen Welt der Literatur

  1. Danke für diesen Beitrag, Hans Peter!
    Auch wenn ich selber keine schreibe, lese ich sehr gerne Krimis und frage mich gerade, was zum Kuckuck schlimm daran sein soll, wenn am Ende die (epische) Gerechtigkeit siegt. Die Welt wird dadurch zwar nicht heil, aber ein solches Ende bestätigt (zumindest m)ein Wertesystem.
    Beim literarischen Krimi führt die verlangte Subversivität inzwischen aber geradezu zu einer Aushöhlung: Die Bullen sind korrupt oder wenigstens Alkoholiker oder drogensüchtig. Die Täter sind arme Schweine oder reiche Bonzen, die sich freikaufen und die Opfer hatten vorher ein so mieses Leben, dass man sich fragt, ob sie durch den Tod nicht sogar besser dran sind.
    Das kann man realistisch nennen oder subversiv, in der Masse ist es nur deprimierend. Den meisten dieser Krimis fehlt der intellektuelle Anreiz des Who-dunnit genauso wie der unterhaltsame Sarkasmus der frühen hard-boiled Privatdetektive. Die Welt ist schlecht und wird es bleiben. Wenn ich sowieso dieser Meinung wäre, warum sollte ich sie mir dann literarisch bestätigen lassen? Und da ich nicht dieser Meinung bin, sondern dezidiert der Auffassung, dass es sich lohnt, für das Gute, Schöne und Wahre zu kämpfen – wieso sollte ich mich durch diese Tristesse herunterziehen und entmutigen lassen?
    Daher stimme ich deinem letzten Absatz absolut zu. Es wäre schön, wenn „Krimis machen 3“ kein Schlusswort wäre. Es wäre nämlich höchste Zeit für einen Aufbruch und neue Sichtweisen. Vielleicht stellt man dabei fest, dass der Mainstream das neue subversiv ist.

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  2. Gut gebrüllt , Hans Peter.

    Ich schreibe auch Krimis – die aus der Wohlfühlecke, mit sympathischen Ermittlern, mit dem Idyll der Holledau als Schauplatz und den kantigen Holledauern als Personal.

    Subversiv? Ist das Pflicht? Ist es ein eigener Wert? Entwertet fehlende Subversivität ein Werk?

    Nein. Ich denke nicht. Gute Krimis, auch die netten, sympathischen, auch die, die dem skandinavischen Muster (die Netten sterben zuerst) nicht folgen, können ihre Qualität haben: Zum einen in der Geschichte, dem intelligenten, Plot, der zum Mitraten einlädt, der den Leser mit einem guten Twist unterhält und ihn zwingt, im Wissen um die Lösung das Buch noch einmal zu lesen.

    Aber das ist es nicht allein. Die Krimis zeigen Menschen, die die Grenze überschritten haben, die zu übertreten wir uns immer hüten. Wir mögen dem Chef oder der Schwiegermutter den Tod wünschen. Den Tod bringen wir ihnen aber nicht. (In den allerwenigsten Fällen!) Ein Krimi zeigt hier Menschen, die das tun und hier ist der Punktus Knaktus! Literatur ist immer auch Spiel mit der Identifikation. Können wir, können unsere Leser diesen Schritt ins Extrem mitgehen? Denn wir zeigen Menschen im Extremen: Wir zeigen, wofür sie alles einsetzen. Wofür sie sterben würden … oder – ebenso wichtig – wofür sie töten. Hier kann man menschliche Abgründe ausloten, in der Holledau ebenso wie in Visby oder im nebeligen London.

    Wenn wir den Lesern diese Leidenschaften, diese Verzweiflung und das zutiefst Menschliche darin zeigen können, ist das nicht Literatur genug? Und stört es da, dass es nicht im Bodensatz der Gesellschaft stattfindet, sondern da, wo man vielleicht gerne Urlaub macht? Das ist die Frage und für mich habe ich die Antwort gefunden.

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    1. Danke, Gudrun, für den Link, ich habe ihn gleich an meinen Artikel angefügt. Natürlich hat die Vorankündigung auf die Themen hingewiesen. Dennoch poppten in der Diskussion immer wieder diese anderen Vorstellungen auf, auf die sich alle beriefen, die aber nie ausformuliert wurden.
      Und viele Diskussionen waren sehr abstrakt, mit wenig aktuellen Beispielen. Wie du fand ich den Beitrag des Schauspieler Murali Perumal sehr anschaulich mit vielen Beispielen.
      Aber ich hätte mir mehr solcher Beiträge gewünscht, vieles blieb leider in der Theorie stecken.
      Herzliche Grüße, Hans Peter

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  3. Natürlich kann so ein Kongress nie alle Aspekte beleuchten. Ich fand es nur erstaunlich, dass niemand dieses Thema direkt angesprochen hat. Klar, manches kommt einem erst im Nachhinein zu Bewusstsein, aber es gab doch einige AutorInnen und jedenfalls auch Verleger und Buchhändler, die dem Mainstream oder wie immer man es nennen will, zugeneigt sind.
    Vielleicht lag es ja nur am fehlenden Panel zum Thema, das es beim nächsten Mal unbedingt geben sollte. Ist doch ideal, da die Harmonie bei den Diskussionen schließlich von vielen Seiten bemängelt wurde. Bei dem Thema gibt es sicher Kontroversen.
    Schade übrigens, dass ich dich nicht identifiziert habe. Wahrscheinlich hing dein Namensschild zu hoch für mein Blickfeld 😉 Ich hätte mich gerne direkt mit dir unterhalten.

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